Wentz erleidet einen Kreuzbandriss - was beutet das für Philly und die Playoffs?

Von Adrian Franke
11. Dezember 201720:20
Für Carson Wentz ist die Saison aufgrund eines Kreuzbandrisses vorzeitig beendetgetty
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Es ist die Hiobsbotschaft schlechthin für die Philadelphia Eagles: Für Carson Wentz ist die Saison aufgrund eines Kreuzbandrisses vorzeitig beendet. Das bislang kompletteste Team der NFL muss sich jetzt neu ordnen, und das innerhalb kürzester Zeit. Doch wie überhaupt passierte die Verletzung? Was kann Philly jetzt tun? Und was bedeutet es für die NFC-Playoffs? SPOX blickt auf das Drama in Philadelphia.

1. Wie ist die Wentz-Verletzung passiert?

Es war spät im dritten Viertel: Die Eagles waren gerade das Feld runter marschiert und standen an der 2-Yard-Line der Rams. Wentz lief bei First and Goal los und sprang in die Endzone - dabei wurde auf sein Knie während Wentz quer in der Luft lag von zwei Rams-Verteidigern aus unterschiedlichen Richtungen Druck ausgeübt.

Der vermeintliche Touchdown wurde zu allem Überfluss wegen einer Holding-Strafe zurück gepfiffen. Wentz blieb daraufhin zunächst noch im Spiel, wirkte aber schon deutlich weniger mobil - dennoch vollendete er noch vier Plays, abgeschlossen mit dem 2-Yard-Touchdown-Pass auf Alshon Jeffery.

Dass etwas nicht in Ordnung war, war jedoch schnell klar. Während Wentz, der das ganze Spiel über einige harte Hits von der Rams-Front eingesteckt hatte, vom Platz ging, knickte sein Knie plötzlich weg. Phillys Quarterback konnte zwar in die Kabine laufen, die ersten Berichte des FOX-Teams vor Ort lauteten aber schnell: Viel Betroffenheit bei den Eagles-Ärzten. Das erste Abtasten hatte wohl schnell enthüllt, dass etwas mit dem Kreuzband nicht stimmt.

Das Team verkündete wenig später, dass Wentz nicht mehr zurückkehren würde und es dauerte keine halbe Stunde nach Ende der Partie, ehe unter anderem Ian Rapoport vom NFL Network und Adam Schefter von ESPN vermeldeten, dass sich der 24-Jährige aller Voraussicht nach einen Kreuzbandriss zugezogen hat.

2. Was bedeutet die Wentz-Verletzung für die Eagles?

Erinnerungen an die Oakland Raiders in der vergangenen Saison kommen unweigerlich hoch. Die Raiders schienen damals das Team zu sein, das den Patriots in den AFC-Playoffs am ehesten gefährlich werden könnte - bis sich Derek Carr an Weihnachten das Wadenbein brach und die Raiders in der Wildcard-Runde in Houston an Brock Osweiler und den Texans scheiterten.

Zwei Unterschiede dazu aber sind hervorzuheben: Die Eagles 2017 sind im Vergleich zu den Raiders 2016 das deutlich komplettere Team. Das Run Game ist vielseitiger und effizienter (4,6 Yards pro Run, 143,3 Rushing-Yards pro Spiel, 20 Big-Play Runs), Phillys defensive Front gehört zur unangefochtenen Liga-Elite, während die Secondary bereits gut auftritt und sich personell noch steigern dürfte. Selbst das Receiving-Corps der Eagles muss sich aufgrund der Tiefe vor dem der Raiders im Vorjahr nicht verstecken.

Auf der anderen Seite aber spielt Wentz in der Offense eine größere Rolle als Carr in der der Raiders im Vorjahr. Zwar haben die Eagles einige der besten Offense-Schemes und Play-Designs, was Wentz aber unter Druck in und außerhalb der Pocket macht ist nicht weniger als spektakulär. Jüngst gegen die Seahawks und auch am Sonntag gegen die Rams hatte Wentz wieder einige Szenen, in denen er mehreren Pass-Rushern auswich und dann aus scheinbar unmöglichem Winkel den Ball noch genau zu seinem Receiver feuerte.

Wie können die Eagles ihre Offense mit Foles spielen?

Wentz hatte noch immer einige Plays liegen gelassen und vor allem das Turnover-Risiko insgesamt (Interceptions und Fumbles) war nach wie vor vergleichsweise hoch. Doch verblasst das, wenn man die Fortschritte in seiner zweiten NFL-Saison sieht. Kurz gesagt: Wentz ist einer der besten Quarterbacks gegen Pressure, lieferte innerhalb aber auch außerhalb des Schemes Big Plays und agierte überdurchschnittlich auf alle Distanzen auf dem Feld.

Und Wentz war - auch das darf man nicht einfach unter den Tisch fallen lassen - einer der unumstrittenen Leader dieser Offense. Die spannende Frage wird jetzt also sein: Kann das Run Game das Team tragen, wenn Coach Doug Pederson seine Offense umstellt und sie an Nick Foles anpasst? Pederson ist nach wie vor fest in der West Coast Offense verwurzelt, bedeutet: Slants, kurze Dropbacks und andere Arten schneller Pässe gehören durchaus in sein bevorzugtes Repertoire.

Foles hatte seine eine herausragende Saison unter Chip Kelly, als die Eagles noch teilweise eine irre Tempo-Offense spielten und Kelly die Reads für seinen Quarterback vereinfachte, um ihm einfache Completions zu geben. Pederson kann das auch. Wie? Elemente davon sehen wir bereits: Kein Team nutzt in dieser Saison Run-Pass-Options so intensiv wie die Eagles bisher - hieran dürfte sich nichts ändern, und eine gut gespielte Run-Pass-Option sollte dem Quarterback bereits klar definierte Reads geben. Außerdem könnte das Run Game und darauf aufbauend das Play-Action-Spiel eine größere Rolle einnehmen.

Pedersons Fokus sollte darauf liegen, über das Scheme Yards nach dem Catch zu kreieren, anstatt Foles hinter der zuletzt wackligeren Line in Situationen zu bringen, in denen er Wentz' spektakuläres Pocket-Play imitieren soll. Das nämlich wird er nicht leisten können. Dann könnte er die enorme Rolle, die Wentz in der Offense einnahm, etwas ausgleichen - und noch immer die großartige Tiefe und generelle Qualität in seinem Kader nutzen.

3. Was bedeutet die Wentz-Verletzung für die Playoffs?

Die spannende Frage wird also sein: Können die Eagles ihre Offense so anpassen, dass sie mit Foles zumindest funktionell bleibt - und dann defensiv Spiele dominieren? Das wird gelinde gesagt ein extrem schwieriges Unterfangen. Die Tatsache, dass die Eagles den Division-Sieg bereits in der Tasche haben, lässt in den verbleibenden Regular-Season-Spielen aber zumindest etwas Spielraum für Anpassungen und eine Umorientierung.

So viel ist klar: Die Eagles sind nach 14 Spieltagen die Highest-Scoring-Offense der NFL und diese Schlagzahl werden sie mit Foles nicht aufrecht erhalten können. Und dann kommt die Qualität in der NFC in diesem Jahr ins Spiel: Minnesota, Seattle, die Rams, Carolina - all das sind Teams, die eine anfällige Offense weiter limitieren können, weil sie alle in der Defensive Front herausragend besetzt sind. Nicht zu vergessen: Philly spielt schon seit ein paar Wochen ohne Left Tackle Jason Peters, für den die Saison verletzungsbedingt ebenfalls beendet ist.

In den vergangenen beiden Spielen gegen Seattle und die Rams fiel das bereits auf. Die Seahawks bereiteten Peters' Ersatzmann Halapoulivaati Vaitai mit ihren Speed-Rushern große Probleme, L.A. konnte auch über die Mitte Druck erzeugen. Mit Wentz wird Philadelphia in den Playoffs nicht nur der individuell wichtigste Spieler fehlen, Wentz' Bedeutung für diese Offense geht gerade angesichts der Konkurrenz und deren Stärken über die "klassischen" Quarterback-Qualitäten hinaus.

Die anderen NFC-Playoff-Kandidaten - etwa New Orleans, Atlanta und Green Bay - bringen nicht ganz die Qualität der anderen Schwergewichte der Conference in der Front mit. Dafür sollten sie aber in der Lage sein, auch gegen die Eagles-Defense zu punkten - und dann wird es mit Foles schon wieder schwer.

Kurzum: Mit Foles statt Wentz werden die Eagles von einem, wenn nicht dem NFC-Playoff-Favoriten zum viert- oder fünftbesten Team der Conference, mit einem signifikanten Schwachpunkt, den die Konkurrenz so nicht hat. Die Eagles werden noch immer konkurrenzfähiger sein als, um nochmals zu diesem nahe liegenden Beispiel zurück zu kehren, die Raiders in der vergangenen Saison. Das Playoff-Bild in der NFC wird dennoch komplett durcheinander gewirbelt.

4. Sollte Colin Kaepernick ein Thema für die Eagles sein?

Der Name kursierte natürlich Minuten nach den ersten Prognosen zu Wentz auf Social Media: Colin Kaepernick hat bekanntermaßen noch immer kein Team und dürfte rein individuell betrachtet qualitativ deutlich besser sein als alle alternativen Optionen. Besser als Philadelphias Nummer-3-Option Nate Sudfeld in jedem Fall.

Kaepernick als sofortige Lösung zu erwarten wäre dabei der völlig falsche Ansatz. Foles ist der Quarterback, der die Nummer-2-Snaps im Training erhalten hat. Er kennt Playbook, Audibles, Schemes und die generelle Sprache der Offense.

Somit wäre der am ehesten denkbare Weg, Kaepernick jetzt als Backup zu holen, um dann möglicherweise in den Playoffs den Wechsel zu vollziehen. Ein äußerst gewagtes Szenario, das in der Theorie funktionieren könnte, in der Praxis aber kaum denkbar ist. Coaches bauen zu ihren Quarterbacks ein enormes Vertrauensverhältnis auf. Dass Pederson innerhalb weniger Wochen so überzeugt von Kaepernick ist, damit er einen Quarterback-Tausch zu den Playoffs vollzieht, ist eine mehr als unwahrscheinliche Idee.

Dennoch würde eine Verpflichtung Kaepernicks für den Rest der Saison rein sportlich allein als Backup Sinn machen. Sollte Foles nämlich ebenfalls etwas passieren, steht Philly mehr oder weniger blank da. Dass ein Team, das so gut dasteht wie die Eagles zu diesem Zeitpunkt der Saison, sich aber all die Ablenkungen und Fragen rein holt, die eine Kaepernick-Verpflichtung fraglos mit sich bringen würde, ist schwer vorstellbar. So realistisch muss man, auch wenn es Kaepernick gegenüber natürlich unfair ist, sein.

Sonstige Alternativen, und hier wird schnell klar, dass qualitativ an Kaepernick eigentlich kein Weg vorbei führen kann, wären unter anderem:

  • Christian Ponder
  • Matt McGloin
  • Robert Griffin III
  • Josh Johnson
  • Shaun Hill

5. Prognose: Wie geht es für die Eagles weiter?

Die Division-Krone hat Philly bereits in der Tasche und durch die Niederlage der Vikings in Carolina am Sonntag kontrollieren die Eagles auch das Rennen um den Top-Seed wieder komplett selbst. Der weitere Schedule für die ausstehenden Regular-Season-Spiele meint es zusätzlich gut mit Philadelphia: Bei den Giants und dann zuhause gegen die Raiders und die Cowboys.

Insbesondere die Giants und die Raiders präsentieren sich weitestgehend in desolater Verfassung, beide Teams sollte die Eagles-Defense mehr oder weniger komplett dominieren und gegen beide sollte Philly die Spiele auch über das Run Game kontrollieren können.

Dallas ist mit Sean Lee und dann auch wieder mit Ezekiel Elliott ein anderes Kaliber, die Frage wird aber eher sein, ob es für die Cowboys in Week 17 überhaupt noch um etwas geht - und ob die Eagles auf der anderen Seite zu dem Zeitpunkt den Top-Seed bereits in der Tasche haben. Minnesota muss in Week 16 immerhin bei den Packers und Aaron Rodgers ran.

Selbst ohne Wentz ist es Philadelphia also mehr als zuzutrauen, dass es als Nummer-1-Seed in die Playoffs geht. Dann aber wird es schwierig: Natürlich kann in einem Playoff-Spiel alles passieren, ohne Wentz aber wird auch dieses stark besetzte Eagles-Team in der NFC nicht in den Super Bowl einziehen können. Die Fans, Spieler und Verantworlichen in Philly stehen vermutlich vor der ultimativen "Was wäre gewesen, wenn..."-Offseason.