Für die luxemburgische Tennisspielerin Mandy Minella, 32, waren die US Open 2018 ein ewiges Hin und Her. Sie stand auf der Nachrückerliste für das Hauptfeld, und als die Rumänin Mihaela Buzarnescu nach einem Bänderriss via Twitter ihr US-Open-Aus verkündete, wähnte sich Minella bereits im Turnier. Buzarnescu zog ihre Meldung offiziell jedoch nicht zurück, sondern sagte ihr Match erst kurz vor Spielbeginn ab. Der Hintergrund: Sie kassierte somit 50 Prozent des Erstrunden-Preisgelds, also 27.000 US-Dollar - bei einem Rückzug vor der Hauptfeld-Auslosung wäre sie leer ausgegangen. Eine Regel-Lücke, die dringend geschlossen werden müsste? Für Tim Sommer, 37, ist es vor allem ein Versagen der WTA.
Herr Sommer, geben Sie uns mal einen Überblick: Wie sind die letzten Wochen rund um die US Open bei Ihnen abgelaufen?
Wir hatten zunächst für die Qualifikation geplant. Mandy war zwei Plätze vom Hauptfeld entfernt, es war also unwahrscheinlich, dass sich etwas tut - das Preisgeld steigt immer weiter, somit sagt kaum noch jemand ab. Sie hatte dann Kontakt mit Elena Vesnina, die ihr mitteilte, dass sie nicht spielen werde. Als sich Mihaela Buzarnescu dann in Montréal verletzte und twitterte, dass sie die US Open wegen eines Bänderrisses und einer doppelten Bänderdehnung nicht spielen könne, gingen wir davon aus, dass Mandy im Hauptfeld steht. Wir haben die Flüge umgebucht und sind nach New Haven geflogen, um dort zu trainieren und ein paar Matches zu bekommen.
Haben Sie die Absage offiziell abgesichert?
Als wir in New Haven ankamen, stand sie noch auf der Meldeliste. Daraufhin habe ich die WTA kontaktiert. Man sagte mir, Buzarnescu sei in New York und würde versuchen, doch noch fit zu werden. Sie hat das dann auch getwittert. Ich habe einen Radiologen und unseren Physiotherapeuten gefragt: Ist es möglich, mit einem Bänderriss und einer doppelten Bänderdehnung zu spielen? Keine Chance, hieß es, sechs bis acht Wochen dauere es, bis man sich wieder normal bewegen kann. Ich bin daraufhin erneut an die WTA herangetreten. Ich finde es nicht richtig, wenn eine Diagnose feststeht und jemand wissentlich verletzt in einem Teilnehmerfeld steht.
Wie hat die WTA reagiert?
Es hieß, man könne nichts tun, das liege in den Händen des amerikanischen Tennisverbandes, weil das Turnier in New York stattfinde. Ich habe den Fall daraufhin auch der "Integrity Unit" gemeldet, um Druck auf die WTA auszuüben. Und um sicherzustellen, dass sie Mihaela die Situation klar machen: Wenn sie gespielt hätte, wären zig Wetten auf die Gegnerin gelaufen. Aber es ist vor dem Sign-in der Qualifikation nichts passiert. Somit konnte Mandy in New Haven nicht teilnehmen. Wir sind nach New York abgereist, mussten alle Umbuchungen zahlen und mit zwei Tagen Vorlauf die US-Open-Qualifikation spielen. Mandy hat dort in Runde zwei verloren.
Eine optimale Vorbereitung sieht anders aus.
Es waren nicht nur wir betroffen. Die Italienerin Anastasia Grymalska, die auf der Warteliste für die Qualifikation ganz oben stand, war extra nach New York geflogen, als sie von Buzarnescus Bänderriss gelesen hatte. Sie kam dann gar nicht mehr ins Quali-Feld. Wir haben nun rechtliche Schritte bei der WTA eingeleitet, um zumindest die Kosten für New Haven erstattet zu bekommen. Schließlich hat die WTA auf ihrer Seite auch veröffentlicht, dass Buzarnsecu nicht spielen wird. Vor allem: Der Artikel wurde mittlerweile verändert, das Datum jedoch beibehalten. Ich habe von der ersten Version aber einen Screenshot gemacht. Wie auch immer: Es zeigt, dass man wusste, dass nicht korrekt gehandelt wurde.
Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, damit solch ein Fall nicht mehr passiert?
Die WTA müsste einen medizinischen Check-up vorschreiben, wenn eine Verletzung bekannt ist. Den muss jeder Jugendliche in Deutschland machen, der ein Preisgeldturnier spielt. Dass ein Tennisprofi nicht dazu aufgerufen werden kann, sich medizinisch prüfen zu lassen, finde ich bedenkenswert. Wenn man jemanden mit einem Bänderriss gesagt hätte: Spring mal hier vom Stuhl runter - das wäre nicht gegangen.
Die unglückliche Geschichte um Buzarnescu ging noch weiter: Sie hat erst kurz vor ihrem Erstrundenspiel zurückgezogen, was weitere Auswirkungen hatte.
Mona Barthel war als erste Lucky Loserin gelost. Schlussendlich hat Buzarnescu ihre Teilnahme nur zwei Stunden vor Spielbeginn abgesagt - auch Mona hatte somit kaum Zeit zur Vorbereitung. Noch etwas kommt hinzu: Bereits vor der Auslosung bekamen wir einen Anruf vom WTA-Turnier in Luxemburg. Der Manager von Mihaela hatte mitgeteilt, sie sei so schwer verletzt, dass sie bei den US Open nicht spielen werde und daher in der Luxemburg-Woche das Premier-Event in Moskau spielen müsse. Man wusste also bereits vor der Auslosung, dass sie die US Open nicht spielen wird. Sie hat durch ihr Verhalten das gesamte Draw verändert: Alizé Cornet wäre ansonsten in die Setzung gekommen, hätte gegen Marketa Vondrousova gespielt - und Mona Barthel gegen Johanna Larsson. Und das mit drei bis vier Tagen Vorlauf. Das alles darf nicht sein. Die WTA und USTA müssen verhindern können, dass eine Spielerin diese Show aufführt, um in der Öffentlichkeit besser dazustehen.
Wir wollten Frau Buzarnescu gerne selbst nach ihrer Sicht der Dinge befragen - nach einem kurzen Austausch mit ihrem Management wollte sich jedoch niemand mehr äußern. Hatte Ihre Frau direkten Kontakt zu ihr?
Mandy hat ihr eine Nachricht geschrieben - dass sie alles verstehe, aber irgendwo eine Grenze sei. Auch aus persönlicher Erfahrung: Sie war im Vorjahr im siebten Monat schwanger und hätte sich ebenfalls bei den US Open reinstellen können, was sie nicht getan hat. Es kam eine Mail von Mihaela zurück, wie schwer ihr Leben gewesen sei und dass sie umgekehrt schon ähnliche Situationen erlebt habe. Zumindest Letzteres ist frei erfunden.
Mihaela Buzarenscu ist seit 2004 als Tennisprofi unterwegs, hat aber aufgrund diverser Verletzungen erst im vergangenen Jahr die Top 100 geknackt. Ist es insofern irgendwo verständlich, dass sie die 50 Prozent des Erstrunden-Preisgelds mitnehmen wollte? Wir reden hier immerhin von 27.000 US-Dollar - und sie hat letztlich keine Regeln gebrochen.
Es sind zwei unterschiedliche Dinge. Das eine ist der Fall Buzarnescu - sie hat in diesem Jahr rund eine Million US-Dollar verdient und wird noch Bonus-Zahlungen für die Top 20 bekommen. Muss man diese 27.000 US-Dollar dann auf diese Art und Weise mitnehmen? Zum anderen wurde die 50-Prozent-Regel für Spieler geschaffen, die sich während der letzten Tage vor Ort verletzen, krank werden oder bis zum Schluss nicht wissen, ob sie antreten können. Wenn man einen strukturellen Schaden hat und unmöglich spielen kann, muss das anders geregelt werden.
Vermutlich ist das Ganze kein Einzelfall.
Sicher nicht. Shelby Rogers ist 2015 in Wimbledon gegen Andrea Petkovic mit einem gerissenen Innenband und einer riesigen Knie-Prothese auf den Platz marschiert. Mariana Duque Marino ist bei den Australian Open 2016 im Einzel umgeknickt und musste aufgeben. Sie lief dann bis zum Tag vor dem Doppel auf Krücken über die Anlage. Daran gehindert, sich im Doppel draufzustellen, hat sie niemand. Wenn Strafen verhängt wurden oder man Spielerinnen an der Teilnahme "hinderte", traf es bisher die Falschen. Polona Hercoq zum Beispiel, die in Melbourne 2014 bei 0:1 aufgegeben hat, bekam anschließend eine Strafe. Weil sie sich nicht 40 Minuten mit einem Tape unter Schmerzmitteln über den Platz geschleppt hat? Johanna Larsson wurde durch den Turnierarzt 2017 untersagt, mit Magen-Darm-Grippe in Australien auf den Platz zu gehen. Sie bekam dann kein Preisgeld. Aber eine Frau Buzarnescu darf zwei Wochen vor Turnierbeginn ankündigen, dass sie nicht spielen werde - und marschiert dann mit 27.000 US-Dollar nach Hause, nachdem sie mindestens vier andere Spielerinnen negativ beeinflusst hat.
Womit wir wieder bei einem medizinischen Check-up wären.
Dann würde es fair ablaufen. Letztlich sollten diejenigen, die vor Turnierbeginn rausziehen, sogar 100 Prozent des Preisgelds bekommen. Auch dieses Jahr gab es bei den Damen in New York wieder zwei Matches, die 0:6 0:6 ausgegangen sind und nur knapp über 40 Minuten gedauert haben. Ich nehme an, die Damen hätten sich überlegt, einem Lucky Loser den Platz zu überlassen, wenn sie mit dem vollen Preisgeld hätten abreisen können. Aber natürlich lässt man auch die andere Hälfte der 27.000 Dollar ungern liegen. Speziell bei den Damen wird bei den Grand Slams deutlich mehr Geld bezahlt als auf WTA-Events. Dieses Geld ist so wichtig, daher verstehe ich jeden Spieler, der es haben möchte. Aber es muss Grenzen geben.
Wie geht es bei Ihnen weiter? Sie wollen ja nun eine Klage gegen die WTA einreichen.
Wir haben Kontakt zu einem Sportanwalt in Orlando, der hatte es schon öfter mit dem amerikanischen Tennisverband zu tun. Es geht auch nicht um Frau Buzarnescu, sie hat letztlich regelkonform gehandelt und sich nur moralisch fragwürdig verhalten - damit muss sie klarkommen. Aber aber aus meiner Sicht kann die WTA kein offizielles Statement abgeben, dass Mihaela die US Open nicht spielt - und sich nachher aus der Verantwortung ziehen. Und dass sie noch versuchen, die Tatsachen durch das Editieren des Artikels zu verschleiern, ist umso bedenklicher. Die Kosten zu erstatten, die uns rund um New Haven entstanden sind, wäre das Mindeste. Wie sich das Turnier für Mandy entwickelt hätte, wenn sie eine Woche mehr Vorbereitung und Matches auf Hartplatz gehabt hätte, wird man nicht mehr herausfinden. Eine Dummheit von Frau Buzarnescu und eine ganz schlechte Handhabung der Situation durch die WTA hat uns viel Zeit, Energie und Geld gekostet. So etwas sollte in der Zukunft nicht mehr vorkommen.
Das Gespräch führte Florian Goosmann.