22.07.2010 um 02:07 Uhr
Bild dir deinen Fussball
Heute gibt es zunächst ein kleines Spielchen zum Einstieg.
Ich nenne einen Begriff und jeder, der ihn liest, macht sich kurz darüber Gedanken und versucht dann, den genannten Begriff mit einem Wort zu beschreiben. Klingt doch ganz locker. Fertig? Los gehts:
Bild-Zeitung!
Und, wie siehts aus? Gar nicht so einfach, oder? Ich tippe jetzt einfach mal, dass den meisten nicht ein einzelner, sondern eine ganze Reihe an Bezeichnungen eingefallen ist. Genauso bin ich mir aber fast sicher, dass es niemanden gibt, dem gar nichts dazu in den Sinn kam. Wenn meine Annahme also stimmt, dann zeigt das Brainstormding zwei Dinge:
Erstens; Bild ist komplex. Man könnte jetzt auf die Frage da oben einfach nur mit "scheisse" antworten, doch damit hat es sich noch nicht. Bild hat 12 Millionen Leser am Tag, irgendetwas muss die Zeitung also richtig machen. Man mag die Bild belächeln als Proletenzeitung, die nur vom Müllmann in der Mittagspause gelesen wird, aber hat man noch nie selber in den Sportteil geschaut, um sich über den Bundesligaalltag zu informieren?
Zweitens; Bild ist überall. Hat irgendjemand noch nie das Ding mit den vier Buchstaben in den Händen gehalten? Die Bild hat sich über Jahrzehnte durch ihre Art und ihre Berichterstattung einen festen Platz in unserer Gesellschaft erkämpft und ist heute die wichtigste Tageszeitung Deutschlands. Größte Auflage, größte Reichweite, am meisten zitiert. Ob wir es also wollen oder nicht, wir sind immer wieder mit dem Blatt konfrontiert.
"Sport bei der Bild, das ist zu 80 Prozent Fussball", sagt der stellvertretende Chefredakteur Alfred Draxler. Ob es uns also passt oder nicht, vor allem wir Fussballer müssen uns mit dem Thema auseinandersetzen. Und um auf das Experiment von oben zurückzukommen, bei näherer Betrachtung lässt sich die Beziehung Bild-Fussball grob am besten in folgende Begriffe einteilen:
Fleiß. Einfluss. Polemik. Freundschaftspflege. Feindschaftspflege.
Und weil so eine trockene Wörterkette natürlich etwas witzlos und unaufschlussreich ist, soll jede einzelne Bild-Eigenschaft im Folgenden mit Leben gefüllt werden, denn die Vergangenheit der Bild hat dazu genug Geschichten und Anekdoten geliefert..
Fleiß:
(="eifriges und unermüdliches Bemühen, ein gestecktes Ziel zu erreichen")
Eins muss man den Jungs von der Bild lassen: an Engagement mangelt es ihnen nicht. Sportchef Matthias Brügelmann: "Ein Bildreporter hat nie Feierabend." Um bei der obigen Definition von "Fleiß" zu bleiben: "das gesteckte Ziel" ist die goldene Story und die Schlagzeile, die den Leser fesselt und das Blatt verkauft, das "eifrige und unermüdliche Bemühen" sieht folgendermaßen aus: Drei Seiten der Zeitung sind für Fussball reserviert, 100 Journalisten füllen sie täglich mit Inhalt, und bei jedem Training einer Bundesligamannschaft ist mindestens ein Bild-Redakteur vor Ort. Die Redakteure sind immer am Puls des Fussballgeschehens und nahe dran an den Protagonisten, zu denen sie im Laufe der Zeit enge Beziehungen (dazu später mehr) aufbauen.
Bei soviel Verbissenheit kommt es natürlich auch immer wieder zu hässlicheren Szenen. Mehmet Scholl erzählte einmal, dass eine Bildreporterin aus heiterem Himmel zu seiner Frau gegangen sei und ihr erzählt habe, dass ihr Mann sie "in jedem Trainingslager mit einer anderen betrügt." Hauptsache, Bild kommt an seine Story. Einmal wurde Lothar Matthäus von beleidigten Journalisten gefragt, warum er denn immer alles nur der Bild erzähle. Matthäus aber sah das Ganze pragmatisch und antwortete: "Das stimmt nicht, nur die rufen mich halt am Tag drei, vier Mal an, würdet ihr so oft anrufen, hättet ihr genauso die Geschichten."
Die Art und Weise, wie ein Bild-Reporter seine Arbeit wahrnimmt, wird auch durch diese Anekdote von der Euro 1996 schön deutlich: Damals hielt Andreas Köpke im Vorrundenspiel gegen Italien einen Elfmeter, und der damalige Bild-Sportchef wurde gefragt, warum er denn so ausgelassen auf der Tribüne darüber gejubelt habe. "Das hatte mit Fussball nichts zu tun", sagte er. Er habe nur schon lange eine große Köpke-Story in der Schublade gehabt, die er jetzt in der Zeitung platzieren könne..
Einfluss:
( "effektive Wirkung eines Subjekts oder einer Interessengruppe auf eine Zielperson oder –gruppe")
Der Definition folgend - Subjekt: Bild. Zielgruppe: Fussballer in allen Formen: Spieler, Funktionäre, Fans.
Schon einmal gewundert, warum es in Deutschland, anders als in den meisten anderen europäischen Ländern, keine tägliche Sportzeitung a lá "Marca" oder "La Gazzetta dello Sport" gibt? Ganz einfach, weil Bild das nicht will. Eine überlieferte Grundsatzformel im Axel-Springer-Verlag, der die Bild produziert, lautet: "Es soll keine Sporttageszeitung neben der Bild geben." Und bis heute bleibt es dabei, neben der Bild ist auf dem Markt kein Platz für Konkurrenten. Im Laufe der Jahrzehnte hat es Bild zu einer Monopolstellung in der Fussballberichterstattung in Deutschland gebracht und besitzt das Privileg, tagtäglich seine Meinung an den Mann zu bringen und zu verbreiten. Diesen enormen Einfluss hat die Zeitung unter anderem schon dafür genutzt, einen Bundestrainer aus dem Amt- und den nächsten hinein zu schreiben.
Auf sowas in Deutschland hat Bild keinen Bock
Als die deutsche Nationalmannschaft unter Jupp Derwall bei der EM 1984 desolat in der Vorrunde ausschied, dachte Derwall zunächst nicht daran, zurückzutreten. Bild dachte anders und titelte "Jupp, sei gnädig, geh!". Kurz darauf trat Derwall zurück. Franz Beckenbauer dachte zunächst auch nicht daran, sein Nachfolger zu werden, doch Bild dachte wieder anders. Nach dem EM-Debakel saßen einige Bildreporter und Beckenbauer zusammen und unterhielten sich über den Nachfolger Derwalls. Die Journalisten schlugen Beckenbauer vor, er solle es doch machen. Dessen erste Reaktion "Seids ihr narrisch?". Nach langem Einreden sagte Beckenbauer, dass er vielleicht und unter Umständen für den Posten eines Sportdirektors oder Teamchefs zur Verfügung stünde. Von "vielleicht" und "unter Umständen" wollte Bild aber nichts wissen und erschien am nächsten Tag mit der Schlagzeile: "Franz: Ich bin bereit!" Beckenbauers Reaktion: "Ich dachte, mich trifft der Schlag." Kurz darauf war er trotzdem Teamchef der deutschen Nationalmannschaft. Bild hatte also seinen kleinen Anteil daran, dass Deutschland 1990 Weltmeister wurde.
Teil 2
Aufrufe: 23209 | Kommentare: 1 | Bewertungen: 28 | Erstellt:22.07.2010
ø 9.9
KOMMENTARE
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22.07.2010 | 02:35 Uhr
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eshkeeya :
Kommentare bitte unter den letzten Teil, Danke
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