Als Philipp Lahm den WM-Pokal in den Nachthimmel Brasiliens reckt ist klar, dass diese 22, die da vor Glück schreiend stehen von nun an Weltmeister sind. Moderne Helden mit festem Platz in den Geschichtsbüchern. Der DFB feiert seinen persönlichen Triumph und steht am Höhepunkt seines Anfang des Jahrhunderts begonnenen Modernisierung-Prozesses mit Leistungsförderung und Stützpunkten. Neben Lahm stehen unter anderem Neuer, Höwedes, Boateng, Kroos, Schürrle, Götze, Draxler und Ginter. Acht Spieler, die dem Fußballbund als Beweis gelten, mit der frühen Förderung einiges richtig gemacht haben. Denn alle acht wurden mit der Fritz Walter Medaille ausgezeichnet, jenem Gütesiegel mit dem der DFB jedes Jahr sich selbst zelebriert und das er unter dem Deckmantel eines Preisgeldes zur Notwendigkeit deklariert.
Zwölf spielten nicht mal Zweite Liga
Auf der einen Seite stehen die Weltmeister und weitere erfolgreiche Produkte der Medaille wie Boateng, die Benders, Rudy, Holtby, Horn, ter Stegen und Volland. Auf der anderen im Dunkel liegenden Seite, der im wahrsten Sinne des Wortes Kehrseite der Medaille, stehen Männer wie Florian Müller, Robert Fleßers oder Sergej Evljuskin Männer, die einst landesweit Beste ihres Jahrgangs ausgezeichnet wurden und die später der Fluch der Medaille traf. Zwölf Ausgezeichnete, die heute dem Jugendalter entwachsen sind, haben nie ein Bundesligaspiel absolviert. Einer kickt in Österreichs Zweiter Liga, einer in Deutschlands Fünfter. Elf der ehemaligen Hoffnungsträger spielen nur in der dritten Bundesliga oder der Regionalliga und einer hat sogar ganz seine Karriere beendet. Eine Suche nach dem Warum in den gescheiterten Karrieren der Medaillengewinner. Ein Porträt der verlorenen Söhne des deutschen Fußballs.
Er hat es gleich zweimal getan und ist so gemeinsam mit Mario Götze der einzige, dem das Kunststück gelang zweimal mit der Fritz Walter Medaille in Gold ausgezeichnet zu werden. 2005 in der U-17, ein Jahr später in der U-18. In beiden Jahren hat er sich dabei unter anderem gegen die Herren Özil, Boateng und Hummels durchgesetzt. Diese Drei wurden 2014 gemeinsam mit Götze Weltmeister Sergej Evljuskin kickt 2014 in der vierten Liga bei Hessen Kassel. Einst als Jahrhundert-Talent gepriesen, in der Jugend Kapitän der deutschen U-19 und der Wölfe A-Jugend und in Jugend in einer Saison 98 Tore erzielend, ist Evljuskin heute ein Niemand. Er hat nie in der ersten oder zweiten Liga gespielt und verdient einen winzigen Bruchteil dessen, was jeden Monat auf das Konto von Özil fließt.
Preisträger 2014: Brandt (rechts) und Gimber (2. von links) holten Gold.
Evljuskin steht stellvertretend für eine ganze Reihe von Medaillengewinnern, die später an den hohen Erwartungen zerbrachen. Florian Müller ließ 2005 Neuer hinter sich und hat letztes Jahr mit 26 seine Karriere beendet. Lennart Hartmann wurde 2008 zum jüngsten Spieler in Hertha BSC Berlins Historie und zum neuen Deisler gemacht. Heute spielt er in der fünften Liga für Tennis Borussia Berlin. Die Reihe lässt sich weiter fortsetzen insgesamt 23 Gewinner dürfen im Vergleich zu den Erwartungen als gescheitert angesehen werden. Wie kann das sein? Wie können hochtalentierte Fußballer trotz DFB-Förderung später auf ganzer Linie scheitern?
Einst vor Götze und Neuer - heute vergessen
Fußballkarrieren hängen von Entscheidungen ab, oftmals reicht eine aus, um den ganzen weiteren Karriereweg zu beeinflussen. Bei Evljuskin ist zwar nicht freiwillig Peter Hyballa Schuld. Der heutige Trainer von Bayer Leverkusens U-19 war von 2005 bis 2007 Trainer von Evljuskin und förderte sein Juwel sehr. Er war mitverantwortlich für die Reife des gebürtigen Kirgisen.
"Sergej war wirklich ein außergewöhnlicher Spieler", erinnert sich Hyballa. Er habe schon früh sehr erwachsen gespielt und für jedes Problem im Spiel die richtige Lösung parat gehabt."Ich habe immer gedacht: Der Sergej, der wird es in der Bundesliga packen", sagt Hyballa.
Evljuskin war Kapitän der deutschen U-19, wo er mit Özil und Boateng zusammenspielte. Kaiser riefen sie ihn in Wolfsburg.
2008 kam Felix Magath in die VW-Stadt und holte 27 neue Spieler - für den damals 20-jährigen Evljuskin, der in Wolfsburgs Reserve zu den Leistungsträgern gehörte und nun endlich den Durchbruch in der Bundesliga schaffen wollte, ein Nackenschlag. Er war immer noch eines der Talente des deutschen Fußballs er versuchte es gegen Misimovic, Josué und Co. Wolfsburg wurde Meister, Evljuskin spielte nicht eine Minute. 2010 floh er mit inzwischen 22 Jahren nach einer weiteren misslungenen Saison. Er hatte Angebote von Leverkusen, Bremen, Freiburg und Hannover. Besonders Leverkusens Coach Jupp Heynckes bemühte sich besonders um die Dienste des Juwels. Der sensible Evljuskin aber war inzwischen mit einem tief verankertem Misstrauen gegenüber der Branche ausgestattet und wollte unbedingt spielen, also folgte er lieber dem Ruf der dritten Liga, wo sein Förderer Hyballa Trainer von RW Essen werden sollte. Evljuskin unterschrieb und spürte erstmals seit langem so etwas wie Euphorie. Diese verflog schnell, nur Tage nach seiner Unterschrift wurde Essen die Lizenz verweigert, Hyballa ging zu Aachen und Evljuskin war plötzlich vertragslos. Die Kader der Bundesligisten standen, sodass auch Leverkusen und Co. Keine Verwendung mehr hatten für ihn. Rostock holte ihn: der Anfang vom Ende. Frustriert und verunsichert gelang im Training wenig, von einer Sonderbehandlung wie in Wolfsburg war er weit entfernt. Er wurde oft nur in der zweiten, fünftklassigen Mannschaft der Rostocker eingesetzt. Über Babelsberg und Goslar ist er 2014 mit 26 Jahren bei Kassel in der RL Südwest gelandet der traurige Höhepunkt einer verschenkten Karriere.
Gewann zweimal Gold - wie Mario Götze: Sergej Evljuskin
Auch Florian Müller traf eine folgenschwere Entscheidung. 2005 gewann er Gold in der U-19 vor Manuel Neuer und Eugen Polanski. Als Leistungsträger der deutschen U-19 nahm er 2005 an der EM teil und absolvierte alle sieben Spiele der Endrunde. Auch im Verein lief es gut. Nachdem Union Berlin Coach Frank Wormuth ihn zu den Profis geholt hatte, überzeugte er als einer der wenigen Berliner in der Katastrophen-Saison 2004/2005 in der dritten Liga. Am Ende wurde er Unioner des Jahres. Nach seiner Auszeichnung mit der Fritz Walter Medaille wollte ihn die halbe Bundesliga. Er entschied sich wohl auch aus Übermut für den FC Bayern München. Dort sollte er von der zweite Mannschaft langsam heran geführt werden. Zwar überzeugte er dort, ernsthaft in Frage für das erste Team kam er aber nicht. Über Magdeburg, wo er überzeugte kam er zu Aachen in der zweiten Liga und zu seinem Debüt im Profifußball. Sein Traum von mehr machte sein Knie zunichte. 2013 hat er seine Karriere beendet und studiert jetzt.
Ebenso traurig der Fall von José Alex Ikeng, der 2006 die Bronzemedaille in der U-18 erhielt. Ikeng war in Deutschlands U-18 als torgefährlicher Techniker eine echte Größe und war auch beim VfB Stuttgart auf dem Weg in den Kader der ersten Mannschaft. Dann riss 2006 das Kreuzband im rechten Knie. Im März 2007, nur drei Wochen nachdem er wieder ins Training eingestiegen war, riss das Band erneut und sogar ein Karriereende stand im Raum. Er kämpfte sich zurück und stand nach 20 Monaten ohne Spiel 2008 wieder für Stuttgarts Reserve auf dem Platz.
Das Pech blieb ihm aber treu, was den gebürtigen Ivorer frustrierte: Ausschluss aus dem Kader nach Schlägerei im Training 2009. Wechsel zu Bremen. Erneuter Kreuzbandriss. Weitere Knieprobleme. Disko-Schlägerei 2010. Wechsel zu Ingolstadt. 2013 Vertragsauflösung.
Heute spielt der 1,88-Mann bei SC Austria Lustenau in Österreichs zweiter Liga. Statt gegen Bayern München oder den HSV spielt er heute vor 800 Zuschauern gegen den Florisdorfer AC.
Talent ist eben nicht alles
Diese Wege zeigen, wie schwerwiegend oft falsche Entscheidungen in der schnelllebigen und harten Profibranche ist. Zur falschen Zeit am falschen Ort, falsche Trainer, ungünstige Verletzungen. Dazu der stetige Druck der Fritz Walter Medaille. Daran zerbrachen die jungen Männer, deren Karrieren oft zu Ende gingen bevor sie wirklich begonnen hatten. Das Talent, um es zu packen hatten sie alle, sogar mehr als das. Sie alle waren in Deutschlands Juniorenteams Leistungsträger und waren erfolgreich in der Jugend. Es gehört eben so viel mehr zum Profifußball als Können. Das mussten die tragischen Gewinner, die dann der Fluch des Fritz Walter traf schmerzlich erfahren. Männer wie Evljuskin, Müller, Fleßers, Eberlein, Ikeng, Konrad, Texeira, Funk, Jungwirth, Adlung, Gulde, Hartmann, Radjabali-Fardi, Bertram, Yabo, Halfar oder Terrazzino.
Die meisten sind noch nicht alt, den Traum von der großen Karriere haben sie aber aufgegeben. "Man muss realistisch bleiben", sagt Evljuskin während des Prä-WM-Testspiels gegen Polen. Dort wird ein gewisser André Hahn eingewechselt. Der hat nie in einer Jugendauswahl des DFB gespielt. Im Gegenteil: Ähnlich wie Philipp Wollscheid war er ein echter Spätstarter. In der Jugend spielte er für Bremerhaven und Cuxhaven, eine umfassende Taktikausbildung hat er nicht genossen. Der, der es nicht über die dritte Liga hinaus schaffte, ist heute Nationalspieler und Leistungsträger bei Gladbach. Glück, Entwicklung und Beharrlichkeit halfen Hahn, der jetzt ebenso Bundesligaspieler ist wie Brückner von Paderborn. Einer, der einst obdachlos war und das Talent für die oberste Spielklasse nie hatte im Gegensatz zu den verlorenen Söhnen des deutschen Fußballs.
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Vielen Dank für die Hintergrund Info´s.