08.06.2011 um 19:37 Uhr
Dirigent und Künstler
Er holte den Ball aus dem Netz und trug ihn energischen und sicheren Schrittes zum Mittelkreis. Das WM-Finale ´58 war gerade einmal vier Minuten alt und schon lagen die Brasilianer zurück. Doch er bewahrte die Ruhe – trotz der jubelnden Zuschauer und trotz des Traumas von vor acht Jahren im Hinterkopf, als man bei der Heim-WM im letzten Spiel völlig überraschend den Titel verspielte.
Große Spieler übernehmen Verantwortung – und das tat er. Nun wollte man den Titel endlich gewinnen – und das demonstrierte er. Der Anstoß wird ausgeführt, ein Blick, ein Pass – und Garrincha ist frei vor dem Torwart. Der Ball geht zwar nicht ins Tor. Aber das, was sich gerade abgespielt hat, ist der Startschuss für das Comeback der Brasilianer. Am Ende gewinnen sie 5:2 und den Titel – und er die Auszeichnung "Bester Spieler des Turniers".
Nein, es geht nicht um Pelé, sondern es geht um seinen "Bruder" und "Lehrmeister" Valdir Pereira, Künstlername: Didi, geboren am 8. Oktober 1928 in Campos nahe Rio de Janeiro. Die Auszeichnung ist völlig verdient. Die Welt mochte den Startschuss für die Weltkarriere des Jahrhundertfußballers Pelé ebenso gesehen haben wie den endgültigen Beginn des modernen Fußballs, aber der Dirigent des brasilianischen Orchesters war Didi.
Er hatte seine Mannschaft in der Qualifikation gegen Peru überhaupt erst zur WM geschossen und während des Turniers nicht nur auf dem Feld geglänzt, sondern auch außerhalb einiges geleistet – jeweils symbolisiert durch seinen Marsch zur Mitte nach dem frühen Rückstand. Er war es, der sich im Turnierverlauf mehrfach für eine Aufstellung der beiden späteren Stars Pelé und Garrincha beim Trainer stark gemacht hatte.
Und er war eben der Dirigent, der Taktgeber, der Spielmacher des Spiels, welches als Futebol Arte in die Geschichte einging. Seine Position war abhängig von der des Balles, er lenkte das Spiel, kombinierte mit den Spielern vor ihm, brachte Fluss ins Spiel und hatte immer wieder Zeit für den einen oder anderen Trick oder eine Prise Zauber, welche das Spiel der Mannschaft garnierten, aber immer die Effektivität und den Nutzen im Blick behielten.
Für Didi war Fußball eine Kunst, aber die Kunst des Einzelnen musste sich dem System unterordnen und innerhalb des Systems funktionieren und nutzen, damit das System selbst Kunst sein konnte – womit er die Ideen des totalen Fußballs und von Valerij Lobanowski vorwegnahm.
Für Visionen war Didi bekannt, nach diesem Motto spielte er – immer das Ganze im Blick und eben deshalb konnte er der Dirigent sein, der das ganze Spiel dirigierte, seine Pässe bestimmten den Rhythmus, den er anziehen, verschleppen, verändern konnte. Die kleinen Zaubereien, seine Außenristpässe und seine Freistöße – die sich gegen Ende der neuartigen Flugbahn wie ein "welkes Blatt" im Wind hinab senkten – waren wie kleine Taktwechsel.
Fußball ist Kunst, Fußball ist Musik – Didi, das Genie, ist der fleischgewordene Ausdruck dafür. Er konnte die Improvisation mit dem Geplanten und das Intuitive mit dem Bewussten verbinden. Seine Aktionen auf dem Feld waren so beabsichtigt wie die geometrischen Formen eines Malers gemalt oder der Aufbau eines Gedichtes erdacht, aber ohne mit seiner Natur in die Quere zu kommen. Erst Didi – so Pelé – habe Brasilien gezeigt, dass der Kunstfußball mit Erfolg vereint werden könnte. Die berühmte Bezeichnung für diesen Kunstfußball – "the beautiful game" bzw. das schöne Spiel – stammt passenderweise von dessen Regisseur.
Die persönliche Krönung gelang Didi 1962, kam aber recht unerwartet. Auch ohne den verletzten Superstar Pelé glückte das brasilianischen Vorhaben Titelverteidigung, weil Didi – vor dem Turnier noch kritisiert – wieder zur Hochform auflief. Dies lag daran, dass er sein Spiel seinem Alter anpassen konnte und vom ständig zum Ball verschiebenden, offensiven Spielmacher zu einem deeplying-playmaker wurde. Zusammen mit Garrincha führte er das Team zum Titel.
Mit diesem verband ihn ein gemeinsames Schicksal: Garrincha hatte krumme Beine – ein X-Bein und ein O-Bein – und dass er nach einer komplizierten Operation überhaupt laufen konnte, war ein medizinisches Wunder. Auch Didi kannte diese Erfahrung, drohte ihm doch im Alter von 14 Jahren wegen einer Knieinfektion die Beinamputation. Hier gab es auch ein Wunder und vielleicht lag es ihren Lebensläufen, dass Didi den unberechenbaren Garrincha besser verstand.
2000 wurden die beiden – wie Pelé und Zico – vom brasilianischen Fußballverband zu den vier besten Fußballern des Landes aller Zeiten gewählt. Diese Wertschätzung genießt Didi allerdings außerhalb seiner Heimat nicht, wo er ziemlich in Vergessenheit geraten ist – was vielleicht daran liegt, dass seine Zeit in Europa – 1959 spielte er eine Saison für Real Madrid, hatte aber Probleme mit Leitwolf Di Stéfano – nur ein kurzes Intermezzo war. Auf Facebook gefällt Didi gerade einmal 9 Personen.
Diese Auszeichnung war neben den beiden WM-Titeln jedenfalls der dritte große sportliche Erfolg seines Lebens, welches schließlich am 12. Mai 2001 nach 72 Jahren sein Ende fand. Es war wohl kein Zufall, dass er schließlich an Krebs sterben würde – bis zu 40 Zigaretten am Tag soll er geraucht haben.
Er ist aber nicht der einzige Kettenraucher des brasilianischen Fußballs. Der Mittelfeldspieler Gérson, mit dem Didi noch in der Nationalmannschaft und später einige Jahre bei Botafogo zusammen spielte, ist ebenfalls dafür bekommt. Bei der Weltmeisterschaft 1970, als die Brasilianer ihren dritten Titel gewannen, spielte jener Gérson im zentralen Mittelfeld – in ähnlicher Manier wie Didi zwölf Jahre zuvor: Brasilien hatte wieder einen Spielmacher und es galt wieder die Kombination Spielmacher plus Pelé plus Sturmpartner.
Bis zu diesem Zeitpunkt galt das Team von 1958 als das beste aller Zeiten, aber mit dem Gewinn des Titels 1970 erfolgte die Staffelstabübergabe an die neuen Titelträger – symbolisch übergeben wurde die Bezeichnung "bestes Team aller Zeiten" von Didi, der als Trainer die peruanische Mannschaft sensationell und mit attraktivem Spiel ins Viertelfinale brachte, wo man dem "neuen" Brasilien unterlag.
Das Turnier 1970 war aufgrund der mexikanischen Hitze das letzte, bevor der Fußball seine Unschuld verlor – noch einmal Räume, noch einmal reine Kunst, noch einmal das schöne Spiel.
Große Spieler übernehmen Verantwortung – und das tat er. Nun wollte man den Titel endlich gewinnen – und das demonstrierte er. Der Anstoß wird ausgeführt, ein Blick, ein Pass – und Garrincha ist frei vor dem Torwart. Der Ball geht zwar nicht ins Tor. Aber das, was sich gerade abgespielt hat, ist der Startschuss für das Comeback der Brasilianer. Am Ende gewinnen sie 5:2 und den Titel – und er die Auszeichnung "Bester Spieler des Turniers".
Nein, es geht nicht um Pelé, sondern es geht um seinen "Bruder" und "Lehrmeister" Valdir Pereira, Künstlername: Didi, geboren am 8. Oktober 1928 in Campos nahe Rio de Janeiro. Die Auszeichnung ist völlig verdient. Die Welt mochte den Startschuss für die Weltkarriere des Jahrhundertfußballers Pelé ebenso gesehen haben wie den endgültigen Beginn des modernen Fußballs, aber der Dirigent des brasilianischen Orchesters war Didi.
Er hatte seine Mannschaft in der Qualifikation gegen Peru überhaupt erst zur WM geschossen und während des Turniers nicht nur auf dem Feld geglänzt, sondern auch außerhalb einiges geleistet – jeweils symbolisiert durch seinen Marsch zur Mitte nach dem frühen Rückstand. Er war es, der sich im Turnierverlauf mehrfach für eine Aufstellung der beiden späteren Stars Pelé und Garrincha beim Trainer stark gemacht hatte.
Und er war eben der Dirigent, der Taktgeber, der Spielmacher des Spiels, welches als Futebol Arte in die Geschichte einging. Seine Position war abhängig von der des Balles, er lenkte das Spiel, kombinierte mit den Spielern vor ihm, brachte Fluss ins Spiel und hatte immer wieder Zeit für den einen oder anderen Trick oder eine Prise Zauber, welche das Spiel der Mannschaft garnierten, aber immer die Effektivität und den Nutzen im Blick behielten.
Für Didi war Fußball eine Kunst, aber die Kunst des Einzelnen musste sich dem System unterordnen und innerhalb des Systems funktionieren und nutzen, damit das System selbst Kunst sein konnte – womit er die Ideen des totalen Fußballs und von Valerij Lobanowski vorwegnahm.
Für Visionen war Didi bekannt, nach diesem Motto spielte er – immer das Ganze im Blick und eben deshalb konnte er der Dirigent sein, der das ganze Spiel dirigierte, seine Pässe bestimmten den Rhythmus, den er anziehen, verschleppen, verändern konnte. Die kleinen Zaubereien, seine Außenristpässe und seine Freistöße – die sich gegen Ende der neuartigen Flugbahn wie ein "welkes Blatt" im Wind hinab senkten – waren wie kleine Taktwechsel.
Fußball ist Kunst, Fußball ist Musik – Didi, das Genie, ist der fleischgewordene Ausdruck dafür. Er konnte die Improvisation mit dem Geplanten und das Intuitive mit dem Bewussten verbinden. Seine Aktionen auf dem Feld waren so beabsichtigt wie die geometrischen Formen eines Malers gemalt oder der Aufbau eines Gedichtes erdacht, aber ohne mit seiner Natur in die Quere zu kommen. Erst Didi – so Pelé – habe Brasilien gezeigt, dass der Kunstfußball mit Erfolg vereint werden könnte. Die berühmte Bezeichnung für diesen Kunstfußball – "the beautiful game" bzw. das schöne Spiel – stammt passenderweise von dessen Regisseur.
Die persönliche Krönung gelang Didi 1962, kam aber recht unerwartet. Auch ohne den verletzten Superstar Pelé glückte das brasilianischen Vorhaben Titelverteidigung, weil Didi – vor dem Turnier noch kritisiert – wieder zur Hochform auflief. Dies lag daran, dass er sein Spiel seinem Alter anpassen konnte und vom ständig zum Ball verschiebenden, offensiven Spielmacher zu einem deeplying-playmaker wurde. Zusammen mit Garrincha führte er das Team zum Titel.
Mit diesem verband ihn ein gemeinsames Schicksal: Garrincha hatte krumme Beine – ein X-Bein und ein O-Bein – und dass er nach einer komplizierten Operation überhaupt laufen konnte, war ein medizinisches Wunder. Auch Didi kannte diese Erfahrung, drohte ihm doch im Alter von 14 Jahren wegen einer Knieinfektion die Beinamputation. Hier gab es auch ein Wunder und vielleicht lag es ihren Lebensläufen, dass Didi den unberechenbaren Garrincha besser verstand.
2000 wurden die beiden – wie Pelé und Zico – vom brasilianischen Fußballverband zu den vier besten Fußballern des Landes aller Zeiten gewählt. Diese Wertschätzung genießt Didi allerdings außerhalb seiner Heimat nicht, wo er ziemlich in Vergessenheit geraten ist – was vielleicht daran liegt, dass seine Zeit in Europa – 1959 spielte er eine Saison für Real Madrid, hatte aber Probleme mit Leitwolf Di Stéfano – nur ein kurzes Intermezzo war. Auf Facebook gefällt Didi gerade einmal 9 Personen.
Diese Auszeichnung war neben den beiden WM-Titeln jedenfalls der dritte große sportliche Erfolg seines Lebens, welches schließlich am 12. Mai 2001 nach 72 Jahren sein Ende fand. Es war wohl kein Zufall, dass er schließlich an Krebs sterben würde – bis zu 40 Zigaretten am Tag soll er geraucht haben.
Er ist aber nicht der einzige Kettenraucher des brasilianischen Fußballs. Der Mittelfeldspieler Gérson, mit dem Didi noch in der Nationalmannschaft und später einige Jahre bei Botafogo zusammen spielte, ist ebenfalls dafür bekommt. Bei der Weltmeisterschaft 1970, als die Brasilianer ihren dritten Titel gewannen, spielte jener Gérson im zentralen Mittelfeld – in ähnlicher Manier wie Didi zwölf Jahre zuvor: Brasilien hatte wieder einen Spielmacher und es galt wieder die Kombination Spielmacher plus Pelé plus Sturmpartner.
Bis zu diesem Zeitpunkt galt das Team von 1958 als das beste aller Zeiten, aber mit dem Gewinn des Titels 1970 erfolgte die Staffelstabübergabe an die neuen Titelträger – symbolisch übergeben wurde die Bezeichnung "bestes Team aller Zeiten" von Didi, der als Trainer die peruanische Mannschaft sensationell und mit attraktivem Spiel ins Viertelfinale brachte, wo man dem "neuen" Brasilien unterlag.
Das Turnier 1970 war aufgrund der mexikanischen Hitze das letzte, bevor der Fußball seine Unschuld verlor – noch einmal Räume, noch einmal reine Kunst, noch einmal das schöne Spiel.
Aufrufe: 7627 | Kommentare: 8 | Bewertungen: 18 | Erstellt:08.06.2011
ø 9.6
KOMMENTARE
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08.06.2011 | 19:42 Uhr
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possessionplay :
Bild ist von Wikipedia, das ist ja - glaube ich - erlaubt.
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01.07.2011 | 13:32 Uhr
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mayoble :
Schön! Nicht der erste Didi-Blog hier, aber mit Sicherheit der poetischste! Gibt ganz klare 10 Punkte von mir.
Das mit dem Bild sollte tatsächlich erlaubt sein, zumindest, wenn du die Quelle nennst, was du ja gerade getan hast.
edit: seh ich erst jetzt: Das Teil ist ja schon einen Monat online! Eine Schande, dass mir das entgangen ist, aber schön, dass es jetzt noch angeteasert wird. Es lebe die Sommerpause
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02.07.2011 | 12:20 Uhr
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lebr0n :
kann mich shpendiii nur anschließen..das lesen war ein hochgenuss.. bitte mehr davon.. evtl über die mannschaft um zico, socrates und falcão, die auch den jogo bonito gepriesen hat, jedoch den wm-titel nicht gewinnen konnte.. bis heute wird dieses team in brasilien als das beste in der geschichte seleção gesehen..
ps:
"Auf Facebook gefällt Didi gerade einmal 9 Personen." durch deinen blog sollten es ein paar mehr geworden sein.. daumen hoch!
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02.07.2011 | 16:27 Uhr
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Ortega28 :
Klasse Blog - klasse Story!Kannte ihn, wusste über sein Fußballer dasein nicht wirklich viel.
Hätte man auch noch erwähnen können dass Didi auch als Trainer aktiv war. War glaube ich, der charismatischste Trainer den Fenerbahce je hatte.
Bitte mehr davon.
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02.07.2011 | 16:33 Uhr
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Xavi_6 :
geiler blog, 10 punkte dafür.übrigens:
sokrates, der berühmte spielmacher des wm-teams 82, war auch ein kettenraucher :D
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03.07.2011 | 14:48 Uhr
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Das waren Spieler, von denen man in Europa träumen konnte, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Heute sieht man etwa 200 brasilianische Fußballer in irgendwelchen Ligen weltweit spielen, und auch die, welche in der Heimat zaubern, sind in der vernetzten Welt tagtäglich präsent. Damals sah man sie alle 4 Jahre, und höchstens eine Handvoll spielte in Europa, und wenn dann bei REAL Madrid, und auch REAL konnte man damals außerhalb Spaniens nicht jeden Tag verfolgen...
Ich denke, die beinahe religiöse Verehrung die man diesen Spielern entgegen brachte, lag auch daran, daß man sie eben nicht tag täglich bei der Ausübung ihrer Kunst beobachten konnte...
Ich finde, auch daß dies heute so anders ist, hat den Fußball ärmer gemacht...
10 P.
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04.07.2011 | 11:34 Uhr
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Mal sehen, ob ich in nächster Zeit etwas ähnliches schreibe.
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