Renaissance des Bücherwurms

Martin Klotz
18. September 201515:02
Miroslav Raduljica spielt für Serbien bei der EuroBasket groß aufgetty
Werbung

Als Miroslav Raduljica vor vier Jahren nach Berlin kam, war er ein gebranntes Kind. Bei der EuroBasket spielt der bärtige Center des serbischen Teams groß auf und führt einigen NBA-Teams vor Augen, was sie an ihm hätten haben können. Stattdessen setzt Raduljica seine Karriere kommende Saison in der Turkish Airlines Euroleague fort. Am Freitagabend (ab 21 Uhr im LIVETICKER) kämpft er mit Serbien gegen Litauen um den Einzug ins Finale der EuroBasket.

"Es war wie im schlechten Film. Allen Beteiligten war klar, dass ich aus der Nummer nicht so leicht rauskommen sollte und das Geld fließen muss." Die Worte, die Miroslav Raduljica vor einigen Jahren in einem BIG-Interview aussprach, waren heftig. Und sie offenbarten Enttäuschung und Frust.

Seine Karriere hatte vielversprechend begonnen, doch seine Gutgläubigkeit im Haifischbecken des osteuropäischen Basketballs sollte ihn teuer zu stehen kommen. Fünf Jahre und eine lange Reise später kann Ca, wie er gerufen wird, endlich wieder lachen.

Bei der EuroBasket ist er eine der Säulen des starken und ausgeglichenen serbischen Teams. Sollte die Mannschaft von Sasa Djordjevic am Sonntag einen Platz auf dem Podest ergattern, wäre es die erste Medaille bei den kontinentalen Wettkämpfen in der Geschichte des unabhängigen Serbiens. Raduljica spielt bei diesem Unterfangen eine Schlüsselrolle.

Spritztouren mit zehn

Ca beschreibt sich selbst als guten Jungen. Einmal habe er allerdings "verbotenerweise mit dem Feuer gespielt und unser Haus dabei fast abgefackelt. Das war sehr dramatisch", so Raduljica im angesprochenen Interview: "Und ich habe regelmäßig den Wagen von meinen Vater 'ausgeliehen' und bin in der Gegend rumgefahren" - im Alter von zehn Jahren. Kein Wunder, groß war Ca schon immer.

Mit 14 Jahren verließ er das kleine Städtchen Indjija und zog ins 60 Kilometer entfernte Internat von FMP Zelesnik, eine der härtesten Kaderschmieden Europas. Und Raduljica arbeitete. Schon bald feierte er sein Debüt in der serbischen Liga und war für die Jugendnationalmannschaften aktiv. Bei jedem großen Turnier standen Leistungsträger Raduljica und seine Kameraden ganz oben auf dem Treppchen.

Aber die unermüdliche Schufterei bei FMP, das später mit Roter Stern Belgrad fusionierte, hatte auch ihre Schattenseiten: "Ich stand acht Jahre lang bei denen unter Vertrag und habe geschuftet wie ein Esel", sagte der 2,13-Meter-Hüne: "Wenn du da spielst, musst du den großen Ansprüchen gerecht werden. Für Schwächlinge gibt es keinen Platz. Mein Körper hat Signale gesendet, ich hätte eine Pause gebraucht." Doch Ca, inzwischen zum Top-Scorer und Top-Rebounder der serbischen Liga aufgestiegen, bekam keine.

Falsches Spiel

Stattdessen gab es eine Lektion fürs Leben. Als sein Vertrag 2010 auslief, wollte er in die Welt hinaus und bei Anadolu Efes den nächsten Schritt machen. Doch in Belgrad trieb man mit ihm ein falsches Spiel: "Als Efes meine Freigabe beantragte, erhielten sie die Antwort vom serbischen Verband, dass ich keine bekäme, da ich noch einen gültigen Vertrag mit FMP besäße und das bis 2012", erzählte der Center: "Gleichzeitig berichteten Medien, ich wolle mich aus meinem Vertrag bei FMP rausstehlen."

Zum Glück für Raduljica setzte sich Efes für ihn ein und obwohl er eigentlich Free Agent gewesen wäre, floss eine unbekannte Summe vom Bosporus auf das FMP-Konto. Erst dann durfte Ca gehen. In der Türkei konnte er endlich aufatmen, doch die Freude war nur von kurzer Dauer. Nicht, dass er nicht bereits genug gelitten hätte.

Der Körper streikt

Bei der Vorbereitung für die WM 2010 erlitt Raduljica einen Ermüdungsbruch im Fuß, eine Folge der stetigen und zu hohen Belastung in Belgrad. "Ich habe mich wie ein Haufen Scheiße gefühlt", so Ca, der das komplette Turnier verpasste: "Meine Seele hat geschmerzt. Ich sollte zum ersten Mal mit den Männern eine WM spielen. Das war immer mein größter Traum, dann kam die Verletzung. Alles, was ich dann machte, war auf der Tribüne zu kämpfen, nicht loszuheulen. Ich bin sehr patriotisch. Das war für mich, als wäre mir ein Verbrechen angetan worden."

Zurück in Istanbul wurde es nicht besser. Aufgrund der Verletzung hatte Anadolu Raduljica nicht für die Liga gemeldet und da in der Euroleague nach der Gruppenphase Schluss war, kam Ca auf lediglich vier Einsätze. Vier. In einem Jahr. Es musste etwas passieren.

Wechsel, Wechsel, Wechsel

Als im März 2011 das Angebot von Alba Berlin ins Haus flatterte, fackelte Raduljica nicht lange und sagte direkt zu. Auf drei Monate BBL und die Vizemeisterschaft mit den Albatrossen folgten ein Jahr bei Partizan Belgrad, dem alten FMP-Rivalen, und ein Jahr in der Ukraine. Warum das alles? Bei Efes hatte er nach einem Coaching-Wechsel keine Zukunft mehr.

Auch Raduljica selbst verlor langsam den Glauben, flüchtete sich in seine große Leidenschaft: Bücher. "Als wir mit der serbischen Jugendnationalmannschaft anfingen, richtig viele Auswärtsfahrten zu machen, gab mir der damalige Physiotherapeut einen Rat", erzählte Ca: "Er sagte, statt Musik zu hören oder Playstation zu spielen, solle ich lieber ein Buch lesen. Statt müde würde ich davon eher noch wachsamer werden. Ich folgte dem Rat und es war das Beste, was ich tun konnte."

Ungewollter Neuanfang

Der erlösende Anruf kam aus den USA. Den Milwaukee Bucks war es egal, dass sich Raduljica noch zwei Jahre zuvor gegen den NBA-Stil ausgesprochen hatte. "Für mich gibt es nur in Europa echten Basketball und ein Wechsel ist völlig ausgeschlossen", hatte er damals gesagt. Aber was interessierte ihn sein Geschwätz von gestern? Die Bucks wollten ihn haben! Es war der Neuanfang, den sich Raduljica seit Langem erhofft hatte.

Da Larry Sanders dem Sport überraschend den Rücken kehrte und der etatmäßige Bucks-Center Zaza Pachulia ein Drittel der Spiele verpasste, durfte Raduljica insgesamt 48 Mal ran, zweimal sogar von Beginn an. Doch die Gesetze der NBA verschonten auch ihn nicht. Um Jared Dudley in die Braustadt zu holen, tradete Milwaukee Raduljica im Paket mit Carlos Delfino zu den Los Angeles Clippers, die beide umgehend waivten.

Nach einem Engagement in China kehrte Raduljica für zwei 10-Tages-Verträge in die NBA zu den Minnesota Timberwolves zurück, doch für einen Deal bis zum Saisonende reichte es aufgrund einer Knöchelverletzung nicht. Dennoch war die Zeit in Nordamerika für Ca die vielleicht wichtigste seiner Karriere. Er lernte schnell, sog alles auf und schöpfte nach den Erlebnissen, die ihn an den Rand der Depression gebracht hatten, wieder Hoffnung.

Hoch hinaus

Bei der EuroBasket präsentiert sich Raduljica im neuen Gewand aus Selbstbewusstsein und besseren Skills. Und als eine Macht unter den Körben. Schon auf dem Weg zum serbischen WM-Silber 2014 lieferte Ca mit einem Schnitt von 13 Punkten und 4,6 Rebounds eine starke Leistung ab, dieses Jahr hat er sich noch einmal gesteigert.

Als Schlüsselspieler von der Bank legt Raduljica in nur 17 Minuten 14,4 Punkte und 4,7 Rebounds auf - bei der turnierbesten Feldwurfquote von 65,2 Prozent. In der K.o.-Runde sind es sogar überragende 21,5 Punkte pro Partie und 81 Prozent aus dem Feld.

Im Halbfinale gegen Litauen hat Ca in Jonas Valanciunas von den Toronto Raptors einen würdigen Gegenspieler. Der hat zwar weniger Bart und Tattoos als Raduljica, versenkte Italien im Viertelfinale aber quasi im Alleingang.

Ab nach Hellas

Unter Coach Djordjevic hat sich Raduljica seit jeher wohl gefühlt - einer der Gründe, weshalb Ca nach der EuroBasket für Panathinaikos Athen, den neuen Klub Djordjevics, auf Korbjagd gehen wird. Als Starting Center.

Die Zeit mit dem Nationalteam ist für Raduljica nach acht Wechseln in fünf Jahren gleichsam eine Konstante und eine Befreiung. "Es war einfach unfair" sagte Ca: "Ich habe mich so lange wie ein eingesperrter Tiger gefühlt. Ich wollte nur raus und es allen zeigen, wieder gewinnen. Aber ich konnte nicht."

Sein Traum von der eigenen Hühnerfarm und der Harley-Reise durch die USA müssen wohl noch ein wenig warten. Denn jetzt kann Miroslav Raduljica es endlich allen beweisen. Sowohl bei der EM als auch in der Euroleague.

Die EuroBasket im Überblick