"Ich habe Tretjak bezwungen"

Von Interview: Florian Regelmann
Ron Wilson begann seine NHL-Trainer-Karriere 1993 in Anaheim
© Imago

Exklusiv Ron Wilson stand bei über 1000 Spielen in der NHL an der Bande. Der 53-Jährige ist eine Trainer-Legende. Im SPOX-Interview spricht Wilson über seine Arbeit als Headcoach der USA, seine Pläne mit den Maple Leafs und ein unvergessliches Erlebnis in Deutschland.

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SPOX: Coach Wilson, wie schwer fällt es Ihnen, in diesem Jahr nicht in den Playoffs zu sein, sondern hier bei der WM arbeiten zu "müssen"?

Ron Wilson: Natürlich wäre ich gerne mit den Maple Leafs in die Playoffs gekommen, aber ich bin ja auch Headcoach der USA bei den Olympischen Spielen in Vancouver, insofern ist es eine tolle Gelegenheit für mich, wieder damit vertraut zu werden, wie die Teams international spielen. Ich werde dadurch besser auf Olympia vorbereitet sein und außerdem kann man immer Sachen lernen. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen, aber die Erfahrung hier macht mich auch in Toronto zu einem besseren Trainer.

SPOX: Die Schweiz ist doch außerdem ein ganz spezielles Land für Sie?

Wilson: Das stimmt. Ich kann mich gut an meine Zeit in der Schweiz erinnern, auch wenn sie lange zurück liegt. Ich war seit über 20 Jahren nicht mehr hier.

SPOX: Sie mussten auch in die Schweiz wechseln, weil Sie es in der NHL als Spieler nie ganz geschafft haben. Warum eigentlich nicht?

Wilson: Es war damals eine andere Ära. Ich war besser dafür geeignet, in Europa zu spielen. In der NHL wurde sehr physisch gespielt. Angesichts dessen, wie europäisch heutzutage in der NHL gespielt wird, hätte ich sicher bessere Chancen gehabt. Aber ich trauere nichts nach.

SPOX: Wollten Sie schon immer Coach werden?

Wilson: Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß gar nicht so richtig. Wenn du Spieler bist, denkst du darüber nicht nach. Du denkst, dass du ewig spielen wirst. Das ist einfach so, wenn man jung ist. Gegen Ende meiner Spieler-Karriere habe ich mir dann überlegt, dass es schön wäre, als Coach dem Sport verbunden zu bleiben. Ich dachte aber, dass ich in Europa trainieren würde, weil ich mir nicht sicher war, ob ich eine Chance in der NHL bekomme. Es hat ganz gut geklappt für mich.

SPOX: Das kann man wohl sagen. Sie haben über 1000 Spiele gecoacht. Es war aber kein leichter Weg für Sie, bis die Chance aus Anaheim kam.

Wilson: Ich musste mich von unten hoch arbeiten. Nicht viele überleben es, bei einem Expansion-Team zu beginnen. Da musst du viele Niederlagen einstecken. Ich bin stolz auf meine Bilanz in der NHL. Ich habe mir den Luxus erarbeitet, dass ich aufhören kann, wann ich will. Niemand wird mich davon abhalten, zu coachen. Es ist allein meine Entscheidung.

SPOX: Was ist Ihre Eishockey-Philosophie?

Wilson: Ich will, dass meine Mannschaft attackiert. Ich will den Puck haben. Jedes Mal, wenn die Jungs auf dem Eis sind, müssen sie ein Tor schießen wollen. Sie sollen Spaß haben. Und am meisten Spaß macht es, Tore zu schießen.

SPOX: Fitness ist Ihnen auch sehr wichtig. Sie haben das in Toronto mal in Ihrer besonderen Sprache auf "wilsonesisch" klargemacht.

Wilson (lacht): Ja, ich habe am letzten Tag vor der Sommerpause in Toronto gesagt, dass jeder, der sich nicht an das Fitnessprogramm hält, mit einem Fuß auf einer Bananenschale steht. Ich finde das passend. Ich will, dass mein Team das fitteste überhaupt ist.

SPOX: Sie nutzen aber auch die innovativsten High-Tech-Coaching-Methoden. Was machen Sie alles?

Wilson: Es ist so, dass wir in Toronto schon auf der Bank während des Spiels Video-Analysen machen. Es gibt so viele TV-Timeouts und Unterbrechungen, warum soll man die nicht sinnvoll nutzen? Die heutige Spielergeneration ist so visuell und auf Technik fixiert, da müssen wir Coaches mitziehen.

SPOX: In Toronto haben Sie eine schwierige Aufgabe vor sich. Was ist das Ziel?

Wilson: Das Ziel ist ganz klar, die Maple Leafs gemeinsam mit General Manager Brian Burke wieder zu den glorreichen Zeiten zurückzuführen, die sie schon hatten. Ich musste die Mannschaft komplett neu aufbauen. Wir haben ein sehr junges Team und hoffen, im nächsten Jahr die Playoffs zu erreichen. Unser Torwart Vesa Toskala muss eine bessere Saison spielen, aber es wird auf jeden Fall wieder schwer. In zwei oder drei Jahren wollen wir aber oben mit dabei sein.

SPOX: Wer ist Ihr Favorit auf den Stanley-Cup-Sieg?

Wilson: Für mich ist Detroit immer noch die beste Mannschaft. Ich hätte mehr von San Jose erwartet. Es hat mich überrascht, dass die Sharks ausgeschieden sind.

SPOX: Die Sharks hätten nach der letzten Saison wohl den Trainer nicht feuern sollen...

Wilson (lacht): Vielleicht rehabilitiert mich das, wenn sie ohne mich noch früher ausscheiden, aber es interessiert mich nicht mehr. Hey, es wird bestimmt Leute geben, die sagen, dass ich schuld bin, obwohl ich hier in der Schweiz bin. Es ist immer noch so, dass die Spieler auf dem Eis ihren Job erledigen müssen. Und als es darauf ankam, haben einige in den Playoffs nicht gut gespielt.

SPOX: Zurück zur WM: Die USA hat in der Geschichte erst zweimal Gold gewonnen. Wie kann das sein?

Wilson: Soll ich ein Beispiel nennen? Wir hatten vor der WM potenziell 28 Spieler aus der NHL zur Verfügung. Davon sind zehn oder elf verletzt ausgefallen. Das ist hart. Wir versuchen, im Laufe des Turniers immer mehr Spieler dazuzubekommen und dadurch werden wir besser, aber unsere wirklichen Top-Stars spielen alle in den Playoffs. Wir haben nicht so eine Tiefe wie Kanada oder Russland.

SPOX: Haben denn alle überhaupt Lust, eine WM zu spielen?

Wilson: Ja, absolut. Ryan Miller wäre gerne gekommen, aber er ist verletzt. Mit ihm hätten wir einen der besten Goalies der NHL dabei gehabt. Im Gegensatz zu früher wird es von den Spielern erwartet, dass sie bei der WM spielen.

SPOX: Aber die fehlenden Stars sind ja nicht der einzige Grund, warum es nicht so klappt. Es scheint auch, dass Ihre Spieler große Probleme haben, sich an die europäische Spielweise anzupassen.

Wilson: Es ist speziell für unsere Stürmer nicht einfach. Sie sind daran gewöhnt, an der Bande zu stehen und darauf zu warten, bis der Verteidiger ihnen den Puck zupasst. Sie müssen sich viel mehr bewegen und die größere Eisfläche ausnutzen, aber es wird immer besser. Ein Problem ist auch, dass der Druck, Spiele zu gewinnen, in der NHL so immens ist, dass es nur um Defense geht. Defense, Defense, Defense. Das tötet die Kreativität. Das ist übrigens auch der Grund, warum es viele Spieler gibt, die in Europa stark sind, aber wenn sie in der NHL spielen, kann man nicht glauben, dass das der gleiche Typ ist.

SPOX: Einer, der perfekt für dieses Spiel geeignet ist und einer, der mal ein Großer werden könnte, ist T.J. Oshie. Richtig?

Wilson: T.J. hat die besten Hände, die ich je bei einem Spieler gesehen habe. Was er im Shootout anstellt, darüber würde ich nicht einmal nachdenken, das zu probieren. Er muss nur noch mehr Erfahrung gewinnen, dann sind ihm keine Grenzen gesetzt.

SPOX: Wenn Sie die WM gewinnen würden, würde es in den USA jemand mitbekommen?

Wilson (lacht): Vielleicht. Aber wohl eher nicht. In Lettland ist nach dem Sieg gegen Schweden wahrscheinlich das Leben still gestanden und es wurde ein Nationalfeiertag ausgerufen. Die Schweden auf der anderen Seite standen heftig unter Beschuss. Weil die WM in diesen Ländern einfach wichtig ist. Wenn wir gegen Lettland verlieren würden, würde es niemand mitbekommen. In den USA schaut niemand zu. Unsere Spiele kommen nicht im Fernsehen. Wir sind also in gewisser Weise von Druck befreit, aber man braucht auch Druck, um seine beste Leistung abzurufen.

SPOX: Letzte Frage: Erinnern Sie sich noch an das Jahr 1975?

Wilson: Ich weiß, was Sie meinen. Ich habe mit 19 Jahren bei der WM in Deutschland gespielt. Wir haben alle Spiele verloren und sind Letzter geworden. Wir hatten nicht den Hauch einer Chance. Damals spielten vielleicht drei oder vier Europäer in der NHL. Wir waren College-Jungs und sind auf die Red Army oder die Tschechen um Novy, Hlinka oder Pospisil getroffen. Mein Gott, wir haben im ganzen Spiel nie den Puck gesehen. Aber ein tolles Erlebnis hatte ich.

SPOX: Und zwar?

Wilson: Ich habe gleich im ersten Drittel gegen die Sowjetunion ein Tor gegen Wladislaw Tretjak erzielt. Ich habe ihn einmal bezwungen. Bis heute ist das eines meiner großen Highlights in meiner Karriere. Es wurde damals nicht darüber berichtet, aber ich wusste, dass ich ihm einen reingehauen hatte. Das ist alles, was zählt.

Das Viertelfinale auf einen Blick