SPOX: Herr Krupp, nach der enttäuschenden WM 2009 waren Sie der große Buhmann der eigenen Fans. Sind Sie an allem schuld?
Uwe Krupp: Na ja, so ganz persönlich sehe ich die Sache nicht. Ich verstehe die Reaktion der Fans, weil man in Deutschland Mannschaften sehen will, die gewinnen. Wenn das nicht klappt, sind die Fans frustriert und äußern ihren Unmut. Eishockey nimmt in den Medien nicht an unserer täglichen Sportszene teil und damit wissen die Wenigsten, wie unser Stellenwert im internationalen Eishockey ist. Die Fans sehen ihre Klubmannschaft in einer Vorzeigearena erfolgreich spielen und sind dann enttäuscht, wenn die Nationalmannschaft um den Abstieg kämpft. Ganz, ganz wenige wissen, wie es um das deutsche Eishockey steht.
SPOX: Dass es nicht gut steht, wissen denke ich schon einige. Aber wie schlecht steht es Ihrer Meinung nach wirklich ums deutsche Eishockey?
Krupp: Nehmen wir die Vereine in der DEL. Die versuchen seit Jahren, kurzfristig erfolgreich zu sein und die Halle voll zu haben. Das Konzept dafür ist, dass man in fertige Spieler aus Übersee investiert, die dann in der Liga den Ton angeben, anstatt sich in der Nachwuchsarbeit zu engagieren. Ich bekomme E-Mails von Klub-Managern, die mir mitteilen, dass "Soundso" jetzt eine deutsche Staatsbürgerschaft hat und ich ihn doch mal testen sollte.
SPOX: Kann man den Managern einen großen Vorwurf machen?
Krupp: Nein, man kann es fast niemandem übel nehmen, zumal wir leider auch mittlerweile auf diese Spieler angewiesen sind, selbst, wenn es nur um den Klassenerhalt geht. Unsere von wenigen Vereinen betriebene Nachwuchsarbeit produziert nicht mehr genug Spieler. Wir leben auf internationaler Bühne mit den Konsequenzen dieser Entscheidungen, und ich bin nun mal der, der hinter der Bande steht. Damit aber eines klar ist: Ich mache diesen Job mit viel Stolz und bin stolz auf die Spieler. Wir können uns viele Vorwürfe anhören, aber nicht den, dass irgendjemand im Nationaltrikot seine Aufgabe leicht nimmt. Es gab nie den Moment, dass ich daran gedacht habe, die ganze Sache hinzuschmeißen.
SPOX: Welche Lehren haben Sie aus der WM gezogen?
Krupp: In erster Linie geht es bei uns um Personalentscheidungen. Wir haben sehr wenig Zeit zur Vorbereitung und brauchen Spieler, die innerhalb kürzester Zeit in der Lage sind, spielerisch und mental ihren Level auf das internationale Niveau zu bringen. Modernes Eishockey ist unheimlich dynamisch und schnell und wird von körperlich starken Spielern dominiert. Ich sehe viele Spiele in der DEL, und hohes Tempo und Intensität sind nicht die Norm. In Skandinavien, Osteuropa und der Schweiz wird schnelleres Eishockey gespielt - Topscorer in Deutschland zu sein, heißt nicht auch Scorer bei der WM zu sein. Leider.
SPOX: Wie sieht es mit den NHL-Spielern aus? Ein Christoph Schubert wurde in Ottawa, wenn überhaupt, als Stürmer in der vierten Reihe eingesetzt, bei der WM musste er aber dann den Quarterback im Powerplay spielen.
Krupp: Christoph war zwar einer unserer besten Spieler bei der WM, aber ein NHL-Spieler, der in seinem Klub in der vierten Reihe spielt und sechs Minuten Eiszeit bekommt, kann uns natürlich nicht so helfen, wie man das möglicherweise erwartet. Es gibt und gab sicher keinen Freifahrschein, nur weil einer in der NHL spielt.
SPOX: Beim Deutschland Cup gibt es nun den großen Test im Hinblick auf die Olympischen Spiele und die Heim-WM im nächsten Jahr. Wie wichtig wäre ein erfolgreicher Auftritt für die Stimmung in Eishockey-Deutschland?
Krupp: Der Deutschland Cup hat als Testturnier einen hohen Wert. Wir wollen uns gut präsentieren und unser Potenzial abrufen, das wird von uns erwartet. München ist traditionell ein gutes Pflaster für uns, deshalb freuen wir uns ganz besonders auf die Spiele in der Olympiahalle.
SPOX: Wie wichtig sind Ergebnisse?
Krupp: Die Ergebnisse rücken ehrlich gesagt etwas in den Hintergrund, weil uns personell die Hände gebunden sind. Wir haben mit Barta, Ullmann und Hackert drei Verletzungen auf der Mittelstürmer-Position, die wir nicht kompensieren können. Das wäre so, als ob Pittsburgh auf Crosby, Malkin und Staal verzichten müsste. Da ist kein Stanley Cup drin, ohne diese Spieler verpasst du wahrscheinlich sogar die Playoffs. Aufgrund dieser Ausfälle wird es sehr schwierig für uns beim Deutschland Cup.
SPOX: Reden wir lieber über die Jungs, die dabei sind und in dieser Saison für Furore sorgen in der DEL. Thomas Greilinger, Manuel Klinge oder Korbinian Holzer.
Krupp: Greilinger ist ein sehr geschickter Spieler, mit viel Spielwitz ausgestattet, er kann den finalen Pass spielen und hat einen Torjägerinstinkt. Er spielt eine Saison, wie man es sich als Nationaltrainer für einen potentiellen Nationalmannschaftskandidaten vorstellt. Manuel Klinge halten nur Verletzungen aus der Nationalmannschaft heraus. Immer, wenn er dabei ist, sind wir besser. Er ist ein Kämpfertyp, der unermüdlich arbeitet und sehr Michael Wolf ähnelt. Bei Korbinian Holzer freue ich mich, dass er in Düsseldorf aus der Zerstörer-Rolle, die unseren deutschen Verteidigern immer zugeschrieben wird, herausgekommen ist. Er hat alle Voraussetzungen, um uns zu helfen. Da ist viel Potenzial.
SPOX: Neu dabei sind Jakub Ficenec und Rob Zepp, weil sie inzwischen einen deutschen Pass haben. Den deutschen Nachwuchs stärkt eine solche Integration zweier "Ausländer" aber nicht.
Krupp: Ich bin, wie schon gesagt, jemand, der sich engagiert für den deutschen Nachwuchs einsetzt - mit der U 20 oder U 18 zu arbeiten, gehört zu meinen Lieblingsaufgaben. Aber auf der anderen Seite ist die Nationalmannschaft auch irgendwie eine Reflektion der Leistungsklasse der DEL. Und wenn sich auf einmal die DEL beklagt, dass die Leistung der Nationalmannschaft sich negativ auf Zuschauerzuspruch auswirkt, dann frage ich: Wer sind denn die Gesichter der DEL?
SPOX: In erster Linie mal die Ausländer.
Krupp: Genau. Die Gesichter der DEL sind Leute wie ein Ficenec, ein Zepp, ein Pederson oder ein Walker. Das sind die Spieler, mit denen sich auch die Fans zu identifizieren haben, wenn sie DEL-Eishockey sehen wollen. Ich habe nicht den Luxus, den Spieler mitzunehmen, bei dem es mir passt, wo er das Schlittschuhlaufen gelernt hat. Ich muss die besten nehmen, und wenn keine "echten" Deutschen dieser Spielstärke zur Verfügung stehen, dann ist die nächste Frage: Wer hat einen deutschen Pass? Wenn ein Jakub Ficenec, der in Ingolstadt seit Jahren gut spielt, jedes Jahr im DEL All-Star-Game dabei ist, also ein bekanntes Gesicht ist und im Powerplay als Quarterback agiert, kurzfristig zur Verfügung steht, dann bekommt er genau wie z. B. ein Patrick Reimer eine Chance, um einen Platz zu kämpfen.
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SPOX: Aber die Frage ist doch auch, ob diese Entwicklung gesund ist?
Krupp: Natürlich könnte man argumentieren, es wäre gesünder, wenn wir nur Spieler hätten, die durch unsere Nachwuchsprogramme gelaufen sind, aber das ist nicht der Fall und damit nicht relevant. Mehr als es immer wieder ansprechen und Nachwuchsförderung fordern, kann ich nicht. Wenn es nicht gemacht wird, dann müssen wir eben auf einem anderen Weg versuchen, unsere Ziele zu erreichen.
SPOX: Rob Zepp kann als Meistergoalie auch eine Siegermentalität ins Spiel bringen, wobei Sie vor der WM in der Schweiz auf einige Eisbären-Spieler verzichtet haben. Ein Fehler?
Krupp: Nein. Sicher ist es gut, wenn du Winner im Team hast, aber diese Winner helfen einem nicht, wenn sie am Ende einer Saison müde und erschöpft sind und möglichst schnell zur Familie und in den Urlaub wollen.
SPOX: Wenn man aber auf die Berliner verzichtet, ist die Frage, ob man dann immer die bestmögliche deutsche Mannschaft auf dem Eis hat?
Krupp: Da muss man schon auch die Kirche im Dorf lassen. Die Spieler, die bei den Eisbären die dominanten Rollen haben, heißen Walker, Pederson, Walser, Roach, Regehr oder Degon. Das sind die Leute, die da sind, wenn es darauf ankommt, auch wenn die deutschen Spieler ohne Zweifel einen guten Job machen. T.J. Mulock muss man dabei ausklammern. Er ist in einer unserer besten Vereinsmannschaften auf einem ähnlichen Level wie die Top-Stars - das freut uns ungemein.
SPOX: Sie müssen schauen, welche Spieler überhaupt zur Verfügung stehen. Team Canada kann im erweiterten Kader für Olympia auf Stars wie Marc Savard verzichten. Hätten Sie gerne solche Luxusprobleme?
Krupp: (lacht) Im Moment hätte ich gerne ein paar Mittelstürmer mehr, das ist alles. Im Ernst: Ich glaube an die Jungs. Ich würde mich freuen, wenn Marc Savard doch im Team Canada stehen und hinter dem Tor auf einen Michael Bakos treffen würde. Jederzeit gerne. Ich mache mir nicht ins Hemd vor denen, nur weil sie Kanada sind. Ich habe Respekt, aber die kochen auch nur mit Wasser.
SPOX: Also gibt es auch die Möglichkeit für eine Sternstunde bei Olympia?
Krupp: Klar, da glauben wir natürlich dran, und die Möglichkeit gibt es immer. Wenn wir mit der Nationalmannschaft antreten, wollen wir uns gut präsentieren. Egal ob es der Deutschland Cup oder Olympia ist. Aber natürlich wird Vancouver etwas ganz Besonderes. Jeder denkt, es finden die Olympischen Spiele statt, dabei geht es nur um das Eishockey-Turnier (lacht).
SPOX: Wenn Sie entweder Owetschkin oder Crosby einbürgern könnten, wen würden Sie nehmen?
Krupp: Ich würde Crosby einbürgern. Er macht die Jungs um sich herum besser. Owetschkin ist spektakulär, man kann ohne Ende Highlight-Tapes produzieren, aber er ist ein Einzelkämpfer.
SPOX: Und Crosby ist ein Mittelstürmer.
Krupp: Ich würde ihn sofort nehmen, aber mit dem Deutschland Cup und der Einbürgerung wird es eng und natürlich müsste ich mich auf Kritik vorbereiten, weil Crosby ja kein waschechter Garmischer ist (lacht).