"Wenn am Mittwoch ein anderes Urteil gefällt worden wäre, könnten wir jetzt in einer besseren Position sein", sagte BMW-Sauber-Pilot Nick Heidfeld am Donnerstag in Shanghai. "Ich hätte uns weiter vorne erwartet. Wenn die drei Teams diese Diffusoren nicht hätten, dann wären wir in der Position, um die Ergebnisse zu kämpfen, die wir uns selbst als Ziel gesteckt hatten."
Renault-Pilot Fernando Alonso sagte: "Brawn kann in den kommenden Rennen viele Punkte sammeln. Dann ist es für eine Aufholjagd von uns vielleicht schon zu spät."
Renault ließ sich von Idee abbringen
Ferrari, BMW-Sauber, Renault und Red Bull hatten nicht nur deshalb sondern aus mehreren Gründen gegen die Doppel-Diffusoren protestiert. Offiziell, um Sicherheitsbedenken auszuräumen, das Reglement zu klären und unnötige Kosten zu verhindern. Inoffiziell, um ihre Versäumnisse in der Entwicklung der Autos im Nachhinein gerade zu biegen.
Denn offenbar kamen einige große Teams wie zum Beispiel McLaren-Mercedes und Ferrari gar nicht erst auf die Idee, dass es bei den Diffusoren eine Regellücke geben könnte. Andere Teams wie Renault ließen sich von Bedenken der FIA von ihren Lösungsansätzen abbringen.
Sparmaßnahmen ad absurdum geführt
Jetzt haben alle den Salat. "Das wird Zeit und Geld kosten", sagte Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali, dessen Team eine eigene Abteilung dafür eingerichtet hat, so schnell wie möglich und koste es, was es wolle, einen Doppel-Diffusor aus dem Boden zu stampfen.
Genauso werden es die sechs anderen Teams machen, die bisher noch ohne Doppel-Diffusor am Start sind. Dass damit sämtliche Sparpläne, die FIA-Boss Max Mosley vor der Saison einmal hatte, ad absurdum geführt wurden, ist offensichtlich.
Ferrari und Red Bull fällt Umrüstung extrem schwer
Doch Geldverschwendung ist nicht die einzige schwerwiegende Folge des Urteils. Sportlich kann die WM schon fast entschieden sein, bis alle Top-Teams den Rückstand auf Brawn GP wenigstens halbwegs aufgeholt haben.
Renault wird nach Informationen des Fachmagazins "auto, motor und sport" schon in China eine erste Notlösung des Doppel-Diffusors am Auto von Alonso einsetzen. Spätestens bis zum Europa-Auftakt in Barcelona Anfang Mai werden auch McLaren-Mercedes, BMW-Sauber und Force India soweit sein.
Ferrari, Red Bull und Schwesterteam Toro Rosso müssen ihren kompletten Hinterwagen umbauen. Ein riesiger Aufwand, der wohl mindestens bis zum siebten Rennen in der Türkei Anfang Juni dauern wird.
Zeitvorteil von bis zu einer Sekunde
Bis dahin könnten die drei begünstigten Teams in der WM-Wertung schon meilenweit entfernt sein. Schließlich entwickeln sie auch ihre Doppel-Diffusoren weiter. Experten schätzen, dass diese schon jetzt einen Zeitvorteil von bis zu einer Sekunde bringen.
"Der Vorteil, den sich die drei Teams seit ihrer Reglements-Interpretation gesichert haben, ist auf keinen Fall kurzfristig wettzumachen. Was die einen in neun Monaten erreichten, können die anderen nicht in neun Wochen schaffen", fasste Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug zusammen.
Rückkehr der Ground-Effect-Autos
Sein BMW-Kollege Mario Theissen sieht noch ein anderes Problem: "Die von der Arbeitsgruppe Überholen bei der Ausarbeitung des neuen Reglements beabsichtigte Reduzierung von Abtrieb und Kurvengeschwindigkeit wird durch dieses Urteil nicht erreicht."
Theissen spricht von so genannten Ground-Effect-Autos, zu denen die Boliden mit Doppel-Diffusoren im Extremfall werden können.
Probleme beim Überholen
Je weiter die Entwicklung dieser Unterböden reicht, desto extremer werden die Konstruktionen werden. Die Fläche für die Diffusoren wird durch Veränderungen an der Hinterachse immer größer, aus Doppel- werden wahrscheinlich ganz schnell Triple-Diffusoren.
Am Ende könnte der Sog unter den Autos so stark werden, dass sie unglaublich hohe Kurvengeschwindigkeiten erreichen und gleichzeitig beim Hinterherfahren hinter dem Vordermann wieder deutlich anfälliger werden. Überholen würde wieder schwieriger.
"Theoretisch kann man beliebig viele Ebenen einziehen oder die Diffusoren immer früher beginnen lassen und damit immer höhere Abtriebswerte erzielen", zitiert das Fachmagazin "auto, motor und sport" den früheren Ferrari-Designer Rory Byrne, eines der Mitglieder der Überhol-Kommission.
Schlechte Erinnerungen an frühere Jahre
Erinnerungen an die Zeit Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre werden wach. Damals trimmte vor allem Lotus seine Autos explizit auf den Ground Effect und verschaffte sich dadurch enorme Vorteile. Nachdem es aber immer mehr heftige Unfälle wegen dieser Technik gab, wurden Ground-Effect-Unterböden zur Saison 1983 verboten.
26 Jahre später scheint der erste Schritt getan, um zurück zu dieser gefährlichen Technologie zu gelangen. Das ist aber nicht die Schuld von Brawn GP, Toyota und Williams, das hätte sich die FIA vorher beim Verfassen der Regeln genauer überlegen müssen.
Jetzt ist die Jagd nach dem besten Diffusor erst einmal in vollem Gange. Erneute Regeländerungen nach der Saison 2009 nicht ausgeschlossen.
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