Formel 1 - Erkenntnisse zum Frankreich-GP: Leclerc fehlt die Reife für den Titel

Christian Guinin
24. Juli 202222:56
SPOXgetty
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Während Charles Leclerc beim Frankreich-GP erneut einen Sieg nach einem individuellen Fehler wegwirft und sich kräftig an die eigene Nase fassen muss, fragt man sich bei Mercedes, wieso man nicht mit Red Bull und Ferrari mithalten kann. Das Rennen auf dem Circuit Paul Ricard steht derweil zurecht auf der Kippe. Die Erkenntnisse zum Frankreich-GP.

1. Leclerc fehlt die Reife für den Titel

Es scheint sich wie ein roter Faden durch die Saison von Charles Leclerc zu ziehen: Beim Großen Preis von Frankreich schied der Monegasse zum wiederholten Mal in diesem Jahr in Führung liegend aus. Ähnlich wie schon in Imola im April machte ein individueller Fehler des Ferrari-Stars einen Strich durch die Rechnung.

Wenn der Scuderia-Kommandostand schon keine Böcke mit fragwürdigen Strategie-Entscheidungen schießt oder am F1-75 des 24-Jährigen wieder irgendetwas klemmt, dann muss Leclerc halt selbst nachhelfen, möchte man meinen. Denn was zunächst nach einem technischen Defekt aussah und auch via Funk so klang, entpuppte sich später als individueller Fauxpas des Monegassen.

"Nein, es war kein technisches Problem. Es war einfach ein Fehler", sagte ein geknickter Leclerc bei Sky. Bei der Einfahrt in Kurve elf sei er schlicht zu schnell gewesen und hätte auf dem dreckigen Asphalt letztlich das Heck verloren. "Die Balance war schon das gesamte Wochenende über schwierig", sagte der Ferrari-Pilot. "Ich habe gerne Übersteuern, aber in einer solchen Hitze ist es dann schwierig, konstant zu sein. Ich war nicht konstant und habe den Preis für einen großen Fehler im Rennen bezahlt."

Erneut macht Leclerc den Eindruck, für die ganz große Bühne noch nicht bereit zu sein. Während-WM-Rivale Max Verstappen durch die geerbten 25 WM-Punkte nun ein Polster von 63 Zählern in der Fahrer-Wertung aufweist, muss sich der Monegasse an die eigene Nase fassen.

Charles Leclerc parkte seinen Ferrari in Le Castellet in der Streckenbegrenzung.imago images

Verstappen hat Lehren aus Hamilton-Zweikampf gezogen

Im Gegensatz zum Scuderia-Fahrer scheint Verstappen aus dem Vorjahresduell mit Lewis Hamilton wertvolle Lehren gezogen zu haben. Das zahlt sich nun aus. Dem Niederländer unterlaufen kaum noch individuelle Fehler - wenn er patzt, dann meist aufgrund von Unzulänglichkeiten an seinem Red Bull. Verstappen wirkt insgesamt reifer, abgeklärter und weniger ungestüm als Leclerc. Beim Monegassen erspäht man hingegen Züge, die an einen jüngeren Verstappen erinnern. Einen, der um jeden Preis mit dem Kopf durch die Wand wollte.

Wie bitter solche Aussetzer sein können, weiß Leclerc jedoch selbst. "Ich habe das Gefühl, dass ich seit Saisonbeginn auf meinem höchsten Niveau fahre, aber das hat alles keinen Sinn, wenn ich solche Fehler mache", suchte er die Schuld bei sich. "Am Ende des Jahres werden wir zusammenrechnen, und wenn mir dann 32 Punkte fehlen, dann weiß ich, dass die von mir selbst kommen und ich die Meisterschaft nicht verdiene."

Aufgeben will er aber noch keineswegs. Dafür gebe es noch viel zu viele WM-Zähler zu vergeben. "Ich werde bis zum Ende daran glauben und erst dann zählen. Aber aktuell sieht es nicht gut aus."

2. Mercedes ist doch (noch) kein Sieg-Kandidat

Beim Rennen in Le Castellet standen zum ersten Mal in diesem Jahr zwei Mercedes-Piloten auf dem Treppchen. Während Ex-Weltmeister Lewis Hamilton nach einem starken Rennen hinter Verstappen Zweiter wurde, kassierte Teamkollege George Russell wenige Runden vor der Zielflagge Sergio Perez im zweiten Red Bull und schloss den Frankreich-GP als Dritter ab.

Ganz gut, möchte man eigentlich meinen. Doch Teamchef Toto Wolff wirkte nach dem besten Saisonergebnis der Silberpfeile nicht so wirklich zufrieden, auch weil man mit ganz anderen Erwartungen nach Le Castellet gereist war. "Wir kamen hierher und dachten, wir fahren hier um den Sieg", meinte der Österreicher bereits nach dem vergleichsweise enttäuschenden Qualifying am gestrigen Samstag.

Denn zum einen schmecken dem Mercedes mit seinem speziell designten Unterboden eigentlich aerodynamisch anspruchsvolle Kurse samt mittleren und schnellen Kurven - wie der Circuit Paul Ricard eben einer ist -, zum anderen kamen die Silberpfeile mit einem größeren Update-Paket nach Frankreich. Neben neuen Bremslüftungen, die die Kühlung sowie die Aerodynamik verbessern sollten, wurde auch an den Unterbodenkanten vor den Hinterreifen gebastelt. Dort wollte der deutsche Traditionsrennstall das leidige Thema "Porpoising" angehen, weshalb der Anpressdruck verringert wurde.

"Wir dachten, wir arbeiten uns gerade langsam, aber sicher wieder an die Spitze ran. In Silverstone gab es gute Anzeichen. Dann kamen wir nach Österreich, eine Strecke, die uns normalerweise gar nicht liegt, und wir waren dort auf einer kurzen Strecke bis auf drei Zehntel dran. Das ist akzeptabel Und nun: keine Performance. Keine. Und wir wissen nicht warum. Wir haben keinen Dunst, was hier falsch gelaufen ist", klagte Wolff.

George Russell (l.) und Lewis Hamilton (r.) wurden in Frankreich Zweiter und Dritter.getty

Wolff: "Rückstand einfach zu groß"

Denn vor allem der Rückstand auf die Spitze um Verstappen und Charles Leclerc muss den Silberpfeilen Sorgen bereiten. Die von Mercedes erhoffte Reifenschlacht blieb aus. Auch Red Bull und Ferrari gingen vergleichsweise glimpflich mit ihren Pneus um, was den vermeintlichen Mercedes-Vorteil - der schonende Umgang mit den Pirelli-Reifen - zunichtemachte. Bei freier Fahrt hatten Hamilton und Russell nicht den Hauch einer Chance.

"Der Rückstand ist einfach zu groß. Wenn [Verstappen] vorne richtig Gas gibt, dann fährt er sechs oder sieben Zehntel pro Runde schneller", haderte Wolff nach dem Rennen bei Sky. In Anbetracht des Ergebnisses müsse man nun "bescheiden" bleiben. "Wenn wir das [Ergebnis] gestern gehört hätten, hätten wir es sofort genommen", so Wolff.

Denn seinen Piloten könne er trotz der fehlenden Performance des Autos nichts vorwerfen. "Das Gute war, dass wir Zweiter, Dritter geworden sind. Gut war, dass Lewis eine riesen Pace gehabt hat, im Vergleich auch zu Perez. Und das Gute war, dass George ein starkes Rennen gefahren ist", lobte Wolff. Dennoch bleibe ein fader Beigeschmack.

3. Hoffentlich das letzte Mal Le Castellet

Schon in den vergangenen Jahren zählte der Frankreich-GP auf dem Circuit Paul Ricard nicht zu den Lieblingsrennen der F1-Fans und auch 2022 wird es das Rennen in Le Castellet eher nicht in die Saison-Highlights 2022 schaffen. Das "Parkplatzrennen", wie die Strecke aufgrund ihres weitläufig asphaltierten Layouts scherzhaft genannt wird, bot nur wenige Überholmanöver, auch der prophezeite hohe Reifenverscheiß und ein daraus resultierender spannender Reifenpoker blieben aus.

Stattdessen sahen die Zuschauer einen, dem Ausfall von Charles Leclerc geschuldeten, ungefährdeten Sieg von Verstappen, auch packende Duelle im Mittelfeld gab es quasi keine. "Überholen war deutlich schwieriger, als wir uns das vorgestellt hatten. Die Reifen haben ebenfalls besser gehalten", meinte Red Bulls Motorsportchef Helmut Marko, angesprochen auf die vergleichsweise wenigen Positionswechsel.

Die gute Nachricht: Möglicherweise war es vorerst das letzte Mal, dass sich die französischen Zuschauer diese geballten 90 Minuten Nicht-Spannung antun mussten. Wie die L'Equipe verlauten ließ, planen die F1-Bosse, den 2022 auslaufenden Vertrag mit der Rennstrecke nicht zu verlängern. Der Grund: Sie ist im Gesamtpaket nicht unterhaltend genug.

Stattdessen sollen die Entscheider um Stefano Domenicali für den Frankreich-GP mit einem Umzug nach Nizza liebäugeln. "Historisch betrachtet ist Frankreich seit jeher eine wichtige Motorsportnation. Sie werden es vielleicht nicht wissen, aber es gibt da ein tolles Projekt mit der Stadt Nizza, die ebenfalls einen Grand Prix ausrichten möchte. Das ist großartig, denn es zeigt, dass auch andere Regionen in Frankreich ein Interesse an der Formel 1 haben", heizte Domenicali die Gerüchte weiter an.

Nizza, Le Mans und Magny-Cours als Alternativen?

Neben Nizza werden auch Le Mans oder Magny-Cours als mögliche Alternativen diskutiert, dort stünde aber wohl hinter der Umsetzbarkeit in Bezug auf die Anpassung der Strecken an die aktuelle Boliden-Generation ein Fragezeichen. "Wir werden die Bewerbungen sehr sorgfältig studieren. Alles weitere folgt dann in Kürze. Alles, was ich jetzt sagen kann, ist, dass wir Ende Juli mehr über die Zukunft wissen werden", sagte Domenicali.

So oder so wäre aber eine Abkehr von der Strecke in Le Castellet wünschenswert. So gut der Kurs auch für das Testen von Highspeed-Komponenten sein mag, für die Fans ist er Jahr für Jahr eine Enttäuschung.

Formel 1: Der WM-Stand (nach 12 von 22* Rennen)

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull233
2Charles LeclercFerrari170
3Sergio PerezRed Bull163
4Carlos SainzFerrari144
5George RussellMercedes143
6Lewis HamiltonMercedes127
7Lando NorrisMcLaren70
8Esteban OconAlpine56
9Valtteri BottasAlfa Romeo46
10Fernando AlonsoAlpine37
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Red Bull396
2Ferrari314
3Mercedes270
4Alpine93
5McLaren89
6Alfa Romeo51
7Haas34
8AlphaTauri27
9Aston Martin19
10Williams3

*Der Russland-GP wurde aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ersatzlos gestrichen. Ursprünglich hatte die Formel 1 für die Saison 2022 23 Rennen eingeplant.