Ferraris Reaktion auf Kimi Räikkönens Problem mit der Powerunit deutete auf hellseherische Fähigkeiten: Vettel starte von Platz 3, der Iceman habe abgestellt, teilte die Scuderia via Twitter mit. Dabei hatte der entscheidende Abschnitt der Qualifikation noch gar nicht begonnen.
Was folgte, machte das Desaster komplett. Der eine Pilot ausgeschieden, der andere nur mit der neuntschnellsten Zeit. Statt Angriff auf die Silberpfeile musste sich Vettel sämtlichen Mercedes-Kundenteams geschlagen geben.
"Wir konnten uns von Q2 zu Q3 einfach nicht verbessern. Das Feld war eng beieinander, deshalb sind wir von vorn nach hinten gewandert", sagte der 28-Jährige und gab zu "überrascht" zu sein: "Aber es gibt keinen Grund zur Panik."
Wie verlor Vettel so viel Zeit?
Sein kleiner Verbremser in der früheren Bus-Stop-Schikane kann maximal drei Zehntel der fehlenden 1,6 Sekunden auf Lewis Hamilton erklären. Sogar Daniel Ricciardo im Red Bull war trotz Renault-Nachteil schneller. Oder gerade deswegen?
Zwar ist Spa-Francorchamps eine Highspeed-, aber eben keinesfalls eine reine Motorenstrecke. Das Aero-Paket von Red Bull ist im Laufe der Saison wieder so gut geworden, dass Ricciardo in Sektor 2 nur 0,078 Sekunden auf Nico Rosberg fehlten.
Die Kurvenkombinationen von Pouhon, Fagnes und Stavelot fordern maximalen Anpressdruck. Genau dort nahm Hamilton der Konkurrenz mehr als eine halbe Sekunde ab, genau dort verlor Ferrari viel Zeit. Nur Platz 11 im zweiten Sektor, Räikkönen war in Q1 beispielsweise nur 0,137 Sekunden schneller als Jenson Button im McLaren.
Honda zeigt neue Probleme
Dass McLaren trotz der versprochenen Leistungssteigerung durch Veränderungen am Verbrennungsmotor weiterhin am Ende des Feldes vegetiert, weist eine zweite Besonderheit der belgischen Traditionsstrecke auf: Die Energierückgewinnung muss extrem effektiv sein.
Auf einer Stop-and-Go-Strecke wie dem Hungaroring kaschiert die MGU-K bei vielen kurzen Bremsvorgängen dieses Problem. In Spa allerdings ist die kinetische Rückgewinnung nur eingeschränkt möglich, wichtiger ist die Hitzenutzung mittels der MGU-H. Wie es funktioniert, zeigte Mercedes mit den fünf schnellsten Rundenzeiten in Q3.
Vorteil für Ferrari im Rennen?
Im Rennen könnte sich Ferraris Downforce-Nachteil übrigens von Beginn an umkehren. Der im Qualifying fehlende Abtrieb ermöglicht leichtere Überholmanöver. In den schnellen Kurven sind diese nahezu ausgeschlossen, bei der Ziellinie allerdings schafften nur Felipe Massa und Hamilton einen besseren Topspeed als Vettel. Ferraris Beschleunigung ragt also heraus.
Diese Qualität dürfte schon beim Start helfen, wenn die Piloten erstmals ohne die Hilfen der Ingenieure losfahren müssen. "Alles ist möglich. Mit den neuen Startregeln kann es chaotisch werden. Ich hoffe nicht für uns. Wenn es am Start so gut vorwärts geht wie in Ungarn, dann kann noch einiges passieren", machte der vierfache Weltmeister Fans schon am Samstag Hoffnung auf eine Aufholjagd.
Rosberg hofft auf Startvorteil, Vettel auf Regen
Ähnliche Hoffnungen hat auch Rosberg. "Mit dem neuen Startprozedere habe ich noch alle Chancen. Der Weg bis zur fünften Kurve ist lang, man kann auf dieser Strecke sehr gut überholen." Beim Belgien-GP 2013 saugte sich Vettel im Windschatten auf der Kemmel-Geraden an Polesetter Hamilton vorbei, im Vorjahr versuchte Rosberg seinen Teamkollegen in Runde 2 vor Les Combes zu überholen - und crashte.
Und selbst wenn sich diese Hoffnung zerschlägt, verspricht die Schlussphase des Rennens zumindest Spannung. Das Ardennen-Wetter soll abermals zuschlagen, obwohl vor dem Wochenende Regen noch ausgeschlossen wurde.
"Für morgen ist Regen vorhergesagt", sagt Vettel: "Man muss sehen, wann der kommt." Der offizielle Wetterdienst der Formel 1, Ubimet, erwartet im letzten Renndrittel Niederschläge, später sogar Gewitter. Dann sind die Strategen gefragt: Wer in Spa zu lange wartet, verliert aufgrund der mit 7,004 Kilometern außergewöhnlich langen Strecke viel mehr Zeit als auf jedem anderen Kurs.
Die Formel-1-Saison 2015 im Überblick