Ehemalige oder aktive Profis wie Christoph Metzelder oder Stefan Bell setzen sich öffentlich für den Amateurbereich ein. Engelbert Kupka hat das Aktionsbündnis "Rettet die Amateurvereine" ins Leben gerufen. Denn der Profifussball entfernt sich immer weiter von seinen Wurzeln und es besteht Gefahr, dass er sie endgültig verliert.
Die Fußballplätze der Republik mögen sich unterscheiden. Die Ascheplätze im Ruhrgebiet sind anders als Kunstrasenplätze in den Städten. Es gibt Plätze, die von Gemeinden gepflegt werden und mehr aus Erde als aus Rasen bestehen und es gibt Plätze, die von kauzigen Platzwärten in liebevollster Kleinstarbeit hergerichtet werden und es mit Champions-League-Spielfeldern aufnehmen können. All diese Plätze aber vereint eines: die Liebe zu dem Spiel, das uns alle begeistert.
Überall gibt es sie, die Rentner, die das Eintrittsgeld einsammeln und die Stadionzeitung anbieten. Die Fans, die kein Spiel verpassen und auch bei schlechtestem Wetter die weiteste Auswärtsfahrt mitmachen, nur um nach jedem Spiel, das mit weniger als fünf Toren Abstand gewonnen wird, zu meckern, wie schlecht alle sind.
Hier gibt es keine große Auswahl am Essensstand: Bratwurst, Bier und Wasser reichen. Der Zuschauer steht direkt am Spielfeldrand auf die Bande gelehnt und das Spiel steht im Mittelpunkt. Er riecht das nasse Gras, hört die krachenden Zweikämpfe, die Kommandos der Mannschaften. Er fühlt die Intensität der Duelle, wenn Abwehrchef und Sturmkante ins Kopfballduell gehen. Er erlebt den Fußball in der Form, die ihn ausmacht.
spoxHier geht es nicht um Pass- und Zweikampfwerte oder andere Statistiken. Hier geht es um einen Verein, mit dem man sich identifiziert, ob man will oder nicht. Hier geht es um ein Stück des Alltags, einen Teil des Lebens, den jeder kennt, der diesen Sport liebt. Hier geht es um Fußball.
Kapital statt Identität
Der Profifußball, mit dem der Zuschauer Tag für Tag in allen Variationen und auf allen Kanälen konfrontiert wird, hat damit nicht mehr viel gemeinsam. Er boomt und generiert mehr und mehr Geld. In dieser Wintertransferperiode gaben die fünf europäischen Topligen fast 50 Prozent mehr für Transfers aus als noch ein Jahr zuvor. Fußball ist zum reinen Geschäft geworden.
Und die Beteiligten machen keinen Hehl daraus. "Fußball in Deutschland, in Dortmund oder bei Bayern ist Geschäft, ist Unterhaltungsgeschäft. Wir sind Showbusiness, wir sind die wichtigsten Entertainer in unserem Land", sagte Paul Breitner gegenüber sport1.
Bestes Beispiel dafür ist die Geschichte von Cardiff City. Der walisische Traditionsklub spielte seit 1908 in blau-weiß gestreiften Heimtrikots. Bis Vincent Tan kam und den Klub übernahm. Der schwerreiche Investor änderte alles. Fortan spielte Cardiff in Rot und statt dem traditionellen Sperling zierte ein Drache das Wappen des Klubs, um ihn in Asien besser vermarkten zu können. Erst nach massiven Fanprotesten ist die Vereinsfarbe nun wieder blau und auch der Sperling ist wieder das dominierende Wappentier. Rote Auswärtstrikots und ein kleiner Drache bleiben aber dennoch.
Der Entwicklung setzen derzeit Spieler wie Oscar, Axel Witsel oder Hulk die Krone auf, die den europäischen Topligen, in denen sie sowieso schon mehr als genug verdienen, auf dem Zenit ihrer Karriere den Rücken kehren, um in China auch noch den letzten Dollar an Gehalt aus ihrer Laufbahn herauszuquetschen. Solche Transfers stellen die Perversion der Entwicklung des Profifußballs besser dar, als es jeder wohlformulierte, kritische Kommentar je könnte.
Wappenänderungen aus Marketinggründen
Passend dazu kommen Nachrichten wie die Änderungen der Wappen von Juventus Turin oder Real Madrid. Das Wappen der Königlichen ziert seit 1902 eine Krone und darauf thront ein Kreuz, so klein, dass es eigentlich gar nicht auffällt. Nun soll sich der Verein in einem Vertrag mit einem arabischen Großhändler dazu verpflichtet haben, das Kreuz zu entfernen, um auf "kulturelle Befindlichkeiten" muslimischer Länder Rücksicht zu nehmen, in denen man seine Fanartikel natürlich auch verkaufen will.
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Spinnt man diesen Gedanken weiter, müsste Real eigentlich die gesamte Krone entfernen, hat diese doch 800 Jahre muslimischer Herrschaft in Spanien beendet. Vom Namen ganz zu schweigen, denn welcher echte muslimische Fan möchte durch das "Real" schon dauernd an die spanische Königsfamilie erinnert werden?
Die großen Vereine halten eine Fassade von Historie und Tradition aufrecht, hinter der sie sich nicht mehr unterscheiden. Spieler, Verantwortliche, Fans, Statements bei Vereinswechseln, alles ist austauschbar geworden. Die konstruierte eigene Identität, die mit Phrasen wie "Mia san Mia" oder "Echte Liebe" beworben wird, ist nichts anderes als eben das: Werbung. Und zwar völlig deplatzierte Werbung, denn für echte Identifikation braucht es keine Marketingstrategie. Aber wer letztendlich im Stadion sitzt, ist den Klubs sowieso egal.
Der Stadionbesuch wird zum Event
Die Entwicklung schlägt sich auch im Stadionbesuch nieder. Der Fußball ist zum reinen Event geworden. Die wichtigste Erkenntnis auf dem Weg zur Arena ist, dass es freies WLAN auf jedem Sitzplatz gibt, mit dem man die offiziellen Twitter- und Facebook-Profile der Stars verfolgen kann. Das ist die vielzitierte Fannähe, die nur von öffentlichen Trainingseinheiten übertroffen wird, bei denen man den Stars aus 100 Meter Entfernung beim Laufen zusehen darf.
Im Inneren des Stadions angekommen, muss man sich zwischen Popcorn und Pizza vom Stadionsprecher auf die große Show vorbereiten lassen, die nun folgen soll. Unterbrochen von Werbung, Gewinnspielen, Halbzeit-Acts und der Vorstellung des jährlich erscheinenden neuen Trikots. Highlight ist dann, dass die eigene Mannschaft nach dem Spiel halbherzig klatschend für zehn Sekunden in die Kurve kommt.
Die Umsätze der Fußballklubs in Deutschland steigen jährlich und Einnahmen sowie Gewinne vervielfachen sich. Aber der Fußball verliert etwas, das materiell nicht zu beziffern ist - das, was ihn zu etwas Besonderem macht und ihn von den anderen großen Sportarten abhebt: Seine Identität, seine Seele.
Bindung zum Spiel geht verloren
Das alles führt dazu, dass die Bindung zum Spiel für den Besucher verloren geht. Der Fußball entwickelt sich zum Event, vergleichbar mit den großen US-Sportarten. Hier sind sich die Fans bewusst, dass sie eine Show geboten bekommen, die sie so woanders nicht erleben können. Dafür nehmen sie Vermarktung und Eventcharakter gerne in Kauf. Beim Fußball steht auch aufgrund des Ligensystems, das es in Amerika nicht gibt, zumindest manchmal noch das Spiel im Vordergrund.
Kein Wunder aber, dass in den Topligen sofort Pfiffe und Unmut aufkommen, wenn die unfehlbaren Maschinen auf dem Platz menschlich werden oder gar Fehler machen. Der Zuschauer hat schließlich viel Geld dafür bezahlt und will dann auch dementsprechend unterhalten werden. Der Fußball hat die Menschen zu Kunden gemacht, da ist es nicht verwunderlich, dass sie sich auch so verhalten. Und so ist man geneigt, beim Profi- und Amateurfußball von zwei unterschiedlichen Sportarten zu sprechen.
Verteilung des Geldes stimmt nicht
Dass im Fußball viel Geld steckt, ist vollkommen klar und eine natürliche Entwicklung. Der DFB verkündete jüngst den elften Umsatzrekord in Folge. Die Basis des gesamten Systems verdient dabei aber nur einen Bruchteil der Summen und kämpft in den unteren Ligen an jedem Spieltag jeder Saison darum, Mannschaften stellen zu können.
Ohne die vielen Amateurvereine aber wäre der gesamte Fußball nicht vorstellbar, bedenkt man, dass 99,9 Prozent der Profis ihre Karriere bei genau so einem Verein begonnen haben. Man stelle sich vor, dieses Filtersystem würde wegfallen, Bundesligavereine könnten potenzielle Kandidaten für die Jugendmannschaften ausschließlich über regelmäßig veranstaltete Camps sichten.
Auch Engelbert Kupka, der frühere Präsident der SpVgg Unterhaching setzt sich mit seinem neu gegründeten Aktionsbündnis für eine gerechtere Verteilung der durch den Fußball generierten Gelder ein, von der die Amateure profitieren sollen.
Im Grundlagenvertrag zwischen DFB und DFL ist ausdrücklich festgehalten, dass sich die DFL der sozialen und gesellschaftspolitischen Verantwortung der fast 26.000 Amateurvereine auch finanziell verpflichtet fühlen soll. Von den generierten circa 1,5 Milliarden Euro Gesamteinnahmen werden allerdings über 1,4 Milliarden den 36 Profivereinen zur Verfügung gestellt, für die Amateurvereine bleiben etwa 50 Millionen Euro. Parallel dazu baute der DFB ein Fußballmuseum für knapp 40 Millionen und plant derzeit immerhin die DFB-Akademie für etwa 150 Millionen Euro.
Der Fußball ist zu groß geworden
Christoph Metzelder verfolgt dagegen einen anderen Ansatz: "Wir müssen die Nähe des Amateurfußball gegen die Distanz des Profigeschäfts stellen", erklärt er gegenüber SPOX und meint auch: "Es bringt nichts, die DFL anzugreifen, sie wird kein Stück im Wettbewerb gegen internationale Profiligen zurückweichen."
Der Amateurfußball muss es schaffen, dass die Menschen wieder lieber auf die Sportplätze gehen, als zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen. Die kommende weitere Aufdröselung der Bundesliga-Spieltage macht es dem Amateurbereich dabei definitiv nicht leichter, die Nische zu finden, die noch nicht vom Profifußball belegt ist.
Auch für Metzelder ist klar: "Die Diskussion ist bigott. Nur der Fan als Konsument - also jeder Einzelne von uns - kann das System Fußball verändern." Der Fußball ist womöglich zu groß geworden und droht, sich selbst zu verlieren. Die Berichterstattung ist allgegenwärtig, vergisst aber dabei meist das Wesentliche.
Mythen sterben aus
Der FC Bayern trifft im Champions-League-Achtelfinale auf den FC Arsenal. Ein Spiel, auf das Fans früher wochenlang hingefiebert haben. Heute ist das Alltag. Man weiß alles über den Gegner, man hat das Spiel in den letzten Jahren regelmäßig gesehen. Der nächste Schritt zur totalen Übersättigung wäre die Einführung einer europäischen Superliga.
Mythen, von denen Väter ihren Söhnen erzählen, entstehen heute nicht mehr. Wie auch? Es ist jede Woche Champions League, Pokal, WM- oder EM-Qualifikation oder normaler Ligabetrieb. Alles ist durchleuchtet, alles ist gleich.
Manchmal blitzt noch das auf, was den Fußball ausmacht. Die unfassbare Begeisterung, die er bei Menschen jeden Alters, Herkunft und gesellschaftlichen Schicht auslösen kann. Der 2:1 Sieg zum 125. Geburtstag von Celtic Glasgow gegen den FC Barcelona war zum Beispiel so ein Moment. Aber die Momente werden seltener und bei der aktuellen Entwicklung besteht die Gefahr, dass es sie irgendwann gar nicht mehr gibt. Wie traurig das wäre, bedarf keiner weiteren Erklärung. Schließlich hat all das nicht in modernen Super-Arenen angefangen, sondern auf den Dorfplätzen der Republik.