Werder-Legende Willi Lemke über SVW: "Leute interessierten sich mehr für Ailtons Durchfall"

Von Simon Haux
Willi Lemke (r., mit Ailton) war von 1981 bis 1995 Manager bei Werder Bremen.
© getty

Werder Bremens Managerlegende Willi Lemke war zuletzt als Sonderberater bei den Vereinten Nationen tätig. Im Interview mit SPOX spricht der 71-Jährige über seinen weltweiten Einsatz "im Dienste von Entwicklung und Frieden", den "verheerenden Zustand" der FIFA und Frauen im Fußball.

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Dann sinniert der frühere Bremer Bildungssenator über die gute alte Zeit bei Werder, Kaffeekränzchen mit den Obamas und denkwürdige Begegnungen mit Willy Brandt.

SPOX: Herr Lemke, vor rund einem Jahr endete Ihre Tätigkeit als Sonderberater für Sport bei den Vereinten Nationen. Genießen Sie seitdem nun endlich ein entspanntes Rentnerdasein?

Willi Lemke: Gott sei Dank ist es gar nicht so entspannt. Ich fühle mich auch überhaupt nicht als Rentner. Aber die ständigen langen Reisen, die man als UN-Sonderberater in andere Länder, andere Klimazonen, andere Zeitzonen macht ... Ich bin wirklich glücklich, dass ich diesen immensen Stress nicht mehr habe. Ich habe weiterhin genug zu tun, schreibe eine wöchentliche Kolumne, halte Vorträge. Aber insgesamt ist es etwas ruhiger, das ist auch gut für meine Familie.

SPOX: So einfach lässt Sie dieses Engagement jedoch noch nicht los.

Lemke: Das stimmt. 2012 habe ich in meiner Funktion als UN-Sonderberater ein Youth Leadership Programme für Jugendliche aus Slums oder Flüchtlingslagern ins Leben gerufen. Es gibt dort so viele bettelarme junge Leute, die einen unglaublichen Job für den Breitensport und ihre Nachbarschaft machen. Für diese Jugendlichen wird aber überhaupt nichts getan, kaum eine nationale oder internationale Sportorganisation hat sie im Blick.

SPOX: Von 2008 bis Ende 2016 waren Sie für die Vereinten Nationen in der ganzen Welt unterwegs. Kurz vor Ihrem Amtsantritt als "Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden" wären sie in Bremen eigentlich gerne Bürgermeister geworden. War es rückblickend ein Glücksfall, dass das nicht geklappt hat?

Lemke: Hundertprozentig. Wenn ich daran denke, wie hart dieser Job gewesen wäre ... gerade im Vergleich zur Arbeit bei den Vereinten Nationen, durch die ich so viel Freude bereiten konnte, so viele großartige Menschen kennenlernen durfte, so viel Elend, aber vor allem viel Positives erlebt habe.

Willi Lemke über die Vereinten Nationen und Gegenkandidat Pele

SPOX: Wie kam es schließlich zu der Idee, aus der Landespolitik zu den Vereinten Nationen zu wechseln?

Lemke: Ich war von 1999 bis 2007 Bildungssenator. Das war die größte Herausforderung in meinem beruflichen Leben, denn als Bildungspolitiker kann man es niemandem recht machen. Dagegen war das Jahr als Senator für Inneres und Sport wie Urlaub. Als dann der Posten des UN-Sonderberaters für Sport neu besetzt werden sollte, bekam ich das Angebot, meinen Hut in den Ring zu werfen. Ich fand das absurd. Was ist schon ein unbedeutender Senator aus Bremen? Ban Ki-moon wusste wahrscheinlich nicht einmal, wo Bremen liegt, geschweige denn, wer dieser Willi Lemke ist. Das musste er bestimmt erst einmal bei Wikipedia nachgucken lassen.

SPOX: Sie hatten in Brasiliens Fußball-Legende Pele auch einen durchaus prominenten Gegenkandidaten.

Lemke: Das weiß ich gar nicht genau. Es gab wohl insgesamt vier Kandidaten, einer davon soll Pele gewesen sein. Er hatte allerdings, wie ich später erfuhr, nicht die Unterstützung der brasilianischen Regierung, nachdem er als Sportminister in Ungnade gefallen war. Bestätigt wurde das alles aber nie und ich weiß auch nicht, ob er überhaupt ernsthaftes Interesse an dem Job hatte. Ich habe auch nie Kontakt zu ihm gehabt, habe ihm nur einmal bei einem Kongress die Hand geschüttelt. Schon das war eine Sensation, er ist ja immer und überall von einer riesigen Menschentraube umringt. (lacht)

SPOX: In der deutschen Öffentlichkeit fand Ihre Arbeit für die Vereinten Nationen nur wenig Beachtung. Bedauern Sie diese fehlende Aufmerksamkeit?

Lemke: Das habe ich schon bei meinem Wechsel vom Fußball in die Bildungspolitik erfahren. Für mich war es damals ein Hammer, dass die Leute eher daran interessiert waren, ob Ailton Durchfall hatte, als an den wirklich wichtigen Problemen unserer Gesellschaft. Insofern wusste ich schon vorher, dass man gerade mit positiven Geschichten aus der Welt nicht viel Interesse weckt. Gute Geschichten sind immer schlechte Geschichten und erhalten nie so viel Aufmerksamkeit wie Skandale. Damit muss man leider leben, sich aber natürlich trotzdem engagieren und versuchen, auch das Positive immer wieder zu erzählen.

Willi Lemkes Auszeichnungen

JahrAuszeichnung
2016DFB- und Mercedes Benz Integrationspreis - vom DFB erhalten
2014Ehrenpreis des Deutschen Behindertensportverband
2011Berliner-Friedensuhr-Preis - für seinen Einsatz als UN-Sportbotschafter
2010Bobby Medienpreis - von der Bundesvereinigung Lebenshilfe

SPOX: Dann haben Sie jetzt die Gelegenheit, etwas Positives zu erzählen. Welches Erlebnis hat Sie während Ihrer Zeit bei den Vereinten Nationen ganz besonders beeindruckt oder berührt?

Lemke: Da gab es so viele, dass es mir immer schwerfällt, einzelne Geschichten auszuwählen. Eine ganz besondere Erfolgsstory stammt aus Uganda. Dort wurde mir ein junger Hilfslehrer aus dem Hochland für unser Youth Leadership Programme der vorgeschlagen. Im Rahmen eines UN-Seminars bekam er, wie alle Teilnehmer, zwei Tischtennisschläger und ein paar Bälle geschenkt. Zwei Wochen später postete er bei Facebook ein Bild, auf dem zwei seiner Schüler an einem uralten Holztisch ohne Netz Ping-Pong spielten. Die Bildunterschrift lautete: 'Hier seht ihr den Nachwuchs der ugandischen Tischtennis-Nationalmannschaft.' Das hat mich so berührt, dass ich der Schule eine richtige Tischtennis-Platte finanziert habe. Davon erfuhr der Internationale Tischtennis-Bund und spendierte noch zwei weitere Tische. Später bekam ich dann die Nachricht, dass in diesem kleinen Dorf die ersten regionalen Meisterschaften ausgetragen wurden. Was sich dort in kürzester Zeit aus einem winzigen Samenkörnchen entwickelt hat, ist einfach unglaublich.

SPOX: Es gab aber sicherlich auch immer wieder Enttäuschungen und Frust.

Lemke: Recht selten. Es kann natürlich sein, dass ich die negativen Dinge verdrängt habe. (lacht) Aber eigentlich wurde ich überall freundlich willkommen geheißen und konnte immer irgendwie helfen, mit Rat und Tat oder mit etwas Geld. Auch mit der Politik habe ich fast nur gute Erfahrungen gemacht. Wladimir Putin hat mich mit seinen sportlichen Fachkenntnissen beispielsweise sehr beeindruckt, sogar in Nordkorea oder im Iran konnte man mit den Funktionären freundlich und respektvoll reden. Natürlich gab es dort teilweise Meinungen, die meinen Ansichten komplett widersprachen. Im Iran war das zum Beispiel das Verbot für Frauen, Fußballstadien zu besuchen. Das war für mich nicht akzeptabel. Aber solche Dinge muss man nicht mit Gewalt oder Ausgrenzung zu ändern versuchen, sondern durch stetigen Dialog.

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