Zu viele Gegentore, die eklatante Auswärtsschwäche und einige Querelen abseits des Platzes machten Hecking zum Sündebock für Medien und Fans. Dass Hannover dabei die Rückrunde als achtbestes Team abschloss, wurde dabei zur Nebensache.
Im Interview mit SPOX erzählt Hecking über die Narben aus der letzten Saison, die Probleme mit der Doppelfunktion als Trainer und Sportdirektor und seine neue Herangehensweise an die kommende Spielzeit. Außerdem spricht er über die Kritik von Jupp Heynckes an der jungen Trainergarde, die Wechselgerüchte um Robert Enke und den Abschied von Michael Tarnat.
SPOX: Herr Hecking, Jupp Heynckes hat am Wochenende die jungen Trainer kritisiert: Sie seien gute Verkäufer, denen es aber oft am nötigen Know-How mangelt. Sie sind ein junger Trainer...
Dieter Hecking: Stimmt, aber ich kann die Kritik meines alten Trainers Jupp Heynckes verstehen. Wir jungen Trainer müssen aufpassen, nicht das Gefühl zu vermitteln, wir hätten die Weisheit und den Fußball neu erfunden. Ich sehe mich selbst noch als Trainer, der lernen muss. Man braucht in der Bundesliga viel Erfahrung, um auf bestimmte Situationen richtig zu reagieren.
SPOX: Mit Heynckes' Worten: Man kann nicht am offenen Herzen operieren, wenn man vorher noch nie im OP war.
Hecking: Da gebe ich ihm Recht. Natürlich hat jeder seine eigene Philosophie und eigene Ideen. Und jeder, der in der Bundesliga arbeiten will, muss auch von seiner Linie überzeugt sein. Doch am Ende zählt für einen Trainer, dass er eine stimmige Mannschaft auf den Platz bringt, die die Ziele des Vereins erreicht.
SPOX: Dann gehören Sie gar nicht in die Reihe der "modernen" Trainer?
Hecking: Ich würde sagen: Jein. Ich sehe mich selbst als Fußballlehrer, der sich entsprechend zu 80 bis 85 Prozent um das kümmert, was unmittelbar auf dem Platz passiert. Trotzdem suchen wir darüber hinaus aber auch immer nach neuen Möglichkeiten und Methoden abseits des Platzes.
SPOX: Wie zum Beispiel die Arbeit mit Peter Boltersdorf, einem Motivationscoach, mit dem Sie schon in Aachen zusammengearbeitet haben.
Hecking: Darüber haben wir schon im Winter nachgedacht, aber damals haben wir beschlossen, noch zu warten. Und jetzt hat der Zeitpunkt gepasst.
SPOX: Boltersdorf erstellt anhand eines Fragebogens Profile der Spieler, in denen ihre individuellen Antriebe und Lebensmotive analysiert werden. Was erhoffen Sie sich davon?
Hecking: Er hat unter anderem mit Jürgen Klopp, der Handball-Nationalmannschaft oder dem Gewichtheber Matthias Steiner schon erfolgreich zusammengearbeitet. Es geht darum, gruppendynamische Prozesse innerhalb der Mannschaft besser zu begreifen. Darüber hinaus sieht man bestimmte Motivationsstrukturen von Spielern, die man anders vielleicht nicht erkennt. Aufgrund seiner Analyse ergeben sich dann im Optimalfall neue Ansätze für die persönliche Ansprache an die einzelnen Spieler.
SPOX: Für die Analyse werden unter anderem auch sehr persönliche Fragen gestellt. Plakative Beispiele: Welche Rolle spielt Sex im Leben des Einzelnen, wie wichtig sind Statussymbole, welche Rolle spielt das Essen, usw. Wie haben die Spieler darauf reagiert?
Hecking: Wir wollten keinen Druck ausüben und haben das Ganze auf freiwillige Basis gestellt. Aber die Gruppe hat sich geschlossen dafür entschieden, den Test zu machen. Die Mannschaft hat verstanden, worum es letztendlich geht. Die Resonanz war sehr gut.
SPOX: Haben Sie selbst schon die Fragen beantwortet?
Hecking: Ich habe mir schon in Aachen ein Profil erstellen lassen.
SPOX: Mit welchem Ergebnis: Was für ein Motivationstyp sind Sie, was treibt Sie an? Oder ist das zu privat?
Hecking: Naja, wenn Sie ein Beispiel wollen: Mir ist Essen als Lebensmotiv etwa ziemlich gleichgültig. Andere brauchen vielleicht eine Rose am Tisch und wollen das zelebrieren - ich will nur satt werden. Aber die wichtigste Erkenntnis war, dass ich mich in 13 von 16 Lebensmotiven, die Boltersdorf erarbeitet hat, auch tatsächlich wiedererkannt habe - also konnte es für mich kein Hokuspokus sein.
SPOX: Ist eine Analyse der Gruppendynamik auch eine Reaktion auf die letzte Saison, als das Teamgebilde nicht stabil war?
Hecking: Das ist einer der Ansätze. Das Fehlen einer klaren Hierarchie lag allerdings auch daran, dass wir fast über die komplette Saison immer sechs bis neun verletzte Stammspieler hatten. So kann sich kein stabiles Gesamtgefüge entwickeln. Dadurch ist vieles ins Wanken geraten.
SPOX: Trotzdem hatten einige Spieler aber auch Probleme mit dem für Hannover ungewohnt hohen Konkurrenzdruck im Kader.
Hecking: Entsprechende Äußerungen der Spieler muss man tatsächlich hinterfragen. Und auch die Spieler selbst müssen sich hinterfragen. Sie können ja nicht erwarten, dass sie ihren Platz geschenkt bekommen. Das war für manche Spieler vielleicht neu, aber sie müssen den Konkurrenzkampf annehmen, wenn sie nach vorne kommen wollen. Wir haben den Konkurrenzdruck ja bewusst erhöht. Ich als Trainer will einen starken Kader, um auf Ausfälle reagieren zu können. Und auch der Verein will sich weiterentwickeln.