In der Bundesliga ist der FC Bayern München bereits acht Punkte hinter der Spitze zurück. Es läuft noch nicht rund beim Rekordmeister und überhaupt nicht so, wie sich Perfektionist Louis van Gaal das vorstellt. Nur einmal kamen die Bayern bislang der Idealvorstellung des Niederländers ziemlich nahe: Im Champions-League-Spiel gegen Juventus Turin. SPOX analysiert anhand dieser Partie, wie van Gaals Bayern funktionieren - oder besser: funktionieren sollen.
Die Raumaufteilung
Louis van Gaal lässt - typisch holländisch - am liebsten im 4-3-3-System spielen. Aus gutem Grund: Die Niederländer teilen das Spielfeld in Zonen ein. Jeder Akteur hat dabei die Aufgabe, seine Zone zu kontrollieren. Und um die bei gegnerischem Ballbesitz gefährdeten Räume ausreichend sicher zu besetzen, ist das 4-3-3 das geeignetste System.
Defensiv: Bei seinen ersten Versuchen im 4-3-3 setzte van Gaal, wie beispielsweise auch der FC Barcelona, auf einen Sechser zentral vor der Abwehr und zwei offensiver ausgerichtete Mittelfeldspieler im Halbfeld davor.
Mittlerweile hat van Gaal allerdings umgestellt. Gegen Juve agierten Andreas Ottl und Bastian Schweinsteiger als klassische Doppelsechs, zentral davor lief Thomas Müller auf.
Bei kontrolliertem Spielaufbau des Gegners verschiebt sich das Bayern-System allerdings. Die beiden Außenstürmer (gegen Juve Ribery und Robben) lassen sich hinter den Ball zurück ins Mittelfeld fallen. Schweinsteiger und Ottl halten das Zentrum. Aus dem Dreier-Mittelfeld wird eine Viererreihe (mit etwas vorgezogenen Außen). Durch die Abwehrkette im Rücken sind so acht Mann in zwei Viererlinien positioniert, wodurch alle Zonen jederzeit kontrollierbar sind (siehe Bild 1).
Müller und Klose in vorderster Front
Im Idealfall beträgt der Abstand zwischen beiden Reihen nur wenige Meter. Bei jedem Anspiel kann der Gegner dadurch in kürzester Zeit unter Druck gesetzt werden. Die Wahrscheinlichkeit des Ballgewinns wird deutlich erhöht, vor allem weil dem Gegner häufig nur der lange Ball bleibt.
In vorderster Front stören - anders als bei Barcas 4-3-3 - mit Müller und dem Mittelstürmer (gegen Juve Klose) zwei Mann auf gleicher Höhe den Spielaufbau, ohne dabei aggressiv zu pressen. Sind beide überspielt, heißt Müllers Auftrag, nochmal hinter den Ball zu kommen und das Mittelfeld dadurch noch engmaschiger zu machen.
Klose hingegen bleibt in der Regel in der Spitze, bindet die Innenverteidigung und versucht, den kontrollierten Rückpass und damit eine höhere Ballbesitzzeit beim Gegner zu verhindern (siehe Bild 2).
Offensiv: Die beiden Außenverteidiger schieben Richtung Außenlinie und ein paar Meter nach vorne. Schweinsteiger und Ottl bleiben vor der Abwehr und bieten sich für den kurzen Ball in den Fuß an. Schweinsteiger orientiert sich dabei einen Tick weiter in die Offensive.
Ribery und Robben schieben - nicht ganz auf eine Höhe mit Klose - nach vorne und vor allem weit nach außen, um das Feld möglichst groß zu machen. Klose versucht, die Innenverteidigung in die Tiefe zu ziehen und so ein Loch zwischen zentraler Abwehr und defensivem Mittelfeld des Gegners zu erzeugen (siehe Bild 5).
In diesem Raum ist Müller positioniert, also sichtbar hinter Klose, in etwa auf gleicher Höhe mit Ribery und Robben. Und so sind auch offensiv alle Zonen besetzt.
Zusammengefasst heißt das: Offensiv agiert der FC Bayern im 4-2-3-1 mit einem sehr offensiven Thomas Müller hinter der zentralen Spitze. Defensiv verschiebt sich das Ganze eher in Richtung 4-4-1-1 mit flacher Vier im Mittelfeld.
Die Spieleröffnung
Zu van Gaals Zeit bei Ajax war die Spieleröffnung aus der Innenverteidigung heraus Pflicht. Beide zentralen Abwehrspieler sollten den ersten konstruktiven Ball (ob kurz und flach oder lang und weit) nach vorne bringen.
In München sieht das bislang anders aus. Womöglich auch, weil Badstuber noch nicht sicher genug ist und van Buyten dazu die Qualität fehlt. Ab und an versucht sich vor allem Badstuber zwar mit einem druckvollen Flachpass durchs Mittelfeld oder einem Diagonalball auf die Flügelspieler, in der Regel wird der Ball allerdings einem der beiden Sechser in den Fuß gespielt (siehe Bild 2) oder ein Außenverteidiger gesucht.
Van Gaal fordert: Flach und mit Druck
Flach und mit viel Druck lautet dabei van Gaals Vorgabe, um bei Bedarf jederzeit Tempo aufnehmen zu können. Aber: Der Kurzpass von hinten heraus muss sicher sein. Deshalb schieben sich die vier Abwehrspieler den Ball häufig hin und her, bis sich eine geeignete Möglichkeit ergibt.
Erste Option im Spiel nach vorne ist bei den Bayern stets der Ball auf die Außenstürmer (siehe Bild 5), die das Spielgerät immer in den Fuß bekommen. Übers Zentrum findet der Spielaufbau kaum statt. Spätestens von Ottl/Schweinsteiger aus wandert der Ball nach außen.
Gelegentlich versuchen es die Münchner auch mit dem langen Ball durch die Mitte, den Klose weiterleiten soll. Müller läuft dann mit Tempo von der offensiven Mittelfeldposition ins Sturmzentrum durch, versucht Kloses Verlängerung zu bekommen und setzt so den zweiten Innenverteidiger, der nicht ins Duell mit Klose geht, unter Druck.
Müller selbst ist eigentlich in keiner Variante der Spieleröffnung vorgesehen. Der Youngster bietet sich in der Zentrale zwar häufig kurz an, bekommt den Ball dann auch ab und an, lässt ihn aber meist wieder direkt zurückprallen.
Müllers vornehmliche Aufgabe in der Spieleröffnung: Ständig in Bewegung sein. Durch hohes Laufpensum und häufiges Anlaufen soll er den Impuls für die Bayern-Angriffe geben - ohne dabei unmittelbar am Geschehen beteiligt zu sein und viele Ballkontakte zu haben.
Die Offensivwaffen
Van Gaal und Ribery - das passte anfangs nicht. Der Niederländer sah den Franzosen eher in zentraler Position, Ribery aber wollte auf seiner angestammten linken Seite spielen. Seit der Verpflichtung von Arjen Robben hat sich dieses Problem gelöst. Robben rechts, Ribery links - jeder darf auf seiner Lieblings-Position ran, wie auch Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger.
Arjen Robben: Der Niederländer ist ein klassischer Außenstürmer, hat das von Kindesbeinen an gelernt. Zu Beginn seiner Karriere kam der 25-Jährige allerdings meist über die linke Seite. Bei Bayern kommt Robben, wie auch bei Real, über rechts.
Der Vorteil: Robben kann mit seinem starken linken Fuß den direkten Weg zum Tor suchen. Dabei wartet der Niederländer meist an der Außenlinie, verschafft sich so etwas Platz und Raum, um in den Ball zu gehen.
Robben: Zwei bevorzugte Varianten
Wenn die Angriffe über Robbens Seite laufen, gibt es zwei Varianten. Erstens: Robben bleibt an der Linie kleben, zieht damit den Außenverteidiger mit heraus und macht so den Raum für die nachrückenden Lahm, Müller oder Schweinsteiger auf.
Variante zwei: Robben kommt mit einem kurzen Antritt dem Ball entgegen, häufig bis zur Mittellinie, rückt dabei deutlich weiter ins Zentrum und schafft so eine Lücke für den diagonal startenden Müller oder den nachstoßenden Lahm (siehe Bild 1 und 2). Das Tempo, das Robben durch seinen Antritt aufgenommen hat, kann er nun mit dem Ball am Fuß für sein Dribbling Richtung Tor nutzen.
Franck Ribery: Der Franzose gibt erstmals in seiner Karriere den Außenstürmer - und interpretiert seine Rolle anders als sein Gegenpart. Der 26-Jährige nimmt deutlich mehr am Spielgeschehen teil, wartet nicht so konsequent wie Robben auf dem Flügel. Der Franzose zieht auch ohne Ball häufiger ins Zentrum, sucht dort die Bindung zum Spiel.
Ähnlich wie der Niederländer geht Ribery fast immer in den Ball und rückt dabei einige Meter von der Außenlinie ein. Anders als bei Robben hat dies allerdings nicht den Grund, dass so Lücken für die Kollegen geschaffen werden. In erster Linie will sich Ribery dadurch mehr Raum fürs Eins-gegen-Eins geben (siehe Bild 3) und die Option eröffnen, mal ins Zentrum, mal über die Außenbahn zu dribbeln, was er (im Gegensatz zu Robben) ohnehin bevorzugt.
Ziel: Ribery isolieren
Auch die Mitspieler verhalten sich anders, wenn Ribery den Ball am Fuß hat. Der Linksverteidiger schiebt nur selten nach und Müller kommt meist kurz, geht also fast nie den diagonalen Weg in die Lücke auf Linksaußen. Der Grund: Man will Ribery mit möglichst wenigen Gegenspielern isolieren, um so seine außergewöhnlichen Fähigkeiten im Dribbling bestmöglich nutzen zu können.
Zwei Auffälligkeiten: Sowohl Robben als auch Ribery bekommen den Ball fast immer in den Fuß gespielt und damit nur mit wenigen Ausnahmen die Linie entlang. Und: Die beiden Außenverteidiger hinterlaufen nur selten und suchen kaum den Weg in die Offensive. Braafheid auf links verzichtet komplett darauf, Lahm schränkt sich merklich ein. Der Grund: Van Gaal will nicht, dass seine Außenbahnspieler permanent ihre Zonen im Defensivbereich unbesetzt lassen.
Thomas Müller: Der offensive Mittelfeldspieler in van Gaals System ist keineswegs ein klassischer Spielmacher. Durch Müller unterscheidet sich Bayerns 4-3-3 signifikant von Barcas System, in dem im Offensivbereich mit Xavi und Iniesta zwei Achter spielen, die für Spielkontrolle und Kreativität verantwortlich sind.
Müller hingegen soll immer wieder ins Sturmzentrum nachrücken, dadurch auch den zweiten Innenverteidiger unter Druck setzen. Und er hat immer für einen Moment lang Luft, wenn er vom defensiven Mittelfeld zum Abwehrspieler übergeben wird.
Kurzum: Müller ist und soll kein Spielgestalter a la Xavi oder Iniesta sein, sondern vielmehr ein Torjäger aus der zweiten Reihe wie Jari Litmanen zu den großen Ajax-Zeiten.
Die Schwächen
Viel von dem, wie sich van Gaal seinen FC Bayern vorstellt, setzte seine Mannschaft vor allem in der ersten Halbzeit gegen Juve um, einiges funktionierte allerdings noch nicht. Und etliche Dinge klappten vor allem in der Bundesliga nicht.
Ein großes Problem: Unter van Gaal haben die Bayern zwar schon einen genauen Plan, wie man die starken Außenstürmer ins Spiel bringt. Wie man gelungene Angriffe allerdings erfolgreich abschließt, ist eine Frage, auf die der Rekordmeister zuletzt nur selten eine Antwort fand. Vor allem, wenn es gegen sehr defensiv eingestellte Gegner ging.
Eine Erklärung dafür ist, dass die Bayern (noch) ein Problem haben, in die Tiefe zu kommen. Das ist zugegebenermaßen gegen tief stehende Gegner schwierig, keinesfalls aber unmöglich. Warum klappt es dennoch nicht?
Klose und Müller müssen rochieren
Für Möglichkeit eins, dem Pass in die Gasse durchs Zentrum, müssten Klose und Müller mehr rochieren - Klose also dem Ballverteiler entgegenkommen und Müller steil gehen. Dadurch würden die beiden Innenverteidiger beschäftigt, einer von beiden aus dem Zentrum gezogen werden und so eine Lücke für den Steilpass entstehen.
Als zweite Option bliebe noch der Ball in die Tiefe auf einen der beiden Außenstürmer. Dazu müsste sich Klose mit Müller im Mittelfeld für ein Anspiel anbieten. Dadurch würden beide für den Gegner eine Bedrohung im gefährlichen Raum zentral vor dem Tor darstellen (siehe Bild 2).
Um diese Gefahr zu unterbinden, muss aus dem Abwehr-Zentrum ein Innenverteidiger vor die Viererkette rücken, wodurch eine Lücke entsteht, in die Robben/Ribery dann einlaufen kann. Ein großer Vorteil, wenn man die Flügel offensiv besetzt hat. Dieser Angriffszug war im letzten Jahr eine der stärksten Waffen von Barca.
Während die Automatismen in der Offensive noch nicht perfekt sitzen, steht die Defensive schon recht ordentlich. Das Manko dort: Individuelle Schwächen. Edson Braafheid beispielweise offenbart doch erhebliche Probleme beim Ein- und Aufrücken der Viererkette.
Van Buyten hält teilweise die Linie in der Abwehrreihe nicht und lässt sich vom Gegner zu tief in die eigene Hälfte drücken. Und Ribery und Robben sind nicht die geborenen Defensiv-Künstler, wodurch immer wieder Lücken in der Mittelfeldreihe entstehen und einzelne Zonen nicht ausreichend besetzt sind.
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