"Das ist mir unerklärlich"

SID
Hertha BSC steht derzeit auf dem letzten Tabellenplatz der Bundesliga
© Getty

In regelmäßigen Abständen diskutieren Experten und Prominente bei SPOX das aktuelle Fußball-Geschehen. Das Thema diesmal: der Abstiegskampf der Bundesliga. SPOX hat zu jedem Verein aus der Abstiegszone vom 1. FC Nürnberg bis Hertha BSC eine These aufgestellt - und diese von Experten überprüfen lassen.

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1. FC Nürnberg (14., 28:49 Tore, 28 Punkte)

von Christian Biechele (Kicker)

SPOX-These: Ob Abstieg oder Klassenerhalt - Nürnbergs Mannschaft bricht auseinander.

Prognosen abzugeben, hat etwas vom Gang mit Ledersohlen auf Eis. Die Gefahr, auszurutschen, ist hier wie da häufig groß. Dass aber dem Nürnberger Manager Martin Bader ein heißer, weil arbeitsreicher Sommer bevorsteht, lässt sich risikolos vorhersagen. Was Wunder, mit Andreas Ottl, Breno, Marcel Risse, Eric Maxim Choupo-Moting, Havard Nordtveit und Mickael Tavares stehen derzeit alleine sechs Leihspieler in Diensten des FCN, deren Arbeitspapier mit Saisonschluss endet.

Letzteres gilt auch für Publikumsliebling Javier Pinola, der Nürnberg zwar seine zweite Heimat nennt, aber, weil er zur raren Spezies der guten Linksverteidiger zählt, bei einem Wechsel richtig viel Geld verdienen würde. Hinzu kommen Baustellen in Form von Akteuren, die zwar längerfristig unter Vertrag stehen, aber bei der zahlungskräftigeren Konkurrenz Begehrlichkeiten geweckt haben. Dies gilt in erster Linie für Dennis Diekmeier und Albert Bunjaku, aber auch für Ilkay Gündogan und Dominic Maroh, der wohl für eine niedrige siebenstellige Summe aus seinem bis 2012 gültigen Vertrag heraus gekauft werden kann.

Für den Club ist dies einerseits gut, denn ohne Transfergewinne würde sich ein mehrere Millionen Euro großes Loch im Etat auftun - alleine die personellen Kurskorrekturen im Laufe der Saison wollen schließlich finanziert sein. Die Kehrseite: Es entsteht ein Verlust an sportlicher Qualität. Den auszugleichen, wie auch das Ansinnen, den einen oder anderen Leihspieler zum eigenen zu machen oder noch eine Spielzeit behalten zu dürfen, gelingt wenn überhaupt, nur im Falle des Ligaerhaltes. Sollte es damit nichts werden, geht es ohnehin ans Eingemachte. Dann muss Martin Bader rigoros den Rotstift ansetzen, denn ein weiterer Kraftakt wie der beim Abstieg 2008 würde den Verein in die Knie zwingen.

 

VfL Bochum (15., 32:54 Tore, 28 Punkte)

von Kai Griepenkerl (RevierSport)

SPOX-These: Heiko Herrlich schwächt die falschen Spieler.

Die alte Phrase vom "Tagesgeschäft Bundesliga" bestätigt sich für Heiko Herrlich auf schmerzhafte Weise. Für Maßnahmen, für die er vor Wochen noch gelobt wurde, wird er nun kritisiert. Dabei kann man einem, der als "Erneuerer" geholt wurde, nicht den Umbau der Hierarchie vorwerfen. Dass er berechtigterweise nicht auf Mimoun Azaouagh baut, unterstreicht der sensible Techniker mit lustlosen Auftritten, wenn er denn mal seine Chance erhält. Und auch Kapitän Marcel Maltritz kann nicht allein aufgrund der Binde eine Stammplatzgarantie erwarten.

Es ist keine Frage, dass Herrlichs Maßnahmen nicht alle gegriffen haben. Roman Prokoph etwa, der aus der Reserve hochgezogen wurde, blieb bislang den Beweis seiner Bundesliga-Tauglichkeit schuldig.

Herrlich ist kein Messias, sondern im Profibereich ein Trainer-Novize. Er ändert viel, dabei muss man ihm auch Fehler zugestehen. Denn eines ist sicher: Wäre er untätig geblieben, stünde der VfL längst nicht mehr über dem ominösen Strich.

 

Hannover 96 (16., 34:56 Tore, 27 Punkte)

von Michael Tarnat (Ex-Profi, von 2004 bis 2009 bei Hannover)

SPOX-These: Hannover hätte anstelle von Mirko Slomka besser einen klassischen "Feuerwehrmann" als Trainer holen sollen.

Mit der Verpflichtung von Mirko Slomka hat man sich sicher erhofft, schnell die nötigen Punkte einzufahren und in ruhigeres Fahrwasser zu kommen, um dann perspektivisch etwas Neues aufzubauen. Leider ist der Schuss erstmal nach hinten losgegangen. Dennoch sollte man erst am Ende der Saison Bilanz ziehen, ob der Trainerwechsel sinnvoll war. Noch ist alles drin und man hat immer noch die Chance mit dem Klassenerhalt aus einer verkorksten Saison etwas Positives zu machen.

Die Tragödie um Robert Enke hat den Verein und das Team zusätzlich verunsichert. Robert war die Leitfigur im Verein, in der Mannschaft, im Umfeld, in der ganzen Region. Er war nicht nur ein herausragender Spieler und Mensch, sondern er war derjenige, an dem sich alle orientiert und aufgerichtet haben. Wenn eine solche Persönlichkeit einfach nicht mehr da ist, dann hat es jede Mannschaft schwer, den Verlust abzufangen. Ich denke, dass man in Hannover einfach nicht wusste, wie es nach Roberts Tod weitergehen soll.

Vielleicht war das Trainingslager vor den Spielen gegen den HSV und gegen Schalke die richtige Maßnahme, um die Kehrtwende herbeizuführen. Die Ergebnisse sprechen dafür. Jetzt müssen alle an einem Strang ziehen und das Team muss sich zusammenraufen. Noch brennt Licht im Keller.

 

SC Freiburg (17., 27:55 Tore, 25 Punkte)

von Martin Spanring (Ex-Profi, von 1993 bis 1997 bei Freiburg)

SPOX-These: Der Klassenerhalt wäre ein Wunder - denn Freiburg ist ein Zweiliga-Standort.

Die These ist hart, aber sicher nicht verkehrt. Der Verein pendelt zwischen den Ligen und versucht, sich so lange wie möglich oben zu halten. Aber der SC ist kein Verein, der in Sachen Infrastruktur, Spieler oder Budget dauerhaft erstligatauglich ist. Das Problem hängt auch mit dem Stadion zusammen. Während Zweitligavereine wie Augsburg oder Düsseldorf neue Stadien bauen, sich so eine neue Infrastruktur schaffen und dadurch auch eine ganz andere Vermarktungsmöglichkeit haben, was beispielsweise die Logen betrifft, hat Freiburg einen klaren Standort-Nachteil.

Das Freiburger Stadion ist trotz seiner geringen Kapazität selten ausverkauft - was auch an der schlechten Verkehrsanbindung liegt. Die Fanklubs aus dem Schwarzwald brauchen beispielsweise drei Stunden für die Anreise, weil viele Straßen abgesperrt sind. Ein neues Stadion wäre also das A und O für einen längeren Erstligaverbleib. Der Verein hat deshalb auch schon eine Machbarkeitsstudie für ein neues Stadion in Auftrag gegeben. Und Freiburg ist sicher nicht der ärmste Verein in Deutschland.

Die Frage ist nur, wo das Geld am besten investiert wird. Das Risiko, Geld in neue Spieler zu stecken und das Budget hochzuschrauben, ist für eine kleine Stadt wie Freiburg einfach zu groß. Freiburg ist schon seit 20 Jahren dafür bekannt, mit guten, aber nicht unbedingt erstligatauglichen Spielern aufzusteigen und die Klasse zu halten. Diesem Weg sollte man treu bleiben. Mit Robin Dutt ist ein Trainer da, der das Optimale aus der Mannschaft rausholt, ein sehr gutes Auge für Spieler hat und die Mannschaft auch punktuell verstärken kann, wenn das Team die Klasse hält - ein Sieg gegen Nürnberg ist die Voraussetzung dafür. Dazu ein neues Stadion, eine verbesserte Infrastruktur und Freiburg kann auf Dauer auch Erstliga-Standort werden.

 

Hertha BSC (18., 30:49 Tore, 22 Punkte)

von Marko Rehmer (Ex-Profi, von 1999 bis 2005 bei Hertha)

SPOX-These: Die Hertha hat sich zu sehr auf das System Favre verlassen und die Führungsspieler nicht geschützt.

Dass die Hertha zu abhängig vom System Lucien Favre gewesen sein soll, glaube ich nicht. Unter Favre hat die Mannschaft zu Saisonbeginn nie zu ihrem Spiel gefunden und vor allem nicht die erhofften Ergebnisse eingefahren, wie das im letzten Jahr der Fall gewesen ist. Da hat man auch mal schlecht gespielt, aber trotzdem die Punkte geholt und viele Spiele knapp gewonnen. In dieser Saison fehlt auch das Glück, was eben auch dazu gehört, um erfolgreich Fußball zu spielen.

Einer der Hauptgründe für Herthas sportliche Talfahrt ist der undankbare vierte Platz und damit das Verpassen der Champions-League-Qualifikation im vergangenen Jahr. Das hat Auswirkungen auf diese Spielzeit, die nun auf tragische Weise sichtbar werden. Vielleicht ist man auch zu locker in die Saison gegangen und hat geglaubt, dass man Leistungsträger wie Josip Simunic, Andrej Woronin und Marko Pantelic ersetzen kann. Dass deren Verlust schwer zu kompensieren ist, steht außer Frage, aber am Weggang von drei Stammspielern zerbricht keine Mannschaft.

Vielmehr muss sich jeder einzelne verbliebene Spieler fragen, warum er nicht mehr annährend an die Leistung aus der Vorsaison anknüpfen kann. Das ist mir unerklärlich. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, die Klasse zu halten, gering ist und es die Hertha nicht mehr selbst in der Hand hat, dürfen die Jungs nicht aufgeben und müssen alles versuchen, die verbleibenden vier Spiele zu gewinnen oder mit erhobenem Haupt absteigen.

Wer bleibt drin, wer steigt ab? Jetzt mit dem Tabellenrechner durchspielen!