Mit der Ruhe ist es im Breisgau vorbei. Nachdem der SC Freiburg wenige Tage vor Weihnachten bereits mit der Freistellung von sechs Spielern aus dem Profi-Kader für Irritationen gesorgt hatte, hat der Verein nun auch seinen Trainer Marcus Sorg vor die Tür gesetzt. Angesichts von Tabellenplatz 18 und fünf Punkten Abstand auf einen Nichtabstiegsplatz sieht der Verein das Saisonziel Klassenerhalt gefährdet.
Das Bild des einst so beschaulichen Badener Klubs ist kurz vor Jahresfrist einem heillosen Durcheinander gewichen, die Hintergründe sind komplex. Was steckt hinter der scheinbaren Kurzschlussreaktion und wie geht es mit dem neuen Cheftrainer Christian Streich weiter?
1. Woran ist Marcus Sorg gescheitert? Das Bild des jubelnden Papiss Demba Cisse war das Bild des SC Freiburg 2010/2011. Der Senegalese hatte mit 22 Ligatreffern den Löwenanteil an der starken Saison der Breisgauer, die mit Platz neun in der Tabelle endete. Trainer Robin Dutt hatte aus seiner Mannschaft das Maximale herausgeholt.
Als Nachfolger für den nach Leverkusen abgewanderten Coach wurde Marcus Sorg präsentiert. Ein Mann mit Stallgeruch, der Erfolge in der Jugendarbeit vorzuweisen hatte. Ein anerkannter Fachmann, sachlich in der Analyse, zurückhaltend in der Öffentlichkeit.
Obwohl die Erwartungen für die neue Saison seitens der Klubführung nach Dutts Weggang umgehend heruntergeschraubt wurden und der Klassenerhalt als Saisonziel angegeben wurde, ist Sorg gescheitert. Seine Idee, offensiven Fußball spielen zu lassen, ging nach hinten los. Mit 39 Gegentoren stellt der SC die schlechteste Abwehr der Liga; 14 Gegentore mehr als in der Saison 2010/11 nach 17 Spieltagen.
Einige Spieler kritisierten öffentlich Sorgs Trainingsmethodik und taktische Vorgaben. Ein Unding, doch Sorg verzichtete auf disziplinäre Maßnahmen. Er stellte sich stets vor seine Spieler, die dies als "Schwäche" des Trainers deuteten und schamlos ausnutzten.
Cisse, mit neun Treffern erneut mit Abstand bester Torschütze der Freiburger, ließ sich nach dem geplatzten Wechsel im Sommer wochenlang hängen und störte den Betriebsfrieden.
"Es ist belastend für die Mannschaft, wenn sich die ganze Vorbereitung und auch die ersten Saisonspiele immer nur um einen Spieler drehen", sagte Sportdirektor Dirk Dufner nach dem 0:7 beim FC Bayern am 10. September zu SPOX. Sorg war auch in der Personalie Cisse nicht bereit, maßregelnd einzuwirken.
Der SC Freiburg war am Ende ein zerstrittener Haufen. Nach dem 1:4 gegen Dortmund zum Hinrunden-Kehraus sagte Jan Rosenthal auf die Frage, wie der Klassenerhalt zu realisieren sei: "Keine Ahnung. Ich bin nicht der Trainer. Ich weiß, wie wir spielen. Wir müssen einfach mal ein bisschen länger zu Null spielen und dann mit ein bisschen Vertrauen wieder miteinander spielen."
2. Welche Rolle spielt die Klubführung? Eine fragwürdige. Kurz vor Weihnachten sprangen Dufner und Präsident Fritz Keller Sorg an die Seite. In Absprache mit dem Trainer wurden sechs Spieler, darunter Kapitän Heiko Butscher, dem eine Führungsrolle als "Revoluzzer" gegen Sorg vorgeworfen wurde, aussortiert.
Dadurch wurden laut Dufner "Revolten im Eigeninteresse im Keim erstickt". Der Weg für einen Neuanfang mit dem Trainer Sorg schien frei, zumal Dufner die Verpflichtung zwei, drei neuer Spieler für den Januar ankündigte. Kurz vor Jahresende dann die Kehrtwende: Sorg wird entlassen.
"Wir hatten das Gefühl, dass der Glaube daran, enge Spiele zu gewinnen, in der Mannschaft nicht mehr vorhanden war", sagte Dufner. Keller fügte hinzu, dass es eben Zeit brauche, "schmerzhafte Entscheidungen vorzubereiten."
Zudem wehrte sich Keller gegen die Darstellung, in Freiburg herrsche ein Durcheinander. "Wir haben keine Chaostage. Es ist ruhig und nachdenklich gehandelt und die richtige Entscheidung getroffen worden", sagte er der "Badischen Zeitung".
Die "Bild"-Zeitung spekuliert, dass Keller auf die Kritik der Fans an Sorg reagiert habe. Der Präsident sei ein Internet-Fan und habe sich intensiv mit den Einträgen der Freiburger Fans in verschiedenen Foren beschäftigt. "1. Internet-Rauswurf der Bundesliga", schrieb "Bild".
3. Wer ist Christian Streich? Immerhin beweist der SC Freiburg hinsichtlich der Nachfolgeregelung auf der Trainerposition Kontinuität. 16 Jahre lang trainierte Christian Streich die Freiburger U 19, dreimal gewann er mit seiner Mannschaft den DFB-Junioren-Vereinspokal und 2008 die A-Junioren-Meisterschaft.
Auf der Pressekonferenz legte Streich offen, wie schwer ihm die Entscheidung, Nachfolger von Sorg zu werden, gefallen sei: "Gegenüber Marcus war es vielleicht die schwierigste Entscheidung in meinem Leben." Präsident Keller bestätigte, dass es viel Überzeugungsarbeit bedurfte, Streich den Job schmackhaft zu machen. "Er wollte es eigentlich nicht machen, aber jetzt sind wir froh, dass er da ist", sagte Keller.
Streich verlangt von seinen Spielern vor allem eines: Fleiß. "Wir müssen arbeiten, arbeiten, arbeiten und alles aus der Mannschaft holen", sagte er am Donnerstag.
Wie Sorg ist Streich ein eher ruhiger Typ. Öffentliche Kritik der Spieler an seiner Arbeit würde er nie dulden: "Das wird es bei mir nicht geben. Wer Charakter hat, wird darauf auch verzichten." Heißt: Störenfriede werden umgehend aussortiert.
4. Welche Auswirkungen hat der Trainerwechsel auf den Kader? Die fristlose Kündigung für Yacine Abdessadki sowie die Entscheidung, Felix Bastians, Maximilian Nicu, Manuel Salz, Kisho Yano und Kapitän Heiko Butscher künftig nicht mehr zu berücksichtigen, haben weiterhin Bestand.
Neuzugänge werden vor allem im Defensivbereich in Erwägung gezogen, fieberhaft gesucht werden ein Innenverteidiger und ein Mann für die linke Außenbahn. "Wir wollen zwei Spieler verpflichten, vielleicht auch drei. Wir arbeiten mit Hochdruck, aber noch gibt es nichts zu vermelden", sagte Dufner.
Neben Ricardo Rodriguez vom FC Zürich gelten laut "Badischer Zeitung" auch Thorben Marx (Mönchengladbach) und der algerische Mittelfeldspieler Djamel Mesbah vom italienischen Erstligisten US Lecce als Kandidaten.
Doch es ist auch möglich, dass Streich zunächst Spieler einbaut, die er aus der U 19 kennt. Als aussichtsreichster Kandidat für die Linksverteidigerposition gilt nach der Freistellung für Felix Bastians der 19-jährige Nicolai Lorenzoni.
Im Sommer hatte Sorg den Nachwuchsspieler bereits mit ins Trainingslager genommen, wo er einen guten Eindruck hinterließ. Unter Streich stehen die Chancen gut, dass er sich künftig in der Bundesliga beweisen kann. Weitere Hoffnungsträger sind Innenverteidiger Immanuel Höhn und Alexander Schwolow, der als dritter Torwart ins Profi-Team rücken wird.
5. Wie geht es weiter? Dem SC Freiburg sind nach der Ära Finke und vor allem nach dem Ableben des langjährigen Präsidenten Achim Stocker im Herbst 2009 das Bild vom idyllischen Kleinverein und die interne Kontinuität abhanden gekommen. Davon konnte die erfolgreiche Saison 2010/2011 zwar ablenken, doch nach der katastrophalen Hinrunde der neuen Serie herrscht mehr denn je Ratlosigkeit.
Langfristig muss Freiburg gar nicht in der Bundesliga spielen. Präsident Keller: "Wir wollen in den nächsten Jahren zu den 25 besten Vereinen in Deutschland gehören." Mit der Maßnahme, sechs Spieler und den Trainer rauszuwerfen, versucht der Sportclub dennoch mit Macht, den Klassenerhalt zu realisieren.
Die Idee, noch mehr Spieler aus der eigenen Jugend in den Profikader einzubinden, die Streich selbst schon erfolgreich betreut hat, könnte sich langfristig als nützliches und tragbares Konzept erweisen. Um auch in der Saison 2012/13 in der Bundesliga spielen zu dürfen, muss der Kader aber zwingend auch mit erfahrenen Spielern bestückt werden.
Christian Streich im Steckbrief