SPOX: Wen sehen Sie zukünftig im deutschen Tor?
Stiel: Marc-Andre ist vom gesamten Auftreten vor Neuer. Er besitzt die Ausstrahlung - und er ist noch sechs Jahre jünger. Wer weiß, was in naher Zukunft passiert? Und vom eigentlichen Können finde ich Adler ohnehin talentierter als Neuer. Was viele vergessen: Es ist nicht allzu lange her, als Adler die unumstrittene Nummer eins war. Dann kam der Knick in Leverkusen. Hätte er sich damals nicht verletzt, wäre die Konstellation heute komplett anders.
SPOX: Adler ist talentierter als Neuer? Die Leistungen in dieser Saison bestätigen das nicht.
Stiel: Er leidet unter dem Durcheinander und der fehlenden Kontinuität in Hamburg. Und er hat nach wie vor immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Dennoch gefällt es mir vom Gesamtbild besser, wenn ich Adler auf dem Platz sehe. Es spielt auch eine persönliche Präferenz eine Rolle, aber bei ihm sieht alles einfach runder aus als Neuer. Benaglio ist ähnlich wie Adler. Man sieht ihnen gar nicht an, wie groß sie tatsächlich sind, weil sie so runde, flüssige Bewegungsabläufe haben. Neuer hingegen wirkt eckig.
SPOX: Sie loben Benaglio wiederholt. Wie gut ist Yann Sommer, sein Stellvertreter in der Schweizer Nationalmannschaft, der als ter Stegens Nachfolger in Gladbach gehandelt wird?
Stiel: Yann passt wie das Faust aufs Auge. Er ist wie Marc-Andre beidfüßig und beidhändig. Sein Spielverständnis, die Antizipation, das Verhalten auf der Linie, das Eins-gegen-eins - alles ist überdurchschnittlich bis überragend. Dazu ist er clever, smart, gut aussehend und dabei sehr bescheiden, so dass er vom Image her Marc-Andre perfekt nachfolgen könnte. Das Gesamtpaket spricht für Yann. Er könnte zur neuen Identifikationsfigur werden. Er verkörpert das gewisse Etwas.
Yann Sommer im Porträt: Symbiose aus Genie und Wahnsinn
SPOX: Doch es bleibt die Kritik, dass er mit 1,83 Metern zu klein ist für den europäischen Top-Fußball.
Stiel: Wenn ich so etwas schon höre... Da fragt man den Falschen, ich war ja ebenfalls nie der größte Torwart. Aber ist die Länge wirklich entscheidend? Ich habe noch nie eine Statistik gesehen, wonach Torhüter über 1,85 Metern mehr Bälle abfangen als Kleinere. Yann spielt in der Champions League und für die Schweizer Nationalmannschaft und hatte noch nie Probleme bei Flanken.
SPOX: Hat Sommer keine Schwächen?
Stiel: (schüttelt entschieden den Kopf)
SPOX: Wirklich keine Schwächen?
Stiel: Er ist nicht komplett fehlerfrei - wobei: Welcher Top-Torwart ist es? Ist das gleich eine Schwäche? Tut mir leid, ich würde gerne etwas sagen, allerdings geht es nicht.
SPOX: Demnach wäre eine Ablöse zwischen sechs und acht Millionen Euro gut angelegt, obwohl Sommers Vertrag wie bei ter Stegen 2015 endet?
Stiel: Man kann sich sicher sein: Wenn sich Max Eberl für einen Spieler interessiert, dann scoutet Gladbach denjenigen nicht erst seit gestern intensiv, sondern seit ein, zwei Jahren. Und wenn Max es für richtig hält, Geld in die Hand zu nehmen, dann hat es Hand und Fuß. Für mich sind gar nicht die Spieler, sondern Max und sein Office-Team das wahre Kapital des Vereins. Ich habe noch nie einen Sportchef gesehen, der so strukturiert und kompetent ist wie Max. Nicht umsonst sind mehr als 20 Juniorennationalspieler in Gladbach. Wenn ich mir vorstelle, wo der Klub vor zehn Jahren war, sind das Welten.
SPOX: Für Sommer wäre Gladbach der nächste Schritt einer interessanten Vita. Er war nie der Torwart-Überflieger, sondern diente sich hoch.
Stiel: Bei Sommer ist das entscheidende Wort: Karriereplanung. Ich habe selten einen Spieler gesehen, der so vorausschauend die Entscheidungen traf. Er ließ sich zum FC Vaduz nach Liechtenstein ausleihen, um spielen zu können. Dann kämpfte er sich bei den Grasshoppers durch, bevor er in Basel endlich die logische Nachfolge von Franco Costanzo antreten konnte. Daher würde die Borussia jetzt Sinn machen. Früher fanden Günter Netzer und Rainer Bonhof über Gladbach den Weg zu Real Madrid. Was die meisten nicht wissen: Auch Uwe Kamps war mal Thema bei Real. Und zuletzt bewiesen Dante und Marco Reus: Aus Mönchengladbach erobert man die große Welt.
Marc-Andre ter Stegen im Profil