"Scouting heißt auch Selbstkritik"

Jörg Jakobs (r.) im Gespräch mit Kölns Cheftrainer Peter Stöger
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SPOX: Scouting muss sehr kreativ sein, weil sich die interessanten Märkte immer wieder verschieben. Manche werden neu erschlossen, andere dagegen verworfen. Woran merkt man, dass ein Markt sozusagen tot ist?

Jakobs: Man muss sich die Spiele des betreffenden Marktes anschauen. Dann sieht man, wie hoch das Niveau ist, welche Spieler auffallen und welche nachkommen. Kommen in einer kleinen Liga nur wenig junge Spieler nach und kehren stattdessen viele etablierte Spieler dorthin zurück, dann ist der Markt wohl nicht mehr sehr interessant. Umgekehrt ist Japan beispielweise ein Markt, der mit dem Transfer von Shinji Kagawa zum BVB erst so richtig wachgeküsst wurde. Irgendwann sind aber alle dort gewesen, so dass es zu Schwankungen kommen kann und sich die Attraktivität des Marktes wieder ändert. Das hat man ja auch in Brasilien gesehen: Spätestens, als sich Russen und Araber direkt in Brasilien bedient haben, war der Markt für finanzschwache Bundesligisten tot.

SPOX: Mittlerweile wird sehr viel Wert auf die Anpassungsfähigkeit und Persönlichkeit eines Spielers gelegt, so dass nicht nur das bloße fußballerische Können entscheidet. Ab welchem Zeitpunkt des Scouting eines Spielers kann man sagen, ob er in das Gesamtgefüge der Mannschaft passen könnte?

Jakobs: Der Ablauf ist in der Regel folgender: Man schaut erst und spricht dann. Grundlage ist immer die Einschätzung der sportlichen Leistungsfähigkeit. Wenn man dann die Vertragssituation, die Transfererwartung des abgebenden Klubs oder die Gehaltsvorstellung des Spielers kennenlernt, kann dies eine mögliche Verpflichtung uninteressant machen. Sollten diese Dinge jedoch alle passen, kommt es zum persönlichen Gespräch - auch, um die gegenseitigen Erwartungshaltungen auszuloten.

SPOX: Es ist aber möglich, dass man eine fußballerische Granate beobachtet hat, sich im Gespräch aber Gräben auftun und man Abstand von einer Verpflichtung nimmt?

Jakobs: Absolut, das kommt vor. Wir hatten mal einen Spieler, der sich in Zukunft in der Champions League und der brasilianischen Nationalelf gesehen hat. Dessen bisherige Vita hat das aber kein Stück hergegeben. Das ist dann ein Hinweis auf eine interessante Eigenwahrnehmung. Oder: Die sportlich-finanzielle Seite passt, doch das Auftreten und die Mentalität des Spielers in bestimmten Situationen - beispielsweise rund um ein Spiel - geben uns Fragezeichen auf. Dann lässt man die Finger davon. Das hängt auch wieder mit der Unterschiedlichkeit der einzelnen Märkte zusammen: In Italien funktionieren vielleicht andere Spielertypen als in Deutschland und umgekehrt. Andererseits muss man mit seinen Einschätzungen nicht immer richtig liegen, man hat ja auch seine Vorlieben und Abneigungen (lacht).

SPOX: Man bekommt kaum tiefe Einblicke in die Scoutingarbeit eines Vereins, kaum ein Bereich wird im Profifußball so von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Wieso ist das so?

Jakobs: Man hat nichts davon, wenn ein Scout mit der Vereinsjacke im Stadion auftaucht. Wir setzen zum Beispiel auf junge, unverbrauchte Mitarbeiter, denen wir voll und ganz vertrauen und von denen wir eigenverantwortliches Arbeiten verlangen.

SPOX: Aber Sie werden doch mehr als nur eine grobe Ahnung davon haben, welche Herangehensweise die Scoutingabteilungen der anderen 17 Bundesligavereine haben?

Jakobs: Viele Mitarbeiter von Scoutingabteilungen sind so präsent, dass man das stellenweise automatisch mitkriegen kann. Das reicht dann schon für vernünftige Einschätzungen der Konkurrenz.

SPOX: Ärgert man sich, wenn der Konkurrenz ein Transfer geglückt ist?

Jakobs: Darum geht es nicht. Es gehört dazu, sich einen gelungenen Transfer der Konkurrenz anzuschauen und zu fragen, warum das funktioniert hat, wie sie auf den Spieler gekommen sind, wie unsere eigene Einschätzung dazu war.

SPOX: Der Einfluss von Datenerhebungen zu Spielern und Partien wird immer größer. Wie bewerten Sie das?

Jakobs: 2009 gab es mit der Tracking-Möglichkeit einen großen Hype innerhalb der Bundesliga. Da dachte jeder - ich auch -, dass das die Spielanalyse noch einmal einen Schritt weiterbringen wird. Ich bin mir aber nicht mehr so sicher, ob einen die Quantifizierung und Analyse der Daten wirklich weiterhelfen. Das Ganze hat sich in den letzten ein, zwei Jahren auch wieder sehr beruhigt. Es gibt eben keine einheitlichen Muster, weil es zu abhängig von Dingen wie der taktischen Ausrichtung oder dem jeweiligen Spielertypen ist. Was nutzt mir ein Innenverteidiger, der 80 Prozent seiner Zweikämpfe gewinnt, aber in den zwei entscheidenden Situationen zwei Mal pennt?

SPOX: Sie nutzen den Zugang zu Daten und Statistiken aber schon und lehnen ihn nicht komplett ab, oder?

Jakobs: Ansatzweise arbeiten wir damit, ansonsten sind wir da aber sehr zurückhaltend. Wir haben die Möglichkeit, Daten für uns anzuschauen und auszuwerten, aber das ist nicht die Basis unserer Einschätzungen. Ich glaube, dass Daten im Fußball noch nicht die Intuition und das Gefühl ersetzen wie in anderen Sportarten. Im Basketball oder Eishockey sagt man viel eher: Wir kennen den Spieler zwar nicht, aber die Zahlen stimmen. Vielleicht gibt es aber künftig andere Analyseverfahren in Richtung Mustererkennung mit irgendwelchen Algorithmen, wer weiß.

SPOX: Das "Sportslab" war beim FC jahrelang eine Institution. Nun hat der Verein beschlossen, sich in diesem Bereich neu aufzustellen, es wird jetzt eine Drei-Säulen-Strategie (Live-Scouting, Video-Scouting, Analyst für die Lizenz-Trainer) verfolgt. Wieso dieser Schritt?

Jakobs: Nach unseren Vorstellungen soll eine Scoutingabteilung wie gesagt möglichst geräuschlos arbeiten. Beim FC wurde zuvor ein anderer Weg gewählt. Nachdem das Sportslab 2008 gegründet wurde, ist man damit auch immer ganz offensiv als Vision und Innovationstempel nach außen gegangen. Das ist aus meiner Sicht unlogisch.

SPOX: Warum?

Jakobs: Die Absicht eines Fußballklubs besteht in erster Linie darin, sportlich erfolgreich zu sein. Habe ich eine gute Scoutingabteilung, hilft sie mir dabei. Beim Sportslab war der Ansatz quasi umgekehrt. Es wurde ein Konstrukt geschaffen, die Ergebnisse haben jedoch gefehlt. Die Idee des Sportslab kann man nachvollziehen. Den Impuls, das extrem nach außen zu tragen und es sogar als Dienstleistung am Markt zu etablieren, allerdings weniger. Deshalb haben wir uns gefragt, ob das der richtige Weg ist. Im Grunde genommen lebe ich doch von guten Transfers, für deren Zustandekommen ich keine Öffentlichkeit brauche. Bestes Beispiel ist Dortmund, dort werden viele sinnvolle Transfers getätigt. Den Namen des BVB-Chefscouts kennt man aber nicht in der Öffentlichkeit. Aber: Das Gesamtkonstrukt funktioniert hervorragend.

SPOX: Können Sie zum Schluss ein paar ungewöhnliche Episoden aus dem Erfahrungsschatz eines Scouts mit uns teilen?

Jakobs: Der Super-GAU ist, wenn man einen Spieler beobachten möchte, der dann kurzfristig einen Schnupfen bekommen hat und ausfällt - vor allem dann, wenn man für ihn um die halbe Erdkugel geflogen ist. Es kann auch vorkommen, dass man im falschen Stadion sitzt, weil man an irgendeiner Stelle in der Vorbereitung nicht genau genug recherchiert hat. Natürlich hört es sich auch spektakulär an, wenn ein Scout am Dienstag erfährt, dass er Mittwoch nach Australien fliegen soll, weil dort am Freitag ein Spiel ist. Wenn man aber eine gewisse Erfahrung hat, empfindet man dies genauso als normal, wie wenn man sich mit dem Zug durch die Slowakei schlagen und drei Mal umsteigen muss (lacht).

Seite 1: Jakobs über seine neue Rolle, das Verhltnis zu Schmadtke und die Fähigkeiten von Scouts

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