Wenn Thomas Tuchel über personelle wie taktische Entscheidungen spricht, benutzt der Trainer von Borussia Dortmund fast ohne Ausnahme die Wir-Form. Damit meint Tuchel vor allem sein BVB-Trainerteam um Co-Trainer Arno Michels, Videoanalyst Benjamin Weber und Athletikcoach Rainer Schrey. SPOX stellt das Trio vor.
Arno Michels (48), Co-Trainer, seit August 2009 an Tuchels Seite
Vorherige Stationen:
- Co-Trainer SV Eintracht Trier 05 (Juli 2000-Oktober 2005)
- Co-Trainer LR Ahlen (Dezember 2005-Juni 2006)
- Cheftrainer SV Morbach (Februar 2007-Juni 2009)
- Co-Trainer 1. FSV Mainz 05 (August 2009-Juni 2014)
2006 war das entscheidende Jahr in der Karriere des Arno Michels. Nach zwei Co-Trainer-Tätigkeiten in der 2. Liga entschloss er sich, den Fußballlehrer-Lehrgang zu besuchen. Dort traf er auf einen Mann, der wie er eine Unbekannte zwischen all den im Kurs anwesenden Ex-Profis war: Thomas Tuchel.
Als Tuchel im August 2009 in einer Hauruck-Aktion zum Cheftrainer beim 1. FSV Mainz 05 befördert wurde, schaute er sich zügig nach einem Co-Trainer um. Tuchel hatte einige Kandidaten im Kopf und informierte sich ausgiebig, wer zu ihm passen könnte.
Arno Michels im SPOX-Interview, März 2015
Letztlich griff er zum Hörer und rief den ehemaligen "Mitschüler" Michels an, der sich wenige Wochen zuvor eigentlich einem neuen Job als Stützpunktkoordinator im Verband Rheinland verschrieben hatte. Michels benötigte jedoch nicht lange, um im Alter von 41 Jahren diesen Glücksfall zu erkennen und Tuchel sein Ja zu geben.
Michels, der aus einem kleinen Dorf nahe Trier stammt und als Spieler nicht über die Regionalliga hinaus kam, ist seitdem an Tuchels Seite. Es scheint, als ob sich daran auch so schnell nichts mehr ändern würde. "Arno ist ein Top-Mann, ich konnte mir keinen besseren Co-Trainer wünschen. Ohne ihn ist es nicht vorstellbar", schwärmte Tuchel schon vor Jahren.
Studium-Schwerpunkt: Fußball
Ein Mal sammelte Michels auch Erfahrung als Cheftrainer. Das war Anfang 2007, beim Verbandsligisten Morbach arbeitete er als Trainer und betreute dort nebenbei ein Projekt zur Nachwuchsförderung. Seine allerersten Schritte ging er als F- und E-Jugend-Trainer.
Zwischen 1989 und 1994 belegte er als junger Kerl einen Diplom-Studiengang mit Schwerpunkt Fußball in Köln. Die wissenschaftliche Herangehensweise an den Fußball, die zu jener Zeit im Gegensatz zu heute noch längst nicht gang und gäbe war, interessierte ihn bereits damals.
Um sein Verständnis für die Komplexität des Spiels auf höherem Niveau zu schärfen, half es Michels, die verschiedenen Posten in der Prä-Tuchel-Zeit eingenommen zu haben. Michels lernte mit Grundordnungen zu experimentieren und hatte kaum sportlichen Druck, im Negativfall vor die Tür gesetzt zu werden. Übung macht den Meister.
Michels gilt mittlerweile als fleischgewordene Spielerdatenbank, auch in den weniger bekannten Ligen Europas weiß er umfassend über Stärken und Schwächen der Akteure Bescheid. Das Zusammenspiel mit Tuchel harmoniert, Michels ist in alle Entscheidungen eingeweiht - ganz gleich, ob es um Nachbereitungen, Spielbeobachtungen, Trainingsinhalte, Belastungssteuerung oder Strategien geht.
"Ich könnte lockerer sein"
Tuchel ist am Ende allerdings der Entscheider und will mit schlagkräftigen Argumenten überzeugt werden, sodass es im Verbund mit Weber und Schrey durchaus zu hitzigen Debatten kommen kann. Selbst der Austausch verschiedener Auffassungen kann ertragreiche Ergebnisse zu Tage fördern.
"Er ist total offen, holt Meinungen ein", sagt Michels über Tuchel. "Wir sind beide vom Sternzeichen Jungfrau. Vielleicht klappt es deshalb so gut." In seiner Funktion als Co-Trainer ist Michels aber auch zwischenmenschlich gefragt. Er muss Vertrauen zu den Spielern schaffen, welches beidseitig jedoch nicht missbraucht werden darf.
Michels ist somit eine Art Mediator, der abwägen muss, welche ihm anvertrauten Inhalte unter vier Augen bleiben oder doch an Tuchel herangetragen werden sollten. Durch diese Rolle - in Mainz ließ er sich beispielsweise duzen - ist Michels in der Lage, die Spieler in gewissen Fällen auch einmal anders anzusprechen als der Cheftrainer.
"Ich war früher impulsiver", gesteht Michels. "Seit ich Vater von Zwillingen bin, wurde ich ruhiger. Ich könnte lockerer sein. Ich bin nicht euphorisch, freue mich aber innerlich."
Benjamin Weber (32), Videoanalyst, seit 2006 im Profibereich
Vorherige Stationen:
- Videoanalyst 1. FSV Mainz 05 (Juli 2006-Juni 2015)
- Chefscout 1. FSV Mainz 05 (Juli 2011-Juni 2015)
Als unten alle staunten, wie akribisch Thomas Tuchel den Platz im Sommertrainingslager in Bad Ragaz abschritt und aufbaute, hatte Benjamin Weber längst unbemerkt seinen Platz auf dem Dach des Sportheims Ri-Au eingenommen.
Ausgestattet mit Stativ und einer handelsüblich anmutenden Kamera verfolgte Weber jede Einheit aus dieser Perspektive und hielt ohne Pausen fest, was das schwarzgelbe Ensemble auf dem Rasen einübte.
Das Filmen ist gewissermaßen die Basis von Webers Job, den er mittlerweile seit über zehn Jahren ausübt. Dabei war der Plan lange Zeit zunächst ein anderer: Weber brachte in jungen Jahren alles mit, um eine Karriere als Tennisprofi einzuschlagen.
Bis zum Alter von 18 Jahren reiste er mit eigenem Team um die Welt, spielte bei großen Jugendturnieren und schaffte es in der Weltrangliste bis auf Position 35 seines Jahrgangs. Eine chronische Entzündung der Bizepssehne machte ihm letztlich einen Strich durch die Rechnung.
Der Weg war damit frei für ein Studium der Sportwissenschaften in Mainz, die Diplomarbeit verfasste Weber zu "Spielbeobachtung im Tennis". Um finanziell über die Runde zu kommen, verdingte er sich in den Wintermonaten als Skilehrer, im Sommer gab er den Tenniscoach.
Kramny und Runjaic lernen Weber ein
Daraufhin begann Weber, als freiberuflicher Video-Journalist für "Kemweb" zu arbeiten. Diese Medienproduktionsfirma zeichnete die Partien des 1. FSV Mainz 05 auf, Weber stieß 2006 dazu. Im ersten Schritt arbeitete er Jürgen Klopps langjährigem Co-Trainer Peter Krawietz zu, der das aufgezeichnete Material zusammenschnitt.
Aus Webers zunächst technischer Rolle wurde jedoch schnell auch eine inhaltlich-analytische. Er wurde in die Scoutingabteilung versetzt und erfüllte nach dem Ende der Ära Klopp unter Nachfolger Jörn Andersen die Rolle von Krawietz.
Andersens Co-Trainer Jürgen Kramny, heutiger Chefcoach des VfB Stuttgart, half Weber dabei, die inhaltlichen Dimensionen seines neuen Aufgabenfelds besser zu verstehen. Weber arbeitete daraufhin enger mit Ex-Kaiserslautern-Trainer Kosta Runjaic zusammen, beide beobachteten und analysierten die Partien der Mainzer Gegner.
Als Tuchel letztlich 2009 das Ruder übernahm, rutschte Weber, der nebenher gerade seine Examensprüfung in Psychologie ablegte, ins Trainerteam. Ab 2011 war er fester Bestandteil. Seine Aufgaben sind damals wie heute identisch: er fängt mit den an unterschiedlichen Standorten positionierten Kameras das Geschehen auf dem Platz ein, schneidet die drei auffälligsten Erkenntnisse der ersten Halbzeit zusammen und führt das Ergebnis der Mannschaft in der Pause vor.
Ruht der Ball wieder, kommen Nach- und Vorbereitungen hinzu. "Am Tag nach dem Spiel will ich immer schon was zum nächsten Gegner haben, damit ich dem Trainer sagen kann, welches Thema dann besonders wichtig wird und er sich am freien Tag Gedanken machen kann, welche Elemente er ins Training aufnimmt", erklärt Weber.
Tuchel "ein echter Fußballlehrer"
Im Laufe der Trainingswoche vertieft Weber seinen Ansatz und seziert die Gegner nach wiederkehrenden Spielmustern, Positionen von Ballgewinnen und -verlusten, wie sich Torgelegenheiten ergaben oder wo wie oft gesprintet wurde. "Von Donnerstag an bin ich schon beim übernächsten Gegner. Da ich sonntags ja auch noch das eigene Spiel vom Samstag schneiden muss, bin ich innerhalb einer Woche immer mit drei Mannschaften beschäftigt", sagt Weber.
Nach Tuchels Abgang aus Mainz veränderte sich seine Rolle unter Kasper Hjulmand noch einmal bedeutend. Ein Sabbatical kam für Weber nicht in die Tüte, "das hätte ich mir schon gar nicht leisten können", wie er schmunzelnd erklärt. Hjulmand, der spielphilosophisch eine gänzlich andere Herangehensweise als Tuchel verfolgte, brachte Weber großes Vertrauen entgegen. "Plötzlich war ich der Einzige in unserem Trainerstab mit Bundesligaerfahrung. Hjulmand hat mich beispielsweise gefragt, welchen Spieler ich für den Kader nominieren würde und welchen nicht."
Das Experiment Hjulmand scheiterte, Martin Schmidt übernahm, Weber blieb und dann klingelte das Telefon. Tuchel war am anderen Ende und fragte Weber, ob er nicht mit nach Dortmund kommen wolle.
"Mir war sofort klar, dass ich das Angebot, als Videoanalyst in den Trainerstab der Borussia zu wechseln, annehme. Eine solche Chance gibt es kein zweites Mal. Und ich muss sagen, es ist schon eine Ehre, dass der aktuell vielleicht beste deutsche Trainer mit mir zusammenarbeiten will. Er fordert und motiviert nicht nur die Spieler, sondern auch das Team um das Team. Man kann sehr viel von ihm lernen, auch fürs Leben. Er ist der beste Chef, den man sich vorstellen kann. Er ist sehr loyal, sehr fleißig und sehr ehrgeizig. Ein echter Fußballlehrer", sagt Weber.
Doch Weber muss sich nicht großartig unter den Scheffel stellen, auch seine Entwicklung ist beeindruckend. Im Mai feiert er seinen 33. Geburtstag. "Es ist gar nicht so lange her, da musste ich noch als Double für unseren damaligen Schlussmann Dimo Wache auf dem Mannschaftsbild einspringen", blickt Weber auf seine Anfänge zurück.
Rainer Schrey (56), Athletiktrainer, seit 2006 im Profibereich
Vorherige Stationen:
- Athletiktrainer TSG 1899 Hoffenheim (Juli 2006-Juni 2010)
- Athletiktrainer 1. FSV Mainz 05 (Juli 2011-Juni 2014)
"Wer flotte Sprüche hören will, muss nach München gehen. Wer flotten Fußball sehen will, der ist hier richtig." Diesen flotten Spruch äußerte Ralf Rangnick im Dezember 2008.
Rangnick war Trainer in Hoffenheim und führte den Bundesliga-Aufsteiger sensationell zur Herbstmeisterschaft. Seine Mannschaft, die jüngste der Liga, war mit vertikalem Hochgeschwindigkeitsfußball und laufintensivem Pressing tief in der gegnerischen Hälfte enorm erfolgreich und erstaunte die Branche.
Rainer Schrey war derjenige, der die Kraichgauer Kicker dazu brachte, dieses gewaltige Pensum Partie für Partie abspulen zu können. Schrey kam 2006 auf Geheiß des neuen Trainers Rangnick zur TSG, damals kickte der Klub noch in der Regionalliga.
Der Athletiktrainer ist nicht nur erfahrener Kenner seines Fachs, sondern auch ein wahrer Allrounder. Das geht allein aus Schreys Vita hervor. Er studierte an der Sporthochschule Köln und war anschließend vier Jahre lang an den Instituten für Trainingswissenschaften, Sportmedizin, Biomechanik und Physiologie als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt.
Zu dieser Zeit betrat er erstmals das Gebiet des Fußballs. Zwei Jahre lang betreute Schrey die damaligen Zweitligakicker von Fortuna Köln, dieselbe Dauer hatte sein späteres Engagement bei den Kölner Haien im Eishockey.
Ab 1989 war Schrey fast 18 Jahre am Olympiastützpunkt Rhein/Main in Frankfurt tätig. Dort arbeitete er mit Leichtathleten, Volleyballern, Ringern und den Hockey-Nationalteams zusammen. Diese Stationen ermöglichten es Schrey, seine sportartenübergreifenden Erfahrungen und Inhalte mit in den Fußball zu bringen, in dem er mittlerweile seit zehn Jahren arbeitet.
Schreys Aufgabe: Periodisierung
In Hoffenheim war Schrey, der fließend niederländisch und auch etwas isländisch spricht, besonders in den Gebieten Leistungsdiagnostik und Biomechanik unterwegs. Mit den Jahren wurde besonders unter Tuchel sein Einfluss immer größer, die Aufgaben immer facettenreicher.
"Fußball ist äußerst komplex und setzt sich aus vielen komplett unterschiedlichen Bausteinen zusammen", sagt Schrey. "Der Trick ist, wie bei einem Auto an verschiedenen Stellschrauben zu drehen, um die Gesamtleistung bei der Fahrt unter teilweise extremen Bedingungen zu erhöhen. Für den Sportler bedeutet das: Training außerhalb der Komfortzone."
Unter dem Begriff "komplexe athletische Dynamik" fasst Schrey den Schwerpunkt seiner Trainingslehre zusammen. Im Gegensatz zu früheren Epochen, wo monoton Kondition gebolzt wurde, hat das Athletiktraining längst Einzug in so gut wie jede Trainingseinheit gefunden.
Da die fußballspezifische Belastung permanent azyklisch ist (traben, sprinten, abstoppen, aufstehen etc.), fällt Schrey die Aufgabe der Periodisierung zu. Er unterscheidet in Vorbereitungs- und Wettkampfphasen. Mittels GPS-Daten kann er die athletische Leistungsfähigkeit des Einzelnen ermitteln und beurteilen. Schrey muss die Belastungen planen, steuern, überwachen, auswerten und steht dazu nicht nur im Austausch mit Tuchel, sondern auch den Teamärzten und Therapeuten.
Powerfußball braucht Powerernährung
So werden die Spieler systematisch und kontinuierlich über das gesamte Jahr athletisch betreut. Das Training wird ständig individuell angepasst, um langfristig ein höheres Leistungsniveau zu erreichen. Essentiell ist dabei die enge Abstimmung mit den fußballerischen Trainingsinhalten des Chefcoachs - sowohl individuell betrachtet, als auch was die Steuerung des gesamten Teams angeht.
Heutzutage würde bloße Ausdauer, also viel laufen zu können, auch nicht mehr ausreichen, um das oberste Level zu erreichen. In den letzten 30 Jahren hat sich die Gesamtlaufleistung im Fußball nämlich nur unwesentlich erhöht, die explosiven, dynamischen Läufe in Hochgeschwindigkeit dagegen verdoppelten sich nahezu.
Um diesen Ansprüchen zu genügen, muss auch außerhalb des Trainingszentrums professionell gearbeitet werden. Ohne sportlergerechte Ernährung und Regeneration würden alle Bemühungen nie fruchten.
"Powerfußball braucht Powerernährung", sagt Schrey. Ballaststoffreiche Vollkornprodukte, Hochleistungsgetreidesorten statt Weißbrot, Verzicht auf Industriezucker - für die Dortmunder Profis zu Saisonbeginn eine gehörige Veränderung. "Ich halte mich nun eben auch privat intensiv an die neuen Vorgaben. Das ist mitunter auch nicht immer einfach, gerade am Anfang", verriet Marcel Schmelzer im SPOX-Interview.
"Vielleicht kann man Erfolg nicht planen..."
Ziel ist es, durch einen sinnvollen Kalorienmix aus Kohlenhydraten, Eiweiß und Fetten wie beispielsweise langkettigen Omega-3-Fettsäuren die Bausteine Fitness, Regeneration und Verletzungsprophylaxe zu erhöhen.
Dabei ist Regeneration nicht gleichbedeutend mit ausruhen oder nichts tun, sondern geht aktiv vonstatten - wenn man das Thema Schlaf einmal ausklammert. Unmittelbar nach Spielschluss sieht man Schrey noch im Stadion das Auslaufen der Ersatz- und Einwechselspieler anleiten. Anschließend geht es in die Eistonne oder zur Massage. Während dieser wichtigen ersten Stunde nach der Belastung werden zudem noch bestimmte isotonische (Elektrolyt-)Getränke gereicht, damit sich die geleerten Speicher der Muskeln wieder auffüllen können.
Als Schrey 2010 in Hoffenheim aufhörte, legte er ein Jahr Pause ein, schrieb währenddessen das Buch "Die perfekte Fußballschule: Athletik & Ernährung" und hospitierte bei Vereinen in Deutschland, England oder Portugal.
Schrey, der auch Mitglied der "Expertenkommission Fitness" des DFB war und sich selbst als Quälgeist bezeichnet, hat einen Leitspruch. "Vielleicht kann man Erfolg nicht planen - Leistung aber ganz bestimmt!", lautet dieser. Blickt man auf die bislang so erfolgreiche Saison von Borussia Dortmund, ist beides eingetroffen.
Alles zum BVB