Das Jahr 2016 lief bislang ausgezeichnet für Christian Pulisic von Borussia Dortmund. Der erst 17-jährige US-Amerikaner debütierte in der Bundesliga unter Thomas Tuchel und in der A-Nationalmannschaft bei Jürgen Klinsmann. Im Interview spricht Pulisic über seine Kindheit in den USA, Bier und Schnitzel sowie den Hype um ihn.
Frage: Herr Pulisic, obwohl Sie mit 17 Jahren noch sehr jung sind, haben Sie in Ihrem Leben schon einige Umzüge erlebt. Können Sie die bitte einmal bis zum Gang nach Dortmund kurz skizzieren?
Christian Pulisic: Ich habe zunächst in Pennsylvania gelebt. Als wir aufgrund der Arbeit meiner Mutter für ein Jahr nach England zogen, kickte ich dort bei den Brackley Town Saints. Anschließend ging es für drei Jahre wieder zurück in die Staaten nach Michigan und von dort aus wieder nach Pennsylvania. Das war schon eine verrückte Zeit.
Frage: Ist im Mutterland England Ihre Liebe zum Fußball noch einmal gewachsen?
Pulisic: Ich liebte den Fußball schon zuvor, aber in England bemerkte ich erstmals, dass ich wohl nicht so schlecht bin und sich daraus etwas Konkretes für den Rest meines Lebens entwickeln könnte. In den USA habe ich dann unter einigen richtig tollen Trainern gespielt und dort noch richtig viel lernen können.
Frage: In den USA als kleiner Bursche Fußball zu spielen, ist weiterhin ungewöhnlich, auch wenn der Sport in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung erfahren hat.
Pulisic: Auf jeden Fall. Ich habe aber auch wie jedes andere Kind die anderen US-Sportarten wie beispielsweise Basketball betrieben. Meine Eltern haben früher jedoch beide selbst Fußball gespielt, so dass mir der Sport schon immer Spaß gemacht hat und ich das Spielen nie aufgegeben habe.
Frage: Die Gefahr, dass Sie zum American Football oder Baseball "abrutschen" bestand also nie?
Pulisic: Nein, das Hauptaugenmerk lag immer auf dem Fußball. Mit meinem Vater habe ich oft im Garten gekickt, ansonsten aber meist nur im Vereinstraining. Ich konnte mit meinen Kumpels nicht oft Fußball spielen, da die nicht so sehr darauf abgefahren sind. (lacht) Mit ihnen habe ich dann halt andere Dinge gemacht.
Frage: Merkt man es als US-Amerikaner deutlich, dass der Fußball an sich populärer geworden ist mit der Zeit?
Pulisic: Eindeutig, das hat sich enorm entwickelt und mittlerweile fast normalisiert. Die Leute sehen jetzt, welche Bedeutung der Sport auf der ganzen Welt hat. Auch die MLS ist immer größer und bekannter geworden. Als ich damit anfing, war die Wertschätzung noch deutlich geringer. Da wurde ich als kleiner Bub noch damit aufgezogen, auf Fußball zu stehen.
Frage: Hatten Sie damals in den USA ein Lieblingsteam?
Pulisic: Die erste Mannschaft, die ich genauer verfolgt habe, war Real Madrid. Das ist irgendwie komisch, denn mittlerweile stehe ich eigentlich nicht mehr auf sie und habe auch kein Lieblingsteam mehr. Als ich jung war, habe ich den deutschen Fußball nicht so sehr verfolgt, weil es auch schwer war, die Spiele überhaupt sehen zu können. Bei Champions-League-Partien war das anders, diese Übertragungen konnte man problemlos empfangen. Da bin ich auch das erste Mal auf den BVB gestoßen, der damals in diesem Wettbewerb ziemlich erfolgreich war. Mittlerweile hat sich aber auch das geändert, die Bundesliga zu verfolgen, ist längst kein Problem mehr.
Frage: Welcher Spieler war Ihr Vorbild?
Pulisic: Figo. Als er für Madrid spielte, war er eindeutig derjenige, der mir am meisten Spaß machte. Seitdem war mein Spitzname auch immer Figo. Mein Vater nennt mich immer noch so. (lacht)
Frage: Im Juli 2014 sind Sie gemeinsam mit Ihrem Vater nach Deutschland gekommen und zum BVB in die Jugendabteilung gewechselt. Wann gab es den ersten Kontakt zur Borussia?
Pulisic: Sie haben mich bei der amerikanischen U17 auf Turnieren in Florida und der Türkei gescoutet. Dort habe ich das erste Mal vom Interesse gehört, danach haben sie dann auch meinen Berater und meine Familie kontaktiert. Ich war natürlich hoch erfreut. Die Jugendakademie des BVB hat mich echt beeindruckt. Mir wurde schnell klar, dass dies eine tolle Gelegenheit ist. Ich habe das dann mit meinen Eltern besprochen.
Frage: War Ihnen bewusst, dass es wohl besser für Ihre Entwicklung wäre, zu einem Klub in Europa zu gehen?
Pulisic: Ja. Ich habe mich auch mit vielen Leuten wie beispielsweise Jermaine Jones oder Fabian Johnson darüber unterhalten und sie haben mir das alle nahe gelegt. Das war dann auch mein Traum. spox
Frage: Ihr Vater kam mit nach Dortmund, Ihre Mutter und Geschwister nicht.
Pulisic: Das war eine große Umstellung für meine Familie und auch nicht so einfach. Mein Vater wollte in der ersten Eingewöhnungsphase unbedingt dabei sein. Ich war ja auch noch sehr jung - und bin es immer noch. (lacht) Er hat mir von Anfang an viel geholfen und ist mit mir zu den verschiedenen Spielen oder Turnieren gereist. Gerade das erste Jahr in Dortmund war sehr schwierig, da ich noch überhaupt kein Deutsch konnte.
Frage: Wie hat sich Ihr Vater denn eingelebt und was macht der Rest zu Hause?
Pulisic: Mittlerweile arbeitet mein Vater innerhalb der Jugendabteilung beim BVB. Meine Mutter sowie mein Bruder und meine Schwester wohnen und arbeiten ganz normal in Amerika. Meine Mutter ist momentan aber in Dortmund für ein paar Wochen zu Besuch, ich sehe sie bald also mal wieder.
Frage: Wie groß hat sich dieser Schritt für Sie damals angefühlt?
Pulisic: Das war die härteste Sache, die ich in meinem bisherigen Leben getan habe. Es ist auch immer noch sehr schwierig für mich, ich vermisse meine Heimat jeden Tag. Das ist aber das Opfer, das ich bringen muss, denn es war mein Traum, in Europa zu spielen.
Frage: Haben Sie im Vorfeld viel über Deutschland oder Dortmund gewusst?
Pulisic: Nein, kein bisschen. Ich habe mich auch nicht intensiv damit auseinandergesetzt, da ich einfach unvoreingenommen in eine neue Kultur und eine neue Stadt eintauchen wollte. Die ersten Dinge, die ich dann mit Deutschland verband, waren Bier und Schnitzel. Es waren aber von Anfang an alle sehr nett zu mir und haben gerade in der Jugendabteilung versucht, auch Englisch mit mir zu sprechen.
Frage: Wie sah Ihr Alltag während dieser Anfangsphase aus?
Pulisic: Ich bin auf eine ganz normale deutsche Schule gegangen und habe natürlich keinen Menschen verstanden. In Amerika hatte ich mich in der Schule immer für die Spanischkurse angemeldet. Hätte ich da mal gewusst, dass ich eines Tages in Deutschland lande... (lacht) Ich hatte dann aber jeden Tag Deutschunterricht, was mich in dieser Hinsicht enorm nach vorne gebracht hat. So habe ich auch schnell deutsche Freunde gefunden. Das Training fand dann immer am Abend statt.
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Frage: Sie sind gut mit Felix Passlack, dessen Alter und Rolle bei den Profis ja ähnlich zu Ihrer ist, befreundet.
Pulisic: Das hat sich irgendwie von Anfang an so ergeben. (lacht) Es war wichtig, einen guten Freund wie ihn an meiner Seite zu haben und damit quasi nicht allein bei den Profis zu sein. Auch Nuri Sahin hat mir viele Ratschläge gegeben, wie man sich als Profi in jungem Alter verhält und welche einzelnen Schritte oder auch Fehler auf ihn damals zugekommen sind.
Frage: Ihr Cousin Will ist Torhüter und spielt mittlerweile auch in Dortmund. Haben Sie die Verantwortlichen überredet, ihn zu verpflichten?
Pulisic: Nein, nein. Er kam zunächst nur für einen Monat, um mit der U19 zu trainieren. Das hat den Verantwortlichen dann gefallen, so dass sie entschieden, ihn ein gesamtes Jahr lang zu behalten und zu schauen, wie er hier zurechtkommt. Eines Tages kam er nach Hause und hat das erzählt. Ich konnte das erst gar nicht glauben, wir haben das auch nicht den Verantwortlichen nahegelegt. Mittlerweile wohnen wir aber zusammen.
Frage: Sie haben am 30. Januar 2016 in der Bundesliga für die Borussia debütiert und haben nun neun Spiele und zwei Tore auf dem Konto. Können Sie noch problemlos durch die Stadt laufen oder hat sich das bereits verändert?
Pulisic: Es ist mehr geworden und wird jetzt wohl auch nicht mehr abnehmen. Die Leute sprechen mich an oder erkennen mich einfach. Ich hatte das aber auch nicht anders erwartet. Das ist eben eine Begleiterscheinung und macht auch Spaß. Aus Amerika kamen dann auch viele Medienanfragen, die Menschen habe mich nun mehr auf dem Schirm als zuvor.
Frage: Sie machen trotz Ihres jungen Alters einen sehr reifen und geerdeten Eindruck.
Pulisic: Das ist nicht immer einfach. Manchmal frage ich mich schon, wie es denn wäre, würde ich kein Fußballer sein und ein in Anführungszeichen normales Leben führen. Andererseits ist ja das, was ich derzeit erlebe, auch mein Wunsch gewesen. Ich bin darüber also nicht enttäuscht oder sage, ich habe meine Zeit als Jugendlicher verschwendet.
Frage: Fällt es Ihnen leicht, diszipliniert zu sein?
Pulisic: Wenn ich Videos oder Bilder meiner Kumpels sehe und wie sie zusammen Spaß haben, würde ich auch gerne Teil davon sein. Manchmal wollen sie auf der anderen Seite aber auch gerne in meiner Haut stecken. Auch wenn es nur ein paar Wochen waren, konnte ich sie jetzt im Heimaturlaub besuchen und das war auch mal wieder richtig toll.
Frage: Ende März hat Sie dann auch US-Nationalcoach Jürgen Klinsmann erstmals in der A-Elf spielen lassen, nach der Saison waren Sie mit dem Team bei der Copa America unterwegs. Welche Beziehung haben Sie zu Klinsmann?
Pulisic: Vor einem halben Jahr war es noch vollkommen unvorstellbar für mich, in Dortmund bei den Profis geschweige denn im US-Nationalteam zu spielen. Das ging alles unglaublich schnell. Jürgen Klinsmann hat immer versucht, mich zu erden und mir ganz nüchtern aufzuzeigen, weshalb etwas gut für meine Entwicklung ist. Er war der Meinung, dass ich für die Copa America bereit sei. Er spricht mit mir häufig und ist ein sehr netter Mensch.
Frage: Beim BVB kamen nun einige neue Spieler, ein paar davon sind kaum älter als Sie. Der Konkurrenzkampf hat dadurch angezogen. Spüren Sie das bereits?
Pulisic: Man sollte im Fußball nicht davon überrascht sein, dass innerhalb einer Mannschaft Konkurrenzkampf herrscht. Wir verstehen uns alle sehr gut und sind Kumpels, so dass es für uns einfach nur cool ist, zusammen in einem Team zu spielen. Natürlich wird es für mich dadurch nicht einfacher, in die Mannschaft zu kommen, aber so läuft es nun einmal im Fußball und bei praktisch jedem anderen Sport auch. Man muss sich jeden Tag im Training seine Position aufs Neue erkämpfen.
Frage: Mit welchen Erwartungen gehen Sie also in Ihre zweite Saison?
Pulisic: Ich bin einfach darauf gespannt, wie Trainer und Klub mit mir planen und mich einsetzen. Ich werde immer 100 Prozent geben. Wohin mich das dann führen wird, ob zu regelmäßiger Einsatzzeit oder als tatkräftige Unterstützung der Mannschaft, wird man dann sehen. Ich freue mich sehr auf die neue Saison und vor allem die Champions League, die ich als Kind ja so häufig im Fernsehen gesehen habe.