Jochen Saier ist mit 38 Jahren einer der jüngsten und unbekanntesten Manager der Liga. Einen Wikipedia-Eintrag hat der gebürtige Badener als einziger seiner Zunft beispielsweise gar nicht. Doch das steht sinnbildlich für seine Arbeit. SPOX traf den Sportvorstand in Freiburg und sprach mit ihm über seinen etwas kuriosen Werdegang, sein Fußball-Stipendium in Amerika und natürlich auch über seinen fehlenden Wikipedia-Eintrag.
SPOX: Herr Saier, ist Ihnen bewusst, dass Sie der einzige Bundesliga-Manager ohne Wikipedia-Eintrag sind?
Jochen Saier: (lacht) Nein, ich google meinen Namen und den meiner Kollegen nicht so oft. Ist das tatsächlich so?
SPOX: Bislang zumindest schon. Finden Sie das schlimm?
Saier: Überhaupt nicht. Eigentlich sollte ich darauf ja fast stolz sein. Es ist schließlich ein Zeichen dafür, dass hintergründiges und seriöses Arbeiten auch im lauten Bundesligageschäft möglich ist. Man könnte sogar sagen, dass das meine Arbeitsweise beim SC recht gut widerspiegelt.
SPOX: Wie meinen Sie das?
Saier: Es geht nicht darum, sich in den Vordergrund zu drängen und seine mediale Präsenz mit zugespitzten Aussagen zu erhöhen - es geht vielmehr um das Wirken nach innen. Die entscheidende Fragestellung ist: Wie und an welcher Stelle kann jeder Einzelne den größtmöglichen Mehrwert für den Verein und den sportlichen Erfolg beisteuern? Diese gilt natürlich auch für mich. Die inhaltliche Arbeit und die fachliche Kompetenz sollten stets im Mittelpunkt stehen. Dieses Gefühl habe ich beim SC. Bei uns geht es um den Fußball, weniger um Personenkult. Das ist im medialen Haifischbecken Bundesliga nicht ganz gewöhnlich. Ich beziehungsweise wir haben doch letztlich die Aufgabe, Dinge möglichst gut vorzubereiten und eine Grundlage für den Erfolg zu schaffen. Eine gewisse Zurückhaltung ist da unumgänglich.
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SPOX: In der Öffentlichkeit halten Sie sich meist zurück. Obwohl Sie Manager sind, ist wenig über Sie bekannt. Das würden wir gerne ändern und ganz vorne anfangen. Wie sind Sie überhaupt zum Fußball gekommen?
Saier: Als aktiver Kicker habe ich eigentlich den klassischen Weg hinter mir. Wie viele Jugendliche habe ich als kleiner Bub bei mir im Dorf angefangen, Fußball zu spielen. In der Offenburger Region hatte ich dann verschiedene Stationen, noch zu Beginn des Studiums bin ich am Wochenende Richtung Heimat gependelt, um in der Verbandsliga zu spielen. Nach einem Jahr im Ausland habe ich dann mit 23 Jahren allerdings recht früh die Schuhe an den Nagel gehängt, da ich einen anderen Weg eingeschlagen habe.
SPOX: Den des Managers?
Saier: Genau. Ich habe nach dem Abitur Sportökonomie in Bayreuth studiert. Es war eine tolle Zeit. Mir war aber klar, dass ich nach dem Vordiplom noch einmal etwas anderes sehen wollte. Daher bin 2001 für ein Jahr an die Northeastern University in Boston, habe dort BWL studiert und bekam ein Fußballstipendium. Eine sehr tolle und auch prägende Zeit. spox
SPOX: Ein Fußballstipendium in den USA? Das hört sich kurios an.
Saier: Ich wollte die Auslandserfahrung mit dem verbinden, was ich liebe: dem Fußball. Deshalb habe ich neben dem Studium zwei Spielzeiten für die "Huskies" gespielt. Das konnte ich aber nur über ein Stipendium finanzieren. Denn schon damals lagen die Studiengebühren bei rund 35.000 Dollar pro Jahr.
SPOX: Was haben Sie aus dem Auslandssemester mitgenommen?
Saier: In erster Linie war es eine überragende und intensive Zeit. Ich kannte in den USA logischerweise niemand, habe dort aber trotzdem meine Zelte aufgeschlagen und musste mich zurechtfinden. Das hat mich schon geprägt. Natürlich habe ich den Aufenthalt auch genutzt, um sprachlich voranzukommen und das Land zu bereisen. Am Tag vor dem 11. September waren wir beispielsweise in Manhattan. Auch deshalb vergisst du die Phase während des Anschlags nicht so schnell. Die Uni wurde evakuiert und öffentliche Gebäude geschlossen, da noch weitere entführte Flugzeuge in der Luft waren. Wir saßen in unserer WG zusammen und haben CNN geschaut.
SPOX: Was haben Sie aus sportlicher Sicht gelernt?
Saier: Die Amis waren uns in Dingen wie Infrastruktur und Manpower in der professionellen Begleitung des Sports weit voraus. In den USA gibt es grundsätzlich ein anderes Fördersystem, da der Leistungssport über die Colleges und die Unis gesteuert wird. Der Grad der Professionalität war und ist beeindruckend.
SPOX: Als Sie im Januar 2003 im Anschluss an Ihren USA-Aufenthalt wieder nach Deutschland kamen, hospitierten Sie in der neu gegründeten Fußballschule des SC. Wie kam es dazu?
Saier: Ich kannte den damaligen Leiter der Fußballschule und heutigen Manager des 1. FC Nürnberg Andreas Bornemann ein wenig. Das war kein Nachteil. Ich war gerade einige Wochen da, dann gab es im Verein einige Veränderungen: Sportdirektor Andreas Rettig wechselte zum 1. FC Köln und Andreas Bornemann übernahm seinen Posten. Obwohl ich erst kurz da war, habe ich dann kommissarisch im Leitungsteam der Fußballschule mitgearbeitet. Und weil es gut funktioniert hat, bin ich geblieben und habe den Weg beim SC eingeschlagen.
SPOX: Sie waren zu dieser Zeit gerade Mitte 20. Ist das in diesem Alter nicht etwas viel Verantwortung?
Saier: Es war intensiv, aber ich fühlte mich am richtigen Ort. Interessant war schon recht früh, viel Personalverantwortung zu haben. Die Fußballschule war damals mit hauptamtlichen Trainern, Pädagogen und Physios personell bereits gut aufgestellt. Insgesamt arbeiteten rund 40 Leute dort, davon rund 15 hauptamtlich. Mit dem damaligen A-Jugendtrainer Christian Streich und seinem Co-Trainer Klemens Hartenbach (heute SC-Sportdirektor, Anm. der Red.) hatte ich erfahrene Leute um mich. Zudem waren es recht flache Hierarchien. Es geht um inhaltliche Arbeit, die gegenseitige Wertschätzung und weniger um das Alter.
SPOX: Dennoch hatten Sie zu dieser Zeit Ihr Studium noch nicht fertig.
Saier: Ich habe mich voll auf die neue Aufgabe konzentriert und deshalb kaum Zeit für andere Dinge. Das Studium hatte ich zunächst knapp zwei Jahre auf Eis gelegt. Aber ich hatte in Bayreuth eine tolle WG. Die Jungs haben mich dann mit dem Lernstoff versorgt und mir gesagt, wann ich wo sein muss, um die nächste Prüfung zu bestehen. Auch meine Diplomarbeit über "Psychosoziale Ressourcen im Jugendfußball" habe ich noch ins Ziel gebracht. Es war demnach kein gerader Weg, aber am Ende habe ich das Studium ganz vernünftig absolviert.
SPOX: Wie sahen Ihre Aufgaben in der Fußballschule aus?
Saier: Wir haben uns grundsätzliche Gedanken über die Ausrichtung des Vereins gemacht. Wollen wir ein starres System? Wie bringen wir Spieler nach oben? Müssen wir Spieler nicht auf mehreren Positionen ausbilden? Da haben wir uns mit Christian Streich, Klemens Hartenbach und dem gesamten Trainerstab die Köpfe heiß diskutiert. Wir waren uns einig, dass wir vom Konzept her nicht Barcelona sein wollten und 95 Prozent der Trainingswoche vorgeben. Vielmehr haben wir Basisübungen für die einzelnen Mannschaftsteile entwickelt. Das passt zur grundsätzlichen Idee des SC: Wir haben breite Leitplanken, um sicherzugehen, dass die Richtung stimmt. Aber innerhalb dieser kann sich jeder mit großer Freiheit aber auch großer Verantwortung einbringen.
SPOX: Im April 2013 verließ der damalige SC-Manager Dirk Dufner den Verein in Richtung Hannover. Gemeinsam mit Klemens Hartenbach schlüpften Sie übergangsweise in die Position des Sportdirektors. Wie lief das ab?
Saier: Die Geschichte wiederholte sich. Nach Dirks Abgang haben die Verantwortlichen externe und interne Lösungen überprüft und wir haben die sportliche Leitung bis zur Entscheidung kommissarisch übernommen. Es war April und für die neue Saison mussten Entscheidungen getroffen und Transfers umgesetzt werden. Offenbar war man mit der Steuerung dieser Phase zufrieden und der Verein hat sich entschieden, den Weg mit uns weiterzugehen.
SPOX: Der Klub strich den Zusatz "Interim" und plötzlich waren Sie mit 35 Jahren Bundesliga-Manager.
Saier: Klar, diese Entwicklung vom Hospitanten zum Manager und später zum Vorstand Sport gibt es sicherlich nicht allzu oft. Das ist mir durchaus bewusst. Aber ich bin mit dem Verein gewachsen. Ein derartiger Weg ist generell nicht planbar. Wenn du aber nicht 150 Bundesliga-Spiele und noch zehn Länderspiele auf dem Buckel hast, wird dir nichts geschenkt und man sollte inhaltlich zumindest nicht schlechter sein, als Kollegen mit einer derartigen Vita. Ausbildungsverein bedeutet beim SC Freiburg auch, dass Mitarbeiter reifen können. Wir haben mit der Zusammensetzung des Trainerstabs um Christian Streich, Klemens Hartenbach und mir Beispiele dafür.
SPOX: Ist es für Ihr Umfeld schon normal, dass Sie jetzt den Verein leiten?
Saier: Ich bin in meiner 14. Saison beim SC und in meiner vierten in der Verantwortung für den Lizenzbereich. Mit Europa League, Klassenerhalt, Abstieg und dem sofortigen Wiederaufstieg habe ich schon ein bisschen was erlebt. Aber ich bin niemand, der sich über die Funktion definiert. Die Verantwortung hat sich natürlich stark verändert, der interne Umgang idealerweise nicht.
SPOX: Freiburg wird stets als "Wellnessoase" tituliert, da sich der mediale Irrsinn in Grenzen hält. Hat das Ihrer Entwicklung geholfen?
Saier: Diese Ruhe ist vor allem in kritischen Phasen ein absoluter Vorteil. Wir haben nicht den medialen Hype anderer großer Standorte mit reißerischen Überschriften und großen Nebenkriegsschauplätzen. Letztlich ist die Rechnung ganz einfach: Wenn du 50 Prozent deiner Arbeit aufbringen musst, um Dinge in der Öffentlichkeit wieder glattzuziehen, fehlt dir diese Energie an anderen Stellen. Dennoch muss ich sagen, dass der SC alles andere ist als eine Wellnessoase. Alle Leute im Verein haben über Jahrzehnte hart für eben diesen Ruf und die Vereinskultur gearbeitet. Nichts fällt einfach so vom Himmel.
SPOX: Können Sie sich auch vorstellen, in einem hektischeren Umfeld zu arbeiten?
Saier: (lacht) Ich hatte auch ohne Wikipedia-Eintrag schon die ein oder andere Möglichkeit. Aktuell ist das allerdings komplett uninteressant, da ich mich extrem wohl fühle und wir hier noch gemeinsam einiges reißen wollen.
SPOX: Ich glaube, dass wir jetzt genug Informationen für einen Wiki-Eintrag zusammengetragen haben. Könnten Sie Klemens Hartenbach denn jetzt nicht mal fragen, ob er Ihren Beitrag schreibt?
Saier: Hat er denn überhaupt einen?
SPOX: Ja, keinen langen, aber immerhin.
Saier: Mannomann. Na gut, dann klopfe ich demnächst mal bei ihm an.
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