Plötzlich alt, plötzlich wichtig

Nino Duit
28. August 201709:56
Holger Badstuber erzielte gegen den FSV Mainz 05 sein zweites Bundesligatorgetty
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Bei seinem ersten Startelfeinsatz in der Bundesliga seit seinem Wechsel zum VfB Stuttgart begeisterte Holger Badstuber: Er verlor keinen einzigen Zweikampf und köpfelte darüber hinaus das Siegtor. Das ewige Talent Badstuber wird wieder gebraucht - als Führungsspieler.

"Wir haben die Verantwortung, die Jungen zu führen und zu entlasten, Dennis Aogo, Christian Gentner und ich", sagte Holger Badstuber nach seinem ersten Startelfeinsatz für den VfB Stuttgart und erklärte auch gleich, warum: "Wir haben viele junge Spieler, die sind noch ein bisschen naiv." Hörte man Badstuber da so reden, dann war man durchaus geneigt, ein wenig zu schmunzeln. Muss doch ein Scherz sein, oder? Er ist doch selbst noch ein Junger, der Holger. Ein aufstrebendes Talent, vielleicht etwas naiv.

Falsch, ist er nicht. Das weiß man, wenn man auf sein Geburtsjahr schaut und zur Sicherheit gleich nochmal nachprüft. Tatsächlich: 1989. Irgendwann hat die Zeit Badstuber überholt. Im Sommer 2009 hatte er in der Bundesliga für den FC Bayern debütiert, 20 war er da. Badstuber war ein Talent und als solches drei Jahre lang Stammspieler in München, ehe er im Oktober 2012 stehen blieb, die Zeit aber wie gewohnt weiter lief.

In den nächsten fast fünf Jahren verletzte sich Badstuber wieder und wieder, machte gerade einmal 31 Bundesligaspiele. Währenddessen feierte er seinen 24. Geburtstag, seinen 25., 26., 27. und auch seinen 28. Geburtstag. Jetzt ist er auf einmal kein aufstrebendes Talent mehr, sondern ein gestandener Führungsspieler. Ja, für einen Bundesligaspieler ist Badstuber plötzlich fast alt.

Als gestandener Führungsspieler hat er nun jedenfalls genauso viele Bundesligatore erzielt wie als aufstrebendes Talent: eins. 2009 hatte er mal mit wilder Wuschel-Mähne einen Freistoß gegen Borussia Mönchengladbach ganz verspielt ins linke Kreuzeck gezwirbelt. 2822 Tage später hämmerte er den Ball mit seinem mittlerweile geschorenen Kurzhaar-Kopf ins Mainzer Netz. Dieser Treffer sei ihm aber eigentlich egal, sagte er: "Wichtig ist der Sieg, wichtig sind die drei Punkte."

Badstubers Rückkehr nach Stuttgart: Emotional gepackt - und gebraucht

Es war in dieser Bundesligasaison der erste Sieg, es waren die ersten drei Punkte für seinen neuen Verein, der auch sein alter ist. Von 2000 bis 2002 spielte Badstuber in der Stuttgarter Jugend, seine Rückkehr nun war durchaus emotional. "Niemand sollte seine Wurzeln vergessen und auch ich habe das nie getan. Der VfB war und ist etwas Besonderes für mich und hat mich emotional sofort wieder gepackt", erklärte Badstuber nachdem er einen stark leistungsbezogenen Einjahresvertrag unterschrieben hatte. "Nirgendwo hat es so geknistert wie beim VfB."

Wegweisend war diese Entscheidung, die er im Sommer zu treffen hatte. Beim FC Bayern wurde sein Vertrag nicht verlängert, bei der halbjährigen Leihe zum FC Schalke 04 überzeugte er nicht nachhaltig. Angebote aus dem Ausland hatte Badstuber nach eigener Auskunft trotzdem einige, sogar von Vereinen, die in der Champions League spielen.

Doch Badstuber zog es zurück nach Stuttgart. "Ich hatte das Gefühl, dass mich der ganze Verein wollte", sagte Badstuber. Dieses Gefühl, unbedingt gebraucht zu werden, kannte Badstuber kaum mehr. Nun ist er aber plötzlich wieder wichtig und das erfüllt ihn mit Glück und Stolz - und auch Fleiß.

Am ersten Spieltag, bei der Niederlage in Berlin gegen die Hertha, wurde er erst in der Schlussphase eingewechselt. Einen ähnlichen Plan hatte Trainer Hannes Wolf ursprünglich auch für die Partie gegen Mainz 05, doch da Badstuber im Training "individuell sehr gut gearbeitet" hätte, stand er doch in der Startelf. Im Herzen der Defensive, als zentraler Innenverteidiger in der neuen Dreierkette.

Badstuber gegen Mainz: Starke Zahlen, befreiender Jubel, toller Typ

"Ich gehe in jeden Zweikampf als wäre er mein letzter", hatte Badstuber bei seiner Vorstellung in Stuttgart angekündigt. Gegen Mainz hätte er mit jedem seiner Zweikämpfe als letztem zufrieden sein können. Fünf bestritt er, fünf gewann er. Dazu ein Kopfballduell, das er ebenfalls für sich entschied. Badstuber machte die meisten Tackles aller Stuttgarter und verzeichnete auch die meisten klärenden Aktionen. Fouls beging er kein einziges und seine Nebenmänner dirigierte er mit Handzeichen und Kommandos.

Und dann köpfelte Badstuber ja auch noch das entscheidende Tor zum 1:0. Wie er danach abdrehte und schreiend Richtung Fanblock lief, wie er dort breitbeinig in der Hocke beide Fäuste neben seinem Körper vor und zurück und wieder nach vorne schnellen ließ und dann die rechte wild emporreckte, ehe er unter all den gratulierenden Kollegen begraben wurde, glich einer Befreiung. Dem Beginn von etwas Neuem.

Nach seiner tadellosen Vorstellung sagte Badstuber, man sollte das alles "nicht an die große Glocke hängen". Zu oft dachte er schon, alles sei wieder gut, alles wie es früher mal war. Zu oft wurde er dann aber wieder zurückgeworfen. Aus nächster Nähe erlebte in München Kaderplaner Michael Reschke all diese Tragik mit, nun in Stuttgart auch die Befreiung. Genau wie Badstuber war Reschke im Sommer von Bayern nach Schwaben gezogen.

"Ich habe seinen Leidensweg ja in den letzten drei Jahren verfolgen müssen", sagte Reschke, und deshalb "freue ich mich wahnsinnig für ihn, diesen tollen Typen". Nach Stuttgart geholt hatte Badstuber noch Reschkes Vorgänger Jan Schindelmeiser. Zufrieden mit dem Transfer ist aber offensichtlich auch Reschke: "Ein fitter Holger Badstuber ist ein Bundesligaspitzenspieler." Und es scheint, als sei er das jetzt. "Schalke hat sein Knie gecheckt, wir haben sein Knie gecheckt", sagte Trainer Wolf: "Der ist gesund." Gesund und wichtig.