Es hatte alles schon richtig Eindruck gemacht vor etwas mehr als zwei Jahren. Der VfL Wolfsburg beendete die Saison 2014/2015 als Vizemeister und DFB-Pokalsieger und zusammen mit den Zuwendungen des Mutterkonzerns Volkswagen schien die sportliche Entwicklung der Wölfe nur schwer aufhaltbar.
"Wir würden gerne die Lücke, die zwischen Bayern München und dem Rest der Liga entstanden ist, schließen", sagte Manager Klaus Allofs damals. Der VfL als "Anführer der Verfolgergruppe", das hätte Allofs wunderbar gefunden.
Kevin de Bruyne, die Lebensversicherung des Teams, sprach gar von der Hoffnung, mit dem Gewinn der Meisterschaft noch einen draufsetzen zu können. Wenig später, im April 2016, gastierte schon Real Madrid im Viertelfinale der Champions League in der Volkswagenarena.
VW mit weniger Zuwendungen für Wolfsburg
Wolfsburg war damals in aller Munde und der einzige Klub, dem man zutraute, tatsächlich in die Phalanx aus FC Bayern und BVB einzudringen und ein unnachgiebiger Herausforderer zu werden. Nun jedoch, ein, zwei Jährchen später - im Fußball freilich eine Ewigkeit - ist der vermeintlich neue Riese wieder auf Normalgröße geschrumpft und spuckt nur noch leise Töne.
Ein Zusammenhang lässt sich nicht beweisen, doch parallel zum Abgas-Skandal bei VW stürzte der VfL in die sportliche Bedeutungslosigkeit ab. Mehr noch sogar, Wolfsburgs Mannschaft war trotz eines satten Budgets plötzlich ein echter Abstiegskandidat. "Gerade wo es VW schlecht geht, spielt auch noch der VfL scheiße", drang es aus der Konzern-Führungsetage nach außen.
Der gebeutelte VW-Konzern hatte mit der weltweiten Krise allerhand zu tun, letztlich hatte auch der Werksklub darunter zu leiden. Rund 20 Millionen Euro geringere Aufwendungen für den VfL waren das Resultat, wenngleich die neue Jahressumme von rund 60 bis 70 Millionen Euro ausreichen sollte, den Verein wieder in ruhigere Fahrwasser zu bekommen.
VfL Wolfsburg: Alte Zöpfe abgeschnitten
Demut und sportliche Stabilität sind nun die Schlagworte, die der neue Sportdirektor Olaf Rebbe, Nachfolger des für den Absturz verantwortlich gemachten Allofs, immer wieder bemüht. Es ist nichts anderes als ein astreiner Neustart, den man gerade in Wolfsburg versucht.
Dieser firmiert nun unter dem Slogan "Arbeit, Fußball, Leidenschaft", den man von einem Plakat der Anhänger abkupferte. Rebbe und Trainer Andries Jonker, der vom Feuerwehrmann zum Aufbauhelfer mutiert ist, haben viele alte Zöpfe abgeschnitten.
Langjährige Spieler wie Diego Benaglio (nach Monaco), Ricardo Rodriguez (zum AC Milan) oder Luiz Gustavo (Olympique Marseille), wichtige Bausteine der Erfolge von vor zwei Jahren, haben den Klub genauso verlassen wie Vereinsikone Marcel Schäfer und die Millionentransfers Max Kruse, Julian Draxler, Andre Schürrle und de Bruyne.
Rebbe und Jonker die starken Männer beim VfL
"Wir müssen unser Gerüst neu bauen", schlussfolgert Rebbe im Gespräch mit der AZ/WAZ. Der 39-Jährige, in der letzten Chaos-Spielzeit noch ins kalte Wasser geworfen, ist nun der starke Mann bei den Niedersachsen.
Zusammen mit Jonker ist er gefordert, Wolfsburg auf der Bundesliga-Landkarte neu zu positionieren. Zwar ist man immer noch in der Lage, für Neuzugänge wie John Anthony Brooks und Ignacio Camacho über 30 Millionen Euro auszugeben, die langfristige Strategie sieht jedoch einen klaren Paradigmenwechsel vor.
Künftig soll die VfL-Identität weniger stark mit Geldgeber VW verwoben sein. Eine leichte Emanzipation vom Autobauer dürfte dem Image des Klubs ohnehin nicht schaden.
Wolfsburg eine der großen Unbekannten
Auch beim Thema Nachwuchsförderung, die Wolfsburger U-Mannschaften spielen in ihren Ligen fast schon traditionell meist eine gute Rolle, ist man um einen anderen Anstrich bemüht. Wolfsburg soll für junge Spieler zu einem Standort werden, der deshalb attraktiv ist, weil er ausreichend Spielpraxis und somit Entwicklungspotential garantiert. So erhofft man sich, die zuletzt häufig brachliegende Identifikation mit Klub und Region zu stärken.
"Es ist ein schmaler Grat", ist sich Rebbe bei der AZ/WAZ der Schwierigkeit bewusst, dabei die richtige Mischung zu finden. "Wir versuchen das zu lösen, indem wir sagen: Wir wollen auf jeder Position einen gestandenen Spieler und einen jungen Herausforderer haben. Und auf den meisten Positionen ist uns das schon gelungen. Auch die Neuzugänge sind zum Teil sehr jung."
Der VfL geht somit in vielfacher Hinsicht runderneuert in die kommende Bundesliga-Saison und bleibt genau deshalb eine der großen Unbekannten. Das Selbstverständnis ist verglichen mit der Allofs-Zeit auf ein Minimum geschrumpft, die Erwartungshaltung folglich eine ganz andere. Sportliche Zielvorgaben sind aus Wolfsburg nicht zu vernehmen.
Neue Hierarchie muss sich bilden
Das ergibt Sinn, ein Neuanfang ist schließlich immer auch mit Wellenbewegungen in der Entwicklung verbunden. Die Herausforderungen: Eine neue Hierarchie muss sich bilden, um den Verlust der langjährigen Aushängeschilder auffangen zu können.
Da sind auch Neuzugänge wie die erwähnten Camacho und Brooks oder Paul Verhaegh gefragt, für zahlreiche Spieler besteht zudem nun die Möglichkeit, aus dem Schatten zu treten und Führungsansprüche zu untermauern. Im neuen Kapitän Mario Gomez nur einen Anführer aufs Feld zu schicken, wird nicht ausreichen.
Francisco Javier Garcia Sanz, VW-Vorstandsmitglied und Aufsichtsratschef der VfL Wolfsburg Fußball GmbH, schielt in Richtung einstelliger Tabellenplatz. VfL-Geschäftsführer Wolfgang Hotze wagt sich mehr aus der Deckung: "Ich möchte keine konkreten Ziele setzen. Aber eine Platzierung deutlich schlechter als Platz neun wäre schon eine Enttäuschung. Es verbietet sich allerdings, vom europäischen Geschäft zu sprechen."
Ein wenig Druck ist also schon auf dem Kessel, wenn auch die Fallhöhe nach der katastrophalen Vorsaison so gering ist wie seit Jahren nicht mehr. Allofs' Vision vom Anführer der Verfolger hat nun jedenfalls RB Leipzig inne. Vielleicht tut es der Neuausrichtung des VfL Wolfsburg ganz gut, wenn sich damit erst einmal andere beschäftigen und man mittlerweile "nur" eines von vielen spannenden Projekten ist.