Borussia Dortmund verlor am Dienstag mit 1:2 gegen die Tottenham Hotspur, am Samstag wartet das richtungsweisende Derby gegen den FC Schalke 04 (15.30 Uhr im LIVETICKER). Peter Bosz gab seinen Spielern den Donnerstag frei und erntet dafür viel Kritik. Eine trainingswissenschaftliche Betrachtung.
"Vorbereitung auf der Couch", titelt der kicker vor dem Revierderby. Pit Gottschalk, Chefredakteur von Funke Sport, twitterte am Mittwoch: "Die BVB Profis stümpern aus der Champions League. Und was macht der Trainer? Gibt den Spielern einen Tag frei. Zwei Tage vorm Derby. Muss ich nicht verstehen, oder? #BVBS04"
Die Frage hinter der Kritik lässt sich schnell zusammenfassen: Wie kann Bosz in der aktuellen Phase des BVB tatsächlich den Spielern den Donnerstag frei geben und sie nicht durch weitere Trainingseinheiten zur gewünschten Form und Leistung bringen?
Trainiert der BVB zu wenig oder nicht intensiv genug? Das legt zumindest der kicker nahe, spricht von "offenkundigen Fitness- und Athletikdefiziten" und von fehlender "Impulsivität und Spritzigkeit, Robustheit und Durchsetzungsvermögen".
Mehr Training ungleich bessere Leistung
Der Gedankengang scheint einfach: Mehr Training entspricht besserer Leistung. Das scheint eine nur logische Schlussfolgerung, entspricht nach aktuellem Stand der Sportwissenschaft aber nicht unbedingt der Wahrheit.
Mit dem Wort Belastungssteuerung wird inzwischen wild jongliert. Im Fußballtraining gelten allgemein die beiden Faktoren Umfang und Intensität im Thema Belastung. Das Spiel am Dienstag in der Champions League entsprach hohem Umfang und hoher Intensität.
Die rein körperliche Leistungsverbesserung eines Sportlers erfolgt nicht während dem Training, sondern im Anschluss an das Training. Hohe Belastung zieht das Leistungsniveau in einen negativen Bereich. In den folgenden Tagen nähert es sich aber langsam wieder dem Ausgangswert an und übertrifft diesen schließlich sogar - so zumindest die Theorie.
Keine Verbesserung ohne Regeneration
Dementsprechend müssen die eingesetzten Spieler im Anschluss regenerieren. Das kann passiv oder aktiv erfolgen. Aktiv regeneriert wurde am Tag danach, passiv regeneriert wird am Donnerstag. Das fußt auf aktuellen Erkenntnissen und ist im Fußball weit verbreitet.
Warum wird aber nicht am Mittwoch pausiert und am Donnerstag wieder trainiert? Aktive Prozesse am Tag nach der Belastung unterstützen den Körper in der Wiederherstellung. Diese erfolgen in mittlerem Umfang und geringer Intensität.
Beispiele dafür gibt es viele. Derzeit gerne genutzt sind Maßnahmen wie Fußballtennis, Passformen ohne Gegnerdruck, Massagen oder das altbekannte Auslaufen. Das fördert die Durchblutung und beschleunigt damit die Regeneration.
Verletzungsgefahr erhöht
Etwa 20 Stunden nach einer hohen Belastung beginnt der Körper mit einem zweiten Schritt der Regeneration. Altes, verletztes Gewebe wird durch neues ersetzt. Im Zeitraum bis 48 Stunden nach dem Spiel ist demnach laut aktuellen Studien die Verletzungsgefahr am höchsten.
Um Verletzungen am Donnerstag vorzubeugen, müsste also wieder mit geringer Intensität trainiert werden. Das ist allerdings nicht im Sinne des Trainers, da diese Einheit kaum Nutzen für Einzelspieler oder die gesamte Mannschaft hätte.
Natürlich könnte Bosz am Donnerstag eine Laufeinheit ansetzen oder die Spieler von Stange zu Stange scheuchen, um das Verschieben zu trainieren. Doch ist das nicht die Philosophie des Niederländers - und auch vieler anderer Trainer.
Das Training, so ist die aktuell weit verbreitete Meinung, muss die Spieler mehr anstrengen als der Wettkampf, um einen Nutzen zu haben. Die Räume müssen enger, das Tempo höher und die Sprints intensiver sein, damit das letztliche Spiel einfach erscheint.
Warum keine Videoanalyse?
Das zur rein körperlichen Sicht der Dinge. Gleichwohl gibt es das Argument mancher Kritiker, dass Bosz auch anhand von Videoanalysen oder Mannschaftsbesprechungen an der Krise arbeiten könnte und selbst dies am Donnerstag nicht durchführe.
Aus mentaler Sicht muss Bosz zwei Dinge abwägen. Auf der einen Seite kann er mit zusätzlichen Einheiten den Spielern das Gefühl geben, hart gearbeitet zu haben und gut vorbereitet zu sein. Auf der anderen Seite kann er mit einem freien Tag auch für einen freien Kopf sorgen.
In einer derart verunsicherten Mannschaft wie dem BVB fänden wohl beide Wege ihre Befürworter. Einerseits wollen Defizite aufgearbeitet werden, andererseits ist es nicht sinnvoll, die Spieler immer wieder an die derzeitige Krisensituation zu erinnern.
Einzelarbeit am Donnerstag?
Ganz abgesehen davon hat die Videoanalyse einen entscheidenden Nachteil: Eine reine Visualisierung der Negativpunkte erreicht ohne entsprechendes Training auf dem Platz kaum eine Leistungsverbesserung. Bosz kommt nicht ohne Arbeit auf dem Platz aus.
Nicht zu vernachlässigen ist in diesem Punkt allerdings, dass die Spieler mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in einzelnen Videoclips auf das Spiel gegen Schalke vorbereitet werden. Diese werden - so die Praxis bei den meisten Bundesligisten - im Laufe der Woche per Handy verteilt und individuell durchgegangen.
Somit ist der Donnerstag sicherlich nicht so frei wie von manchem vermutet. Ohnehin steht am Freitag eine Einheit auf dem Plan. Diese wird Bosz ohne Zweifel zur Vorbereitung auf das Derby nutzen - mit frischen und fitten Spielern.
Bosz bietet aus PR-Sicht Angriffsfläche
Es ist also nur konsequent, wenn Bosz an seinen Methoden festhält und die Woche für dem Derby so gestaltet. Aber ein Trainer auf höchstem Niveau muss neben den sportlichen Dingen auch die öffentliche Wahrnehmung in seine Gedankenspiele einbringen.
Dass der normale Fan nach der jüngsten Negativserie von Belastungssteuerung nix hören will und populistische Thesen auf fruchtbaren Boden fallen, muss ein Trainer ebenso im Blick haben wie die Werte seiner Spieler. Insofern macht Bosz aus sportlicher Sicht wohl alles richtig, aus PR-Sicht bietet der freie Tag aber Angriffsfläche.
Bosz geht damit vor dem emotional aufgeladenen Spiel am Samstag ins Risiko - aber das hat der Niederländer bisher noch nie gescheut.