Als die TSG 1899 Hoffenheim am 29. August 2007 Carlos Eduardo als neuen Spieler im Kraichgau vorstellt, ist Joelinton Cassio Apolinario de Lira gerade elf Jahre alt. Die deutschen Sportgazzetten schreiben vom bis dato "größten Transfercoup" eines Zweitligisten, schließlich waren auch Paris Saint-Germain und der FC Porto an dem 20-Jahre alten Mittelfeldspieler interessiert.
Tatsächlich entpuppte sich der Wechsel von Eduardo in den Kraichgau nicht als "größter", sondern als wohl nachhaltigster Coup der Klubgeschichte: Zwar verließ Eduardo die TSG nach drei Jahren für rund 20 Millionen Euro, doch seine Zeit in Hoffenheim reichte aus, um ein 3000-Seelen-Örtchen in Brasilien und besonders unter talentierten Fußballspielern bekannt zu machen.
Joelinton überzeugt bei seiner Rückkehr nach Hoffenheim als Topscorer
"Durch ihn habe ich die TSG kennengelernt", gibt auch der heute 22 Jahre alte Joelinto Cassio Apolinario auf der Vereinshomepage jenes Bundesligisten zu, der in ihm den nächsten Importschlager aus dem Land des Rekordweltmeisters sah und für rund zwei Millionen Euro verpflichtete.
Drei Jahre ist das jetzt her. Drei Jahre, in denen Joelinton viel Lehrgeld zahlen musste und noch bis vor kurzem überhaupt nicht wusste, "wie es für mich weitergeht". Die Ahnungslosigkeit über seine Zukunft ging einher mit der anstehenden Rückkehr zu eben jener TSG, von deren Existenz er erst durch Carlos Eduardo erfahren hatte.
Zwei Jahre hatte die TSG dem Mittelstürmer gegeben, um sich bei Rapid Wien nach einem verkorksten ersten Jahr in Hoffenheim weiterzuentwickeln. Der Plan ging auf: Mit acht Treffern und fünf Vorlagen in 15 Pflichtspielen ist die "furchtbare Kante", als die TSG-Sportdirektor Alexander Rosen Joelinton einmal bezeichnete, aktuell der Topscorer des Champions-League-Teilnehmers.
Am vergangenen Wochenende schnürte er beim 4:1-Sieg in Leverkusen einen Doppelpack und holte darüber hinaus noch einen Elfmeter raus. Dass er irgendwann für Hoffenheim mal Spiele gewinnen würde, daran war noch vor knapp zwei Jahren nicht zu denken. Und auch in Wien reiben sich nicht wenige verwundert die Augen angesichts der Konstanz, mit der Joelinton seine Leistung abruft.
Joelintons erstes Jahr in Hoffenheim: Sie nannten mich Firmino
"Als ich hier angekommen bin, haben sie mich immer wieder Firmino genannt", erläuterte Joelinton im Interview mit Globo Esporte den Druck, den er durch die hohe Erwartungshaltung in seiner Debüt-Saison angesichts der Leistungen seines bekannten Landsmannes Firmino (49 Tore in 153 Spielen für Hoffenheim) verspürt hat.
Eine Saison, an deren Ende die TSG mit Hängen und Würgen den Klassenerhalt schaffte und die für Joelinton nach nur einer Einsatzminute und vier Kadernominierungen so ganz anders als gedacht und überhaupt nicht Firmino-esk verlaufen war. "Das war sehr schwierig für ihn", erinnert sich Kevin Kuranyi im exklusiven Gespräch mit SPOX und Goal an die damalige Situation des Mittelstürmers.
"Sehr schüchtern" sei dieser damals gewesen sagt Kuranyi, der im gleichen Sommer wie Joelinton zu den Kraichgauern gestoßen war und "sowas wie ein älterer Bruder" für den 18-Jährigen gewesen sei. Einer der ihm mit der Sprache helfen konnte, mit der Art, wie in Europa Fußball gespielt wird und mit der "deutschen Mentalität".
Obwohl Joelinton es relativ schnell geschafft habe, sich anzupassen, Extraschichten nach dem Training schob und Kuranyi gesehen habe, "dass er eine gute Karriere vor sich hat", blieb Joelinton eine Bewährungschance verwehrt. "Leider", wie Kuranyi betont und Joelinton immer wieder gesagt habe, dass seine Zeit kommen werde.
Joelinton selbst sah es dem Verein nach: "Sie dachten, ich sei jung und wollten mich nicht unter Druck setzen", analysierte er rückblickend sein erstes Jahr in Sinsheim.
Hoffenheim leiht Joelinton für zwei Jahre an Rapid Wien aus: Das Rätsel
Gemeinsam mit Trainer Julian Nagelsmann und Sportdirekor Rosen suchte Joelinton in der Sommerpause nach einer Lösung. Einer Möglichkeit, in einem gnädigeren Umfeld als der deutschen Bundesliga Spielpraxis zu sammeln. Da kam das Interesse von Rapid Wien, wo zu dieser Zeit in Andreas Müller, Ex-Manager der TSG, die Transfergeschicke des Vereins lenkte, gerade recht.
Die Österreicher wollten Joelinton Gerüchten zufolge bereits ein halbes Jahr vorher ausleihen, allerdings legte der damalige Rapid-Trainer Zoran Barisic sein Veto ein. Dieser soll dem Mittelstürmer während eines Videostudiums zwar ein "großes Potenzial" attestiert, jedoch auch angemerkt haben, dass der Brasilianer "nicht gut beim Torabschluss" sei.
Eine Beobachtung, die nicht nur Kuranyi nach eigener Aussage anfänglich in Hoffenheim machte, sondern sich auch durch Zahlen belegen lässt: Zwar schoss Joelinton in seinen zwei Jahren und 60 Liga-Spielen für Rapid 15 Tore, hätte aber laut Expected-Goals-Statistik in beiden Spielzeiten um die österreichische Torjägerkanone mitspielen müssen. Ihm fehle die Konstanz, sagten kritische Zungen.
Für Kuranyi, der nach wie vor engen Kontakt zu seinem "jüngeren Bruder" aus Hoffenheimer Tagen pflegt, ist das nur ein fadenscheiniges Argument, schließlich sei es völlig normal, dass diese Konstanz bei den meisten jungen Spielern diese Konstanz noch nicht so da sei. Aufgrund seiner mangelnden Kaltschnäuzigkeit schrieb der Kurier vor Joelintons letztem Spiel in der österreichischen Bundesliga dennoch von einem "hochveranlagten jungen Mann, der als Rätsel in Erinnerung bleibt".
Joelintons Statisiken bei Rapid und der TSG
Verein | Spiele | Tore | Assists |
Rapid Wien | 79 | 21 | 9 |
TSG Hoffenheim | 16 | 8 | 5 |
Joelintons furiose Rückkehr nach Hoffenheim: Eklig mit ewig langen Gräten
Des Rätsels Lösung für Joelintons baldige Rückkehr haben die Hoffenheimer allerdings schon während der zweijährigen Leihe vorbereitet. "Wir haben ihn vorher mit Informationen versorgt, was er können sollte, wenn er bei uns aufschlägt", sagte Julian Nagelsmann in der Sommerpause, als hinter der Leistungsfähigkeit des Brasilianers mindestens ein dickes Fragezeichen stand.
Was Nagelsmann besonders an seiner "eklig zu verteidigenden Kante" im Sturmzentrum schätzt, ist Joelintons Arbeit in der Defensive: "Der Gegenspieler hat das Gefühl, er ist vorbei an ihm, und dann kommt er mit seinen ewig langen Gräten." Wenn er dann noch in der Offensive sowohl Tore schießt, als auch Mitspieler in Szene setzt, kommt man kaum umhin, es mit Sportdirektor Rosen zu halten.
Dieser sprach zuletzt von einer Leihe, die "gefruchtet" habe. Dass dem so ist, zeigen auch die Statistiken. Aktuell liegt sein Expected-Goals-Wert in der Bundesliga bei 0,44, was bedeutet, dass Joelinton pro Spiel Abschlüsse hat, die ungefähr ein halbes Tor wert waren.
Ein guter Wert für einen Angreifer, zumal er mit vier Treffern in 719 Bundesliga-Minuten im Soll liegt. Bezogen auf Joelintons vielkritisierte Abschlussschwäche ist das ein leistungsmäßiger Quantensprung, bezogen auf sein Gardemaß von 1,86 Meter und dem Lieblingswort der Hoffenheim-Verantwortlichen, wenn sie über ihn sprechen, aber dann doch eher ein Kantensprung.