Julian Nagelsmann von RB Leipzig im Interview: "Mein Coaching kann ohne Zuschauer beängstigend sein"

Von Benni Zander
Julian Nagelsmann im Training von RB Leipzig.
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Wie stehen Sie zu den erlaubten fünf Auswechslungen pro Spiel?

Nagelsmann: Man hat unabhängig von Corona immer einige unzufriedene Spieler im Kader, insofern ist es gar nicht schlecht. Ich habe nur die Befürchtung, dass das Stilmittel zu sehr taktisch eingesetzt wird. Das wäre nicht so mein Fall, dass man in den letzten zehn Minuten noch mehrere Wechsel hat und dann nur Zeit von der Uhr nimmt. Wenn es eine Übereinkunft gibt, es zu nutzen, um die Spieler besser zu schützen oder mehr Eingriffsmöglichkeiten als Trainer zu haben, ist es sinnvoll. Wenn man damit aber ein 1:0 ab der 83. Minute über die Zeit kriegen will, würde ich das nicht unterschreiben.

Sie haben angedeutet, dass Teams mit mehreren erfahrenen Spielern vielleicht eher Vorteile haben könnten bei den Geisterspielen. Warum?

Nagelsmann: Man muss sich ohne Zuschauer seine Momente etwas anders erarbeiten. Es geht mehr um Coachingpunkte und wenn man schon viele Situationen erlebt hat, kann man aus einem größeren Erfahrungsschatz zehren und gerade die jungen Spieler unterstützen. Das gegenseitige Coaching auf dem Platz wird ein Faktor werden in diesen Spielen. Ich glaube aber auch, dass sich das auf Dauer einigermaßen die Waage halten wird. Und es ist für die jungen Spieler auch eine Chance, sich zu entwickeln. So sollte man die Situation auch sehen: nicht nur als Risiko, sondern auch als Chance.

Nagelsmann: "Situation gibt tabellarisch viel her"

Vieles hat sich durch Corona in den vergangenen Wochen verändert, nur die Bundesliga-Tabelle ist gleich geblieben. Wie schätzen Sie Ihre Ausgangslage ein?

Nagelsmann: Sehr spannend. Wir haben kein Luftpolster nach hinten, aber auch keinen riesigen Abstand nach vorne. Das ist eine tolle Situation für uns. Wenn wir im grauen Mittelfeld stünden, wäre es wohl doppelt und dreifach schwer, sich ohne Zuschauer zu emotionalisieren. Bei uns geht es aber noch um etwas, wir wollen weiter angreifen und auf den Champions-League-Plätzen bleiben. Das Ziel bleibt, einen der ersten vier Plätzen zu erreichen, die Situation gibt also tabellarisch sehr viel her.

Verändert die Pause nun eigentlich die konkrete Vorbereitung auf den ersten Gegner Freiburg?

Nagelsmann: Das ist schon etwas skurril: Wir hatten vor der Pause den Plan für Freiburg schon ausgearbeitet, sind damals von einem möglichen Geisterspiel ausgegangen und haben sogar freitags im Stadion trainiert, um das zu simulieren. Jetzt stehen wir vor der Frage, ob wir denselben Plan einfach wieder nehmen oder noch etwas überarbeiten. Es gibt natürlich kein neues Videomaterial des Gegners und der Freiburger Fußball wird nicht großartig anders ein. Trotzdem wird es gerade in den ersten Spielen so sein, dass man nicht unbedingt weiß, welche Grundordnung der Gegner spielt. Also werden wir uns an den Spielen orientieren, die wir vorher auch schon gescoutet haben. Und dann wird es im Spiel darum gehen, sich an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen.

Nagelsmann über sein Coaching: "Kann durchaus beängstigend sein"

Werden Sie Ihr Coaching während des Spiels umstellen?

Nagelsmann: Ich bin einer, der sehr aggressiv coacht und laut schreit, damit mich meine Spieler hören können. Das werde ich sicherlich umstellen müssen. Aber ob mir das sofort gelingt, das versehe ich mal mit einem großen Fragezeichen. Es steht auf jeden Fall auf meiner Agenda, weil mein Coaching ohne Zuschauer durchaus etwas beängstigend sein kann. Ich werde also versuchen, es in gesittete Bahnen zu legen.

Wie nehmen Sie Ihre Mannschaft kurz vor dem ersten Spiel nach so langer Pause wahr?

Nagelsmann: Im Training waren sie schon wie ein Haufen Welpen, der endlich wieder spielen darf. Man merkt eben, dass die Jungs Teamsportler voller Vorfreude sind.

Auf welche Art Fußball sollten sich die Fans man denn einstellen? Stichwort: Qualitätsverlust.

Nagelsmann: Was die Fans im Stadion normalerweise freischaufeln an Emotionalität ist schon etwas ganz Besonderes und sehr bedeutend. Die Fans werden wir alle vermissen und wir freuen uns jetzt schon darauf, wenn sie irgendwann wieder dabei sind. Jetzt geht es darum, sich selbst zu emotionalisieren und sich bewusst zu machen, dass da Millionen am Fernseher zuschauen. Vielleicht sogar noch mehr als ohnehin schon, weil andere europäische Ligen noch nicht spielen. Es wird ab und zu so etwas wie ein Testspielcharakter aufkommen. Aber da muss man dann so schnell wie möglich raus aus diesem Strudel und sich bewusst machen, dass es um etwas geht.

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