Da war er wieder, der alte Jadon Sancho: Im perfekten Moment in die Lücke gesprintet, mit Ball eng am Fuß Richtung Tor und vorm Abschluss noch durch einen eleganten Schlenker Wolfsburgs Verteidiger Paulo Otavio ausgetanzt. Quälend lange elf Spiele und 25 erfolglose Torschüsse hat sich Dortmunds Offensiv-Ass Zeit gelassen mit dem ersten Bundesligatreffer der Saison, der aber direkt wieder an seine besten Tage erinnerte (die Highlights im Video).
Es ist nicht selbstverständlich, dass Sancho nach einer bislang unbefriedigenden Spielzeit noch das Selbstvertrauen hat, auf diese Art die erste Durststrecke seiner Karriere zu beenden. Zumal das schwierige BVB-Umfeld zurzeit kaum Hilfe bietet. Obwohl die Westfalen durch den 2:0-Sieg die vierte Pleite im früheren Westfalenstadion in Folge vermieden und Rang vier von Wolfsburg zurückeroberten, blieben abermals viele Wünsche offen.
Stolze 21 Torschüsse ließ das Team beim Heimdebüt von Trainer Edin Terzic zu, so viele wie zuvor nur gegen Branchenprimus FC Bayern. Zum Glück der Dortmunder agierten die mutigen Gäste in letzter Konsequenz viel zu harmlos.
Es hakt, knirscht und wackelt weiter gewaltig in der schwarz-gelben Offensive. Exemplarisch zu beobachten am früheren Scorer-König, der vergangene Saison jeweils 17 Treffer und Torvorlagen allein in der Bundesliga anhäufte. Bis zum 14. Spieltag dieser Spielzeit lief Sancho mit nur drei Assists den Ansprüchen weit hinterher.
Auch die Partie gegen die Wölfe erinnerte über weite Strecken an die meist mauen Auftritte der letzten Wochen, in denen er ungewohnt häufig die Note 4,5 oder schlechter bekam. Der Tempodribbler, der früher mit Leichtigkeit die Beine seiner Gegner verknotete, kam bis zu seinem Treffer in der Nachspielzeit kaum an den Außenverteidigern Paulo Otavio und Ridle Baku vorbei. Erneut mangelte es an Durchsetzungskraft, Speed und Esprit.
BVB: Sancho von Transfergerüchten abgelenkt?
"Jadon fehlt diese natürliche Leichtigkeit", hatte BVB-Sportdirektor Michael Zorc schon vor vielen Wochen erkannt. Diesen Eindruck bestätigte Sancho zunächst auch gegen Wolfsburg. Einen Freistoß aus dem Halbfeld, früher eine seiner gefährlichsten Waffen, irrlichterte Sancho flach in die Mitte und beschwor damit einen Konter herauf. Eine Idee zu viel, mit der sich der Meister der Intuition gedanklich verzettelte. Nur kurz danach zeigte der Youngster Nerven, als er einen geblockten Schuss von Erling Haaland aus 16 Metern nicht mal aufs leere Tor brachte.
Offenbar hat ihn der im Sommer geplatzte Wechsel zu Manchester United doch mehr beschäftigt als gedacht. Sancho scheint beizeiten alle Schwere dieser Welt mit auf den Rasen zu schleppen, während er in der Vergangenheit selbst seine in schlechter Regelmäßigkeit auftretenden Disziplin-Defizite und ihre Folgen überspielte.
Sein Klub erkennt das Problem inzwischen an. "Früher hat er nicht über seine nächste Ballaktion nachgedacht", sagt Hans-Joachim Watzke im kicker. Diese fehlende Unbefangenheit koste Sancho nun in Duellen die entscheidenden Zehntelsekunden. Der BVB-Chef zeigt aber Verständnis für den Ballkünstler: "Je mehr man sich als Kreativer bemüht, desto schwieriger wird es oft."
Die Probleme sind vermutlich komplexer. In Marco Reus ist Sancho faktisch der wichtigste Spiel-Partner verloren gegangen. Der Kapitän kämpft seit Wochen selbst gegen ein Formtief. Als Helfer und verlässliche Anspielstation für kreatives Teamwork fällt er daher meist aus. Und wenn Erling Haaland in der Spitze fehlt, fremdelt oft die gesamte Mannschaft mit dem Ersatz des Norwegers.
Sancho verpasste unter Terzic keine Spielminute
Auch der fehlende Rhythmus behinderte Sanchos Trendwende. In der ersten Saisonphase kam Dortmunds Nummer sieben nur auf zwei Drittel der Einsatzzeiten, weil Trainer Lucien Favre es im Lichte des arg komprimierten Corona-Spielplans mit der XXL-Rotation womöglich übertrieb und sich die Elf nie einspielen konnte. Seit Terzic als Chefcoach an der Seitenlinie steht, hat Sancho keine Spielminute verpasst. Womöglich tut es dem 20-Jährigen gut, mehr gefordert zu werden.
Mehr Spielzeit erhöht jedenfalls die Chance, Selbstvertrauen und Lockerheit zurückzugewinnen. Dass Sancho sein Talent nicht verloren hat, zeigte der Engländer zwischenzeitlich immer wieder. Auf Länderspielreisen im Trikot der Three Lions oder für den BVB in den anderen Wettbewerben.
Schon zum Jahresende hatte er was fürs angeknackste Selbstbewusstsein getan. Im DFB-Pokal in Braunschweig half Sancho mit zwei Torbeteiligungen beim Einzug ins Achtelfinale, in dem nun Anfang Februar der Zweitligist SC Paderborn wartet.
Das gleiche Erfolgserlebnis nimmt der Rechtsaußen mit in die anstehenden, richtungsweisenden Prüfungen in der Liga. Denn gegen Wolfsburg gelang ihm per Ecke mit Effet auch die Vorlage zum 1:0 durch Abwehrspieler Manuel Akanji. Der eigentliche Dosenöffner im BVB-Spiel und vielleicht der Startschuss für Sanchos Trendwende.
Weitere Tricks und Tore wären in den Januar-Wochen der Wahrheit jedenfalls wichtig, denn im Showdown um die lukrativen Champions-League-Plätze in Leipzig, Leverkusen und Gladbach wird der weiter anfällige BVB wohl kaum mit weißer Weste durchkommen.
Jadon Sancho im Steckbrief
Geburtstag | 25. März 2000 |
Geburtsort | Camberwell, London (England) |
Starker Fuß | Rechts |
Position | Linker Flügel, rechter Flügel |
Vereine | FC Watford (Jugend), Manchester City (Jugend/U23), Borussia Dortmund |