BVB-Chefscout Markus Pilawa exklusiv über den Wechsel von Jude Bellingham zu Borussia Dortmund

Jochen Tittmar
11. Juni 202110:32
Jude Bellingham spielt seit Sommer 2020 für den BVB.getty
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Es war ein zähes Ringen im Kampf mit zahlreichen europäischen Schwergewichten, ehe Borussia Dortmund im Juli 2020 die Verpflichtung von Jude Bellingham verkünden konnte. BVB-Chefscout Markus Pilawa spricht über den langen Weg bis zum Wechsel des Engländers und dessen starke Debütsaison in Dortmund.

23 Millionen Euro überwies der BVB für den damals 16-Jährigen an den englischen Zweitligisten Birmingham City. In seiner ersten Saison in Dortmund kam Bellingham auf Anhieb auf 46 Pflichtspieleinsätze, in denen ihm vier Tore und vier Vorlagen gelangen.

Anfang September 2020 feierte Belllingham zudem sein Debüt für die U21-Nationalmannschaft der Three Lions. Nur zwei Monate später kam er erstmals in der A-Nationalelf zum Einsatz und steht nun auch bei der Europameisterschaft im Kader seines Heimatlands.

BVB-Chefscout Markus Pilawa über...

... das erste Mal, als man auf Bellingham aufmerksam wurde:

"Bei einem U15-Länderspiel Englands Ende 2017 ist er uns aufgefallen, und wir haben ihn daraufhin bei den weiteren Länderspielen drei Monate später erneut verfolgt. Dort hat sich der gute Eindruck mehr als bestätigt, wir haben ihn noch besser gesehen. Von da an hat die Sache ihren Lauf genommen."

... seine ersten Gedanken über Bellingham:

"Man glaubt es gar nicht, aber als ich ihn das erste Mal bei einem U23-Spiel von Birmingham City live sah, war er noch relativ schmächtig und körperlich maximal durchschnittlich. Er ist also nicht durch physische Fähigkeiten herausgeragt, er war aber Kapitän und strahlte auf dem Feld bereits das Verantwortungsbewusstsein aus, das wir jetzt auch hier bei uns sehen. Das heißt: Er hat eine unfassbare Verantwortung übernommen, hatte Ausstrahlung und Persönlichkeit, war mutig und erfüllte gewisse Leadership-Kriterien. Er hatte ein Gefühl dafür, wie im zentralen Mittelfeld das Spiel geordnet werden muss und eine unglaubliche Arbeitsrate. Er will als Sechser den Ball abholen, ihn als Achter in die Spitze bringen, aber am Ende auch im Strafraum sein und vollenden. Das ist auch der Hintergrund seiner Rückennummer 22: Die setzt sich zusammen aus der 4, der 8 und der 10; die 4 ist in England die 6 hier in Deutschland. Es bedeutet, dass er alle Elemente des Spiels im zentralen Mittelfeld verinnerlichen möchte - und genau das haben auch wir in ihm gesehen und das hat uns enorm imponiert. Er hat im Mittelfeld mit einer Ruhe am Ball und vielen Ballkontakten dominiert, er hat das Spiel gesteuert. Später begann er dann, noch weiter zu wachsen und Muskulatur aufzubauen, so dass die Komponenten Physis und Power hinzukamen."

... über die Gründe, weshalb sich Bellingham für den BVB entschied:

"Erstens, weil wir mit die Ersten waren, die an ihm dran waren und ihn schon zu seinem 16. Geburtstag holen wollten, als er noch der kleine, schmächtige Spieler war. Wir haben bereits damals an ihn geglaubt und nicht erst dann, als er in der Championship spielte. Ich glaube, es hat ihm imponiert, dass wir nicht erst am Ende dazugestoßen sind, als für alle offensichtlich war, welch großes Talent in ihm schlummert. Zweitens haben wir ein gutes Vertrauensverhältnis zu seiner Familie, seinem Management und ihm aufgebaut. Wir haben ihm einen klaren Plan und sein Stärken-Schwächen-Profil aufgezeigt, wo und wie wir ihn sehen und wieso sein Profil zu uns und der Zusammensetzung unseres Mittelfelds passt. Wir sagten ihm: Du wirst von der Qualität der Spieler her zwar große Konkurrenz haben, aber dein Vorteil ist, dass wir dein Profil nicht im Kader haben, und deshalb wirst du bei uns definitiv Spielzeit bekommen. Bei Birmingham wurde er zwischenzeitlich auch auf der rechten Seite und als Neuneinhalber eingesetzt. Wir haben ihm aber gesagt: Du bist bei uns keine Sechs oder Flügelspieler, sondern ganz klar unser Achter. Letztlich war es ein verdammt harter Kampf, da die Konkurrenz um ihn immens war."

... über die Gründe, weshalb Bellingham nicht schon zu seinem 16. Geburtstag zum BVB wechselte:

"Er sagte, dass er seine ersten Seniorenminuten für seinen Klub in Birmingham spielen wolle, weil er diesen Verein liebt. Dabei war nicht klar, ob er diese Minuten auch bekommt, doch sein Wunsch erfüllte sich letztlich relativ schnell. Es war keine Absage an uns. Das spricht für ihn und seine Persönlichkeit."

Markus Pilawa arbeitet seit Januar 2017 als Chefscout beim BVB.imago images

...über Bellinghams erste Saison in Dortmund:

"Wir waren einigermaßen sicher, dass er bereits im ersten Jahr ausreichend Spielzeit bekommen wird. Ich gebe aber zu, dass wir nicht wussten, wie souverän er mit seiner Situation umgehen wird. Da war Corona, die kräftezehrende Championship-Saison bis Ende Juli und die mentale Belastung im Abstiegskampf mit Birmingham. Er hatte als junger Bursche nur sieben Tage Pause und kam dann hier ohne Urlaub und ein Stück weit auch mit dem Druck der hohen Ablösesumme an. Es hätten also durchaus gerade zu Saisonbeginn Probleme auftreten können, doch auch da hat er uns überrascht. Wir wollten ihm mehr Pausen geben, doch die wollte er nicht. Er ist im Kopf einfach so klar und hat eine solch starke Persönlichkeit, dass seine Entwicklung letztlich fast nicht mehr überraschend wirken könnte. Ich dachte aber eher, er wäre erst zur zweiten Saisonhälfte richtig da."

... über Bellinghams Eingewöhnung in Deutschland:

"Wir haben mit ihm im Vorfeld besprochen, dass Dortmund nicht mit Bergen, Meer und Luxus glänzt wie vielleicht andere Städte, in die er hätte gehen können. Er guckte uns an und sagte: Also alles wie in Birmingham, nur werdet ihr mehr Sonne haben. Das hat ihn nicht interessiert, da ist er sehr erwachsen. Ich sehe bei ihm keinerlei Anpassungsprobleme an unsere Kultur, Sprache oder Stadt - auch nicht bei seiner Mutter, die mit ihm in Dortmund lebt."

... über mit Bellingham vergleichbare Spieler aus der Vergangenheit:

"Bevor er zu uns kam, wurde er mit Frank Lampard verglichen. Da mag es in der Tat auch Parallelen geben. Diese Vergleiche mit Lampard, auch mit Steven Gerrard, sind naheliegend, und ich kann sie auch nachvollziehen. Jude hat wie diese beiden eine starke Persönlichkeit, auch die Position ist ähnlich. Er ist aber sein eigener Charakter und seine eigene Marke."

... über Bellinghams Debüt in der A-Nationalelf von England:

"Uns war natürlich klar, dass er über kurz oder lang dort landen wird. Wir dachten aber, dass er zuvor ein Jahr den Weg über die U21 nimmt. Doch so wie er hier eine Entwicklungsstufe übersprungen hat, tat er dies auch im Nationaldress."