"Für Heldenfußball braucht es Helden. Diese hat Hertha aber nicht", schrieben wir nach dem dem 0:1 von Hertha BSC im Hinspiel der Relegation gegen den Hamburger SV.
Ein schöner und zum damaligen Zeitpunkt auch richtiger Satz, aber eben unglaublich schlecht gealtert.
Hertha BSC hatte beim 2:0 im Rückspiel in Hamburg nicht nur einen Helden, sondern gleich mehrere:
- Dedrick Boyata und Marvin Plattenhardt, die Autoren der wuchtigen respektive schlitzohrigen Berliner Tore.
Die nimmermüden Kämpfer Marc-Oliver Kempf und Santiago Ascacibar, die sich pünktlich zum entscheidenden Relegationsspiel erinnerten, dass sie HSV-Trainer Tim Walter ja aus gemeinsamen Tagen beim VfB Stuttgart kennen und dort auch die gewissen defensiven Schwächen in dessen Fußballsystem erleben durften.
- Allen voran aber Kevin-Prince Boateng und Felix Magath, die Architekten und Baumeister eines Erfolgs, der sich nach einer wirklich elenden Saison nun für die Berliner "wie die Meisterschaft anfühlt" (Boateng).
Hertha BSC: Boateng durfte die Spieler aussuchen
Boateng präsentierte sich im entscheidenden Spiel als eben jener "Final-Spieler", als den Trainer Magath ihn tags zuvor bezeichnet hatte. Das war zugegebenermaßen nicht ganz überraschend, Boateng ist praktisch als Führungspersönlichkeit auf die Welt gekommen.
Einer Sensation kam aber gleich, was Boateng nach dem Spiel offenbarte: "Ich muss dem Trainer auch sehr viel Respekt geben. Er hat mir freie Hand gegeben, er hat mir sogar gesagt, dass ich aussuchen kann, wer spielt", sagte der 35-Jährige bei Sat1. Er habe gemeinsam mit Magath "versucht, die bestmögliche Mannschaft auf den Platz zu stellen". Eine Mannschaft "mit Herz". Das gelang zweifellos.
Magath bestätigte die schier märchenhafte Geschichte mit einem dieser typischen Felix-Magath-Schmunzler bei Sky: "Er hat die Mannschaft gestellt. Ich habe Gott sei Dank auf ihn gehört. So gesehen haben wir alles richtig gemacht."
Hertha BSC: Magath geht nach dem Triumph "Holz hacken"
Es war nicht das erste Mal, dass ein Trainer und seine Mannschaft sich über Aufstellung und Taktik beraten. Toni Kroos etwa offenbarte erst vor wenigen Wochen, dass Trainer Carlo Ancelotti sich im Rückspiel des Halbfinals der Champions League gegen Manchester City vor den letzten Einwechslungen mit Kroos und Co absprach; Real Madrid erreichte dank des 3:1 im vielleicht bisher besten Fußballspiel des Jahres das Finale der Königsklasse.
Bedurfte Ancelottis Einbeziehen seiner Spieler schon ein gewisses Maß an Souveränität, bewies Magath nun unumschränkte Klasse.
Im Spätherbst seiner Karriere hat Magath bewiesen, dass Leadership sehr viel mit Vertrauen in seine Mitarbeiter zu tun hat.
Magath hat in seiner Karriere viel dafür getan, sein Image als Quälix aufrechtzuerhalten. Das war nie Fassade, Magath hat seine Spieler im wahrsten Sinne des Wortes kotzen lassen im Training. Aber Magath, fußballtaktisch eher begrenzt, war in gewisser Weise immer schon ein bisschen cooler, cleverer und selbstironischer als viele seiner Kollegen.
Als er in Berlin im März seine "schwierigste, äußerst komplizierte Aufgabe" übernahm, registrierte Magath die größtenteils kritischen Kommentare natürlich genau. Er sei zu lange aus dem Geschäft, seine letzte erfolgreiche Station sei lange her, er sei ein Auslaufmodell, die Entscheidung für Magath sei entlarvend, hieß es. Auch bei uns, und sicher nicht zu Unrecht.
Hertha BSC: Statue für Magath, neue Karriere für Boateng
Doch während die Kommentatoren sich noch auf der Suche nach dem Berliner Mount Magath befanden und auf Twitter ein Fake-Account Magaths für Furore sorgte, ließ Magath seinen ewigen Fitnessmann Werner Leuthard, seinen neuen Assistenten Mark Fotheringham und Herthas Stürmertrainer Vedad Ibisevic ihre Arbeit machen. Gute Chefs müssen nicht alles können, vor allem müssen sie nicht alles selbst machen, wofür haben sie schließlich ihre Spezialisten? Magath führte integrativ, er moderierte, nach innen und nach außen und hielt die Stimmung hoch. Damit hat sich das vermeintliche Auslaufmodell Magath moderner als viele andere im Fußballgeschft mit seinen immer noch sehr traditionellen Rollenbildern entpuppt.
Als Hertha in der Bundesliga im Abstiegskampf Matchball um Matchball liegen ließ und in der Relegation beinahe schon gescheitert war, machte Magath aus dem alternden und oft maladen Führungsspieler Boateng den 89 Minuten mithaltenden Spielertrainer und Mannschaftsaufsteller Boateng. Sollte der Berliner Mount Magath irgendwann gefunden sein, sollte dem Coach dafür ein Denkmal auf den Gipfel gebaut werden.
"Ich gehe jetzt wieder nach Hause, Holz hacken", kündigte Magath nach seiner erfolgreichen Mission an. Wie gesagt, der Mann kann Selbstironie.
Boateng dagegen sollten Fredi Bobic und Hertha sofort einen Anschlussvertrag als Spielertrainer oder mindestens als mitspielenden Co-Trainer anbieten.