Holger Fischer arbeitet als Coach für Persönlichkeitsentwicklung mit Sportstars zusammen. Rene Adler hat das Vorwort für sein neues Buch "Karrierekiller - und wie man sie effektiv vermeidet" geschrieben, auch BVB-Star Gregor Kobel vertraut ihm. Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Fischer über seine Arbeit.
Fischer erklärt, unter welchem Druck die Stars leiden, wie ein normaler Handy-Konsum bei einem Bundesligisten aussieht und warum Rene Adler ab und zu einen Tritt in den Allerwertesten brauchte.
Außerdem erzählt Fischer vom sogenannten Karrierebahnof, er verrät, warum viele Spieler freiwillige oder gemachte Opfer sind - und über welchen Spruch er gerne mit Bundestrainer Hansi Flick diskutieren würde.
Herr Fischer, im Frühjahr hat Ashleigh Barty als amtierende Nummer eins der Tenniswelt überraschend das Karriereende verkündet. Was haben Sie gedacht, als Sie es gehört haben?
Holger Fischer: Sie kommt wieder. Das war mein erster Impuls. Sie hatte ja schon mal aufgehört und war wiedergekommen. Die entscheidende Frage, bei Ashleigh Barty oder bei allen anderen Sportlern, ist immer die gleiche: Was hat mein Leben für einen Inhalt nach dem Karriereende? Sportler, die es schaffen, sich einen neuen Inhalt zu schaffen, der sie ausfüllt, werden nicht zurückkommen. Sportler, denen das nicht gelingt und die mit der Zeit auch das Rampenlicht vermissen, kommen wieder.
Sie haben viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Tennisprofis.
Fischer: Das stimmt. Ich arbeite nach einer längeren Pause wieder mit Angelique Kerber zusammen. Angelique ist zwar schon 34, aber sie hat es geschafft, auch jetzt immer noch Spaß am Tennis zu haben. Vor allem auch deshalb, weil sie sehr offen ist, sich auf neue Dinge einzulassen und sich immer weiterzuentwickeln. Sie hatte sich natürlich auch schon die Frage gestellt: Höre ich auf? Ja oder nein? Im vergangenen Jahr hat sie ihr Spiel nochmal modifiziert, einen neuen Impuls gesetzt und so eine neue Herausforderung gefunden. Das ist der Schlüssel, wenn du so lange oben dabei bleiben willst.
Florian Mayer war immer ein ganz interessanter Spieler. Talentiert ohne Ende, aber der Kopf war nicht für die absolute Weltspitze gemacht. Was haben Sie mit ihm damals gemacht?
Fischer: Als Florian zu mir kam, war er in der Weltrangliste ganz weit hinten. Ich habe ihn dann auf einem Weg begleiten dürfen, der ihn bis auf Rang 18 nach vorne gebracht hat. Bei ihm war immer der Glaube an sich selbst das große Thema. Ich habe ihm die Aufgabe gegeben, Gründe dafür aufzuschreiben, warum er zu den 20 besten Tennisspielern der Welt gehört. Er hat aber anfangs nur Gründe gefunden, warum er nicht dahin gehört. Mit der Zeit haben wir es geschafft, dass er für sich selbst eine Vision entwickelt und immer mehr an sich geglaubt hat. Für die Top 20 hat es gereicht, aber mehr hat er sich dann einfach nicht mehr zugetraut. Das muss man dann auch ganz offen und ehrlich akzeptieren.
Im Tennis oder auch im Golf, Sie haben Marcel Siem aus einem tiefen Tal wieder nach oben geholfen, ist die Arbeit an sich selbst, das Hilfe holen von außen, viel akzeptierter als im Fußball. Eigentlich sprechen wir seit unserem ersten Interview darüber, dass im Fußball keine Schwächen zugegeben werden dürfen. Wie viel hat sich über die Jahre verändert?
Fischer: Nicht viel. Wir stehen immer noch am Anfang einer Entwicklung, die hoffentlich zu mehr Offenheit führt. Aber der Druck, der gerade durch die sozialen Medien entstanden ist, ist enorm. Die Jungs leiden nicht unter dem Druck, den der Fußball macht. Sie leiden unter den Begleitumständen. Bei einem Bundesligisten ist herausgekommen, dass die Spieler pro Tag acht Stunden am Handy hängen. Acht Stunden pro Tag, das muss man sich mal vorstellen.
gettyFischer: "Gregor hat extremen Drang nach Weiterentwicklung"
In Ihrem Buch erzählen immerhin einige aktuelle oder ehemalige Profis über die Arbeit mit Ihnen. Rene Adler hat sogar das Vorwort geschrieben. Er beschreibt darin eindrücklich, wie immenser Druck, den er sich selbst machte, am Ende zu zwei gebrochenen Rippen vor der WM 2010 führte. Und so machte Manuel Neuer die Weltkarriere, die vielleicht er hätte machen können.
Fischer: Rene war damals die Nummer eins im deutschen Tor, das wissen viele gar nicht mehr. Er war besessen davon, immer noch besser zu werden und hat total überpaced. Er hat mit sich selbst im Zwiespalt gelebt und gekämpft. Auf der einen Seite die geistige Komponente, ich will mehr, mehr, mehr - und auf der anderen Seite die emotionale Komponente, die sagt: Ich habe Angst, dass ich das nicht packe. Wenn wir an einen ganzheitlichen Ansatz und das Zusammenspiel aus Geist, Körper und Seele glauben, ist es für jeden denke ich verständlich, dass der Körper das dann "ausbaden" muss. Wir haben das so oft gesehen, wie schwere Verletzungen entstanden sind. Nach der WM 2006 gab es 16 schwere Verletzungen, oder erinnern wir uns an den Achillessehnenriss von David Beckham. Diese Jungs haben brutalen Druck und gerade im Erfolg werden oft die entscheidenden Fehler gemacht.
Wie meinen Sie das?
Fischer: Wenn es gut für einen Sportler läuft, sagt ihm sein Umfeld schon mal, dass er doch jetzt nicht mehr so viel an sich arbeiten müsse - vor allem nicht außerhalb des Platzes. Es läuft doch. Das ist einer der schlimmsten Irrglauben. Gerade im Erfolg muss ich alles dafür tun, um in eine Konsolidierungsphase überzugehen und diese zu meistern. Aber den wenigsten gelingt das, weil sie einfach auch gar nicht darauf vorbereitet werden.
Rene Adler schreibt auch, dass er ab und zu einen Tritt in den Allerwertesten gebraucht hat.
Fischer: (lacht) Das war so, ja. Aber das ist ganz normal. Manchmal brauchst du einen Schubser, um Dinge umzusetzen. Die Zusammenarbeit mit Rene war und ist toll, weil er schon immer ein Fußballer war, der vom Fußball-Business, in dem die Spieler zu Bequemlichkeit erzogen werden, komplett unterfordert war. Solche Typen brauchen ständig Input, aber stattdessen haben viele Vereine Angst, dass Spieler abgelenkt werden könnten und wollen, dass sie sich nur auf Fußball konzentrieren. So funktioniert es aber nicht.
Die Arbeit mit Torhütern scheint es Ihnen irgendwie besonders angetan zu haben.
Fischer: Ich weiß auch nicht, ich scheine sie irgendwie anzuziehen. (lacht) Momentan arbeite ich mit Gregor Kobel zusammen und genieße das sehr. Es ist eine sehr befruchtende Partnerschaft. Gregor ist ein unglaublich intelligenter und hochsensibler Mensch. Sensibel ist auch so ein Wort, das gerade im Fußball sofort negativ bewertet wird, aber alle Weltklassesportler sind hochsensibel - sonst wären sie nicht Weltklasse. Gregor hat einen extremen Drang und Wunsch nach Weiterentwicklung. Er ist total offen für Neues und lässt sich darauf ein. Er steht ja immer noch am Anfang seiner Karriere, aber seine Entwicklung ist wirklich beeindruckend. Er geht seinen Weg Schritt für Schritt, auch was den Umgang mit den Medien angeht. Er hält sich da noch zurück, wenn er etwas macht, hat es dann aber Hand und Fuß.
Das Thema Umgang mit der Öffentlichkeit ist auch ein großes, was Karrieren killen kann. Thomas Strunz erzählt im Buch, dass Sie ihn wieder neu zusammenbauen mussten, als er am Boden lag. Was war der Hintergrund?
Fischer: Thomas ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Thema Öffentlichkeit unterschätzt wird. Er war nicht darauf vorbereitet, als Fußballer so im Rampenlicht zu stehen und hat einen hohen Preis dafür bezahlt - zum Beispiel durch schwere Verletzungen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Fußballer während ihrer Karriere die ganze Zeit eine Rolle spielen. Sie müssen eine Rolle spielen. Welcher Spieler stellt sich denn vor eine Kamera und sagt: Mein Mitspieler ist so schlecht und der Trainer ist übrigens auch eine Pfeife. Das macht ja keiner.
Sie schreiben von den fünf Bs einer Karriere. Worum geht es da?
Fischer: Man kann an den Reaktionen von außen die verschiedenen Etappen einer Karriere erkennen. Zuerst wirst du belächelt. Wie bitte? Du willst Profisportler werden? Na dann viel Glück. Wenn du das dann schaffst, wirst du bekämpft. Dann hast du Konkurrenten. In jedem Fußballteam will einer deinen Platz. Er will dich verdrängen. Wenn du da durchkommst, wirst du beneidet. Zwischen Stufe zwei und drei bleiben die meisten hängen. Sie werden abwechselnd bekämpft und beneidet, bekommen Druck von oben und unten gleichzeitig, schaffen es aber nicht weiter. Viele halten das auch nicht aus. Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Die vierte Stufe wäre dann, respektiert und vielleicht auch bewundert zu werden. Dann hast du am Ende die Chance, zu bewegen und zu bestimmen. Das kommt nicht mehr von außen, sondern aus dir selbst. Das ist die absolute Weltklasse. Das sind so Menschen wie Ronaldo oder Elon Musk. Jeder Satz von ihnen kann ein Erdbeben auslösen.
Ein Bild, das Sie im Buch malen, ist der Karrierebahnhof. Warum ist er so wichtig?
Fischer: Ich arbeite sehr gerne mit sprachlichen Bildern. Der Karrierebahnhof, den man auch als Lebensbahnhof bezeichnen könnte, ist dafür sehr gut geeignet. Das Wichtigste ist dabei die Erkenntnis, dass wir immer und überall eine Wahl haben im Leben. Gerade im Sport höre ich es oft, dass geglaubt wird, man hätte keine Wahl. Das stimmt nicht. Wir haben immer die Wahl, in welchen Zug wir einsteigen. Immer wieder stehen wir an Bahnhöfen, es kommen die unterschiedlichsten Züge vorbei und wir entscheiden, in welchen wir einsteigen. Vielleicht lassen wir auch mal einen Zug vorbeifahren, oder wir müssen mit einem Zug eine Strecke zurück fahren, weil wir feststellen, in den falschen Zug eingestiegen zu sein. Viele Sportler, das gilt aber auch für uns alle, steigen irgendwann in den Zug ein, auf dem "Zweifel" steht. Immer wieder in einer Karriere. Im besten Fall schaffen wir es, irgendwann diesen Zug vorbeiziehen zu lassen und lieber in den Zug "Vertrauen" einzusteigen.
Das Kapitel mit dem Karrierebahnhof hat oben drüber einen Spruch von Hansi Flick. "Der Erfolg ist kein Besitz, er ist nur gemietet, und die Miete wird jeden Tag fällig." Warum haben Sie das Zitat ins Buch genommen?
Fischer: Ich finde diesen Spruch sensationell und würde nur zu gerne wissen, wo er ihn herhat. Er ist unglaublich treffend. Er beschreibt genau das, worüber wir vorhin schon gesprochen haben. Im Erfolg werden die schlimmsten Fehler gemacht. Wenn ein 18-Jähriger zwei Tore gegen Bayern macht, ist er danach oftmals erst mal ein anderer Mensch. Wie soll so jemand damit klarkommen? Das ist brandgefährlich. Wie viele Sportler spielen eine unfassbar starke Saison und sind in der nächsten plötzlich weg vom Fenster. Entweder sie können es nicht bestätigen oder sie verletzten sich. Du hast diese Angst, dass ich das, was ich erreicht habe, wieder verliere. Und dann entsteht durch Erfolg natürlich auch Gier. Wenn ich ein Unterbewusstsein von 2000 Euro habe, dann aber 200.000 Euro im Monat verdiene, ist das ein Problem. Gier frisst Hirn auf. Und diese Gier spielt dann mit der Angst Ping-Pong. Es gibt so viele Speichen im Erfolgsrad, wenn eine davon mal angeknackst ist, geht es noch, aber spätestens bei der dritten eiert das Rad und irgendwann bricht es dann zusammen.
spoxFischer: "Viele Spieler sind freiwillige oder gemachte Opfer"
Sie haben insgesamt 12 Speichen des Erfolgsrades definiert. Eine davon heißt: Vorgesetzte und Trainer.
Fischer: Und ich sage provokant: Viele Spieler sind freiwillige oder gemachte Opfer. Das hört sich hart an, aber manchmal muss man es hart ausdrücken, um einen Prozess des Nachdenkens anzuregen. Wenn ich auf der Bank sitze und nicht spiele, ist doch völlig klar, wer der Schuldige ist: der Trainer. Und die Spieler bekommen das ja auch aus ihrem Umfeld suggeriert. Der Trainer ist blöd, der Verein ist schlecht, an dir liegt es sicher nicht. Es liegt an jedem Einzelnen, aus dieser Opferrolle herauszukommen. Es liegt aber auch an den Chefs, oder im Fußball den Trainern, offen und ehrlich zu kommunizieren. Trainer können Karrierekiller sein. Hansi Flick ist das Paradebeispiel für einen Karriereförderer. Deshalb ist er auch so erfolgreich. Er nimmt die Spieler mit und jeder weiß immer, wo er bei ihm steht. Ich hatte einmal ein paar Spieler bei mir, die unter Jose Mourinho bei Inter gespielt haben. Diese Spieler wären für Mourinho durchs Feuer gegangen - sogar die Ersatzspieler! Das ist die große Kunst eines Trainers.
Eine weitere Speiche sind Kollegen und Mitspieler.
Fischer: Rein statistisch betrachtet ist es so: Wenn du in einen Raum, oder sagen wir in eine Kabine kommst als Spieler, in der zehn Menschen sitzen, dann werden dich immer zwei super finden, egal was du sagst oder tust. Zwei werden dich ablehnen, den anderen sechs bist du egal. Das zeigt schon, welche Kunst es auch ist, einen Kader zusammenzustellen, der eine gute Mischung hat aus verschiedenen Persönlichkeiten. Einer der größten Fehler im Fußball ist es, wenn ein Trainer den Kapitän bestimmt oder generell künstlich eine Hierarchie aufbauen will. Eine Hierarchie kannst du nicht vorgeben. Wenn du in eine Kabine reinkommst, wirst du immer eine natürliche Hierarchie spüren. Und wenn du das nicht spürst, dann weißt du eh sofort, dass du falsch eingekauft hast. Das war von außen betrachtet ja übrigens auch eine große Stärke von Hansi Flick, das zu erkennen und diese Hierarchie einfach Eins-zu-eins auf den Platz zu bringen.
Abschließend: Ihr Buch soll Wege aufzeigen, um Karrierekiller zu vermeiden. Was ist das Wichtigste, was jeder Sportler bzw. jeder von uns beherzigen sollte?
Fischer: Der Mensch ist leider von Natur aus sehr träge. Wir reagieren nur auf Schmerz oder durch Selbstreflexion - die aber auch meistens schmerzhaft ist. Ich würde mir einfach wünschen, dass das Thema Weiterentwicklung für jeden Einzelnen einen immer höheren Stellenwert bekommt. Wir sind alle bisweilen betriebsblind und brauchen Menschen, die uns Feedback geben. Im Sport kommt das leider immer noch oftmals so rüber, als ob jemand einen an der Murmel hat. Oder mental schwach ist. Das ist aber Quatsch. Es geht um Persönlichkeitsentwicklung. Für den 100-Millionen-Stürmer genauso wie für Sie oder mich. Wir müssen dahin kommen, dass das für jeden ein ganz normales Thema wird.