Warum Union Berlin ein Titelkandidat ist - und das auch bleiben wird

Von Stefan Rommel
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Union Berlin verteidigt nun schon seit Wochen Platz eins und die Liga fragt sich: Geht das denn immer so weiter? Über einen Höhenflug, der mehr als nur ein Höhenflug ist und der neben ein paar Risiken auch große Chancen für die Berliner bietet.

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Bisher ist es zwar nur ein Trend, aber immerhin: Seit dem sechsten Spieltag thront Union Berlin an der Tabellenspitze der Liga und keinem der arrivierten Klubs ist es gelungen, den Berlinern seitdem auch nur annähernd auf die Pelle zu rücken. Die Bayern sind mittlerweile Verfolger Nummer eins, vier Punkte Rückstand sind aber schon eine durchaus stattliche Marke, welche die Münchener - die selbst in Berlin über ein Remis nicht hinaus gekommen sind - erstmal aufholen müssen bis zur WM-Pause in ein paar Wochen.

Nach einem knappen Drittel der Saison ist Union Berlin jedenfalls kein zufälliger Spitzenreiter mehr, sondern ein ernstzunehmender Wettbewerber im Kampf um die Champions-League-Plätze - oder vielleicht sogar mehr? "Wahnsinn, Wahnsinn. Was soll ich sonst sagen", fasste Trainer Urs Fischer die Gemütslage nach dem souveränen Sieg gegen Borussia Dortmund zusammen.

Und tatsächlich ist das schon ein kleiner Wahnsinn, was beim FC Union so alles passiert. Nicht erst seit dieser Saison, aber die letzten Wochen verstärken und festigen den verdacht, dass da ein Klub nicht nur gekommen ist, um zu bleiben - sondern den Altvorderen und Möchtegerns der Liga aufzeigt, wie man auch mit überschaubaren Mitteln, dafür aber klar definierten Leitlinien auf allen Ebenen erfolgreich sein kann.

Union Berlin konterkariert einige Regeln des Spiels

Der sportliche Erfolg der Berliner hat eine rasante Entwicklung genommen in den letzten vier Jahren. Sie war so schnell, dass im Umfeld des Klubs längst nicht alle Bereiche mithalten konnten, wie man unlängst im Zuge des Besuchs von Ungarns Staatschef Viktor Orban und der völlig missglückten Kommunikation des Klubs erneut erleben konnte. Im sportlichen Bereich aber könnte Unions Arbeit nicht besser sein.

Urs Fischer und seine Mannschaft sind der Gegenbeweis zu einigen gelernten Gesetzmäßigkeiten des Fußballs. Etwa zur Annahme, dass sich die Aussicht auf Siege erhöht mit der Zahl an erarbeiteten Torchancen. Oder dass eine Mannschaft in allen vier - inklusive der Standards fünf - Spielphasen herausragend arbeiten muss, um dauerhaften Erfolg sicherzustellen.

Der Architekt des Erfolges: Union-Trainer Urs Fischer.
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Der Architekt des Erfolges: Union-Trainer Urs Fischer.

Weder das eine noch das andere ist bei Union der Fall, wobei sich beide Faktoren einander bedingen. Die Berliner gehören im eigenen Ballbesitz allenfalls zur Mittelklasse der Liga, haben durchaus Probleme mit einem druckvollen Positionsspiel und fallen in dieser Disziplin im Vergleich zu den anderen Teilbereichen deutlich ab. Kaschiert wird dies aber durch die nicht nur auf dem Papier beste Defensive der Liga und einem herausragenden Verhalten in den defensiven wie offensiven Umschaltphasen, wenn der Ball den Besitzer wechselt.

Union Berlin: Herausragende Defensivarbeit und schlaue Fouls

Sechs Gegentore hat Union erst kassiert, die mit Abstand wenigsten der Liga. Nur die Bayern (acht Gegentore) können da noch einigermaßen mithalten. Hinter dieser bloßen Zahl verbirgt sich eine nahezu perfekt funktionierende Defensivarbeit mit ebenso einfachen wie klaren Verhaltensmustern: Union steht in der Regel eher tiefer als andere Mannschaften, verschiebt aber absolut präzise durch und rückt dabei nach, es entstehen kaum Lücken im dichten Verbund, weil sich teilweise gleich mehrere Deckungsschatten überlagern und dem Gegner neben dem sehr direkten Anlaufen auf den Ball auch fast alle Passoptionen ins Zentrum und in die Halbräume genommen werden.

Fischer hat das über die Jahre herausragend orchestriert und so einfach wie möglich gehalten, dass auch neu dazu gekommene Spieler sofort und ohne Anlaufschwierigkeiten Fuß fassen können. Dazu kommt das Verhalten nach Ballverlusten, wenn es die Berliner stets schaffen, den Raum für den Gegner auf zwei Arten unbrauchbar zu machen: Entweder entsteht sofort so viel Balldruck, dass ein sauberes Herauslösen nicht machbar ist und der Gegner den Ball schnell wieder verliert oder wenigstens unsauber spielt. Oder aber Union begeht ein handelsübliches Foul und unterbindet so den Angriff und damit die Umschaltchance für den Gegner.

142 Fouls am Gegner sind der absolute Topwert der Liga. Daneben stehen aber erst 14 Gelbe Karten und kein einziger Platzverweis. Union begeht ähnlich wie Mainz oder Freiburg "schlaue" Fouls, die zwar das Spiel unterbinden, aber nicht zu persönlichen Strafen führen. Und Undiszipliniertheiten gibt es auch hier so gut wie nie zu sehen.

Das ist alles so berechen- wie vorhersehbar. Und trotzdem haben alle Gegner teilweise massive Probleme mit der Art des Berliner Fußballs. Das sei es, "was eine Spitzenmannschaft ausmacht: Jeder weiß, wie sie spielen. Aber keiner kann es verhindern" sagte Dortmunds Trainer Edin Terzic am Sonntag nach dem Spiel über den Gegner und fällte damit indirekt auch ein Urteil über seine eigene Mannschaft. Da hat es den Anschein, als wüsste nicht jeder, was er wann spielen soll.

Union Berlin: Statistiken nach dem 10. Spieltag

StatistikWertBuli-Platzierung
Tore185
Torschüsse12014
Passquote (Prozent)76,314
Ballbesitz (Prozent)4317
Gewonnene Zweikämpfe97710
Fouls am Gegner1421
Laufdistanz (km)1192,81
Sprints206517
Intensive Läufe71223

Union Berlin: Nach Führung nicht mehr zu bezwingen

Der zweite große Pluspunkt neben der famosen Defensivarbeit bei Union ist die unglaubliche und mittlerweile auch kaum mehr erklärbare Effizienz vor dem gegnerischen Tor - und das Spielglück, das Union schon die gesamte Saison buchstäblich verfolgt. 52 kreierte Großchancen sind ein Mittelwert in der Bundesliga, daraus dann aber 18 Tore zu erzielen und statistisch jede dritte dieser Chancen auch zu nutzen, ist enorm.

Dazu kommen vom Schicksal geküsste Momente wie Gregor Kobels Ausrutscher, die eine ganze Partie auf Unions Seite kippen lassen - nach nur acht Spielminuten. Oder der geschenkte Eckball im vorletzten Spiel gegen Stuttgart: Union zeigte als Tabellenführer beim Vorletzten 80 Minuten lang keinerlei Bestrebungen, ein Tor erzielen zu wollen. Und traf dann mit dem ersten vernünftigen Torschuss. Wie auch schon in den Spielen gegen Leipzig, auf Schalke, gegen die Bayern - und nun eben gegen Dortmund.

Da ist also eine Menge Spielglück dabei, das sich irgendwann auch wieder abwenden wird. Aber aktuell ist es eben der perfekte Komplize für Unions Plan, aus einer tiefen Position heraus das eigene Tor zu verteidigen und mit Umschaltmomenten in der Offensive zum Erfolg zu kommen. Und dafür im besten Fall das erste Tor einer Partie zu erzielen. Schafften die Berliner das, waren sie seit nunmehr sagenhaften 44 Bundesligaspielen nicht zu bezwingen.

Union Berlin: Es gibt Risiken - und eine ganz große Chance

Was wiederum für Unions Stärke spricht - aber kein besonders gutes Licht wirft auf den Rest der Liga. Dem Berliner Fußball mag nicht so leicht beizukommen sein. Dass andere Klubs mit ganz anderen (finanziellen) Mitteln aber nicht in der Lage sind, Union Berlin auch nur annähernd gefährlich zu werden, ist keine gute Nachricht.

Union dampft die Erwartungen an ein Fußballspiel meist auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunter, und das ist das Ergebnis. Das ist nicht verwerflich, aber für den neutralen Beobachter auch alles andere als unterhaltsam. Und die Gefahr besteht durchaus, dass der totale Fokus auf stringentes Verteidigen und schnelles Umschalten in die Offensive ohne das dafür auch notwendige Spielglück früher oder später etwas verwässert.

An der grundsätzlichen Chance, die sich Union in dieser Saison mit den schwächelnden oder kriselnden Großklubs aus München, Leipzig, Dortmund oder Leverkusen ergibt, ändert sich aber nichts. Die Konstellation mit der Weltmeisterschaft mitten in der Saison dürfte eher diesen Mannschaften zusetzen - schließlich entsenden sie ein Gros ihrer Spieler zum Turnier.

Union dagegen kann sich das Treiben in Katar ganz entspannt anschauen und bekommt gut zwei Monate Pause, um die Akkus wieder vollständig aufzuladen. Die Dreifachbelastung jedenfalls hat bisher schon kaum zu Leistungsdellen geführt, mit acht Wochen Pause für den breit aufgestellten Kader könnten die Voraussetzungen auch für eine erfolgreiche zweite Saisonhälfte besser kaum sein.

Und aus dem Trend vielleicht tatsächlich irgendwann Gewissheit werden: Union Berlin spielt bis zum Ende um die vordersten vier Plätze mit.

Union Berlin: Das Restprogramm bis zur Winterpause

DatumGegnerWettbewerb
19. Oktober1. FC Heidenheim (H)DFB-Pokal
23. OktoberVfL Bochum (A)Bundesliga
27. OktoberSporting Braga (H)Europa League
30. OktoberBor. Mönchengladbach (H)Bundesliga
3. NovemberUnion Saint-Gilloise (A)Europa League
6. NovemberBayer Leverkusen (A)Bundesliga
9. NovemberFC Augsburg (H)Bundesliga
13. NovemberSC Freiburg (A)Bundesliga
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