Kommentar zum VfB Stuttgart und Bruno Labbadia: Aus der Vergangenheit nichts gelernt

Von Justin Kraft
labbadia-1-1200
© imago images

Vor etwas mehr als zwei Jahren herrschte rund um einen modern aufgestellten VfB Stuttgart große Aufbruchstimmung. Im Dezember 2022 stehen die Schwaben vor einem Trümmerhaufen, den mit Bruno Labbadia nun ausgerechnet ein Symptom vergangener Probleme beseitigen soll. Ein Kommentar.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Der VfB wirkte modern, zukunftsorientiert und schien aus seinen Fehlern in der Vergangenheit gelernt zu haben. Das war 2020, als nach dem Bundesliga-Aufstieg in Stuttgart eine Aufbruchstimmung zu spüren war. Mit Pellegrino Matarazzo stand ein neues Gesicht an der Seitenlinie. Ein unbeschriebenes Blatt mit modernen taktischen Ideen und einer sympathischen Ausstrahlung.

Auch neben dem Platz stellte sich der Klub klug auf. Thomas Hitzlsperger schien als Vorstandsvorsitzender nicht nur jemand mit Identifikation, sondern auch mit Kompetenz zu sein. Sven Mislintat ergänzte ein in der Öffentlichkeit stehendes Trio, das an einem Strang zu ziehen schien.

Der VfB hatte wieder sportlichen Erfolg. Auch weil erstmals seit langer Zeit ein klares sportliches Konzept erkennbar war. Stuttgart kaufte klug ein. Junge Spieler kamen, die nicht nur talentiert waren, sondern auch einen modernen, dynamischen Spielstil verkörperten - und schließlich viel Geld einbrachten, wenn sie verkauft wurden.

VfB Stuttgart: Die Aufbruchstimmung hielt nur kurz

Belohnt wurde die gute Arbeit mit einem starken neunten Platz in der ersten Bundesliga-Saison. Dann aber fiel nach und nach alles auseinander. Hitzlsperger verkündete bereits 2021, dass er seinen Vertrag nicht verlängern werde, ging dann sogar früher. Sein Verhältnis zum Präsidenten Claus Vogt war nicht unkompliziert.

Der Aufbruch in ein modernes Zeitalter und der Aufbruch in eine Zeit, in der interne Streitigkeiten sowie individuelle Bedürfnisse der Weiterentwicklung des Klubs untergeordnet werden - alles nur eine vorübergehende Phase. Der VfB Stuttgart ist längst wieder in der Vergangenheit angekommen. Oder schlimmer: In der Realität.

Bruno Labbadia, Bundesliga, VfB Stuttgart
© getty

Auch Hitzlspergers Nachfolger Alexander Wehrle reiht sich dort perfekt ein. Der 47-Jährige kam nie auf einen Nenner mit Sportdirektor Mislintat. Kaum hat sich die Führungsetage verändert, gingen die altbekannten internen Zerwürfnisse und Machtkämpfe wieder los.

Dass Mislintat ein hervorragender Kaderplaner ist, hat er bei nahezu all seinen bisherigen Stationen unter Beweis gestellt. Offenbar waren aber weder er noch Wehrle dazu fähig, einen gemeinsamen Weg zum Wohle des Klubs zu finden. Stattdessen wurden noch mehr Personen mit Konfliktpotential dazugeholt. Philipp Lahm und Sami Khedira als Berater sowie Christian Gentner als Leiter der Lizenzspielerabteilung. All diese Rollen fielen in den Verantwortungsbereich von Mislintat, der davon laut Medienberichten nichts gewusst haben soll.

Und die Fans? Die spürten längst, dass das bekannte Schauspiel von vorne losgeht. Eine Petition für den Verbleib des Sportdirektors und viel Wut in den sozialen Netzwerken belegen den Frust derjenigen, die womöglich am meisten darunter leiden.

VfB Stuttgart: Bruno Labbadia als Symptom alter Probleme?

Nun ist Mislintat weg. Fabian Wohlgemuth beerbt ihn. Und der VfB steht abermals vor einem Trümmerhaufen. Aus der Vergangenheit hat dieser Klub nichts gelernt - obwohl es kurzfristig so aussah, als könne er ein Vorbild für andere Chaosklubs werden. Mit Bruno Labbadia kommt nun ein nächstes Relikt vergangener Tage. Einer aus dem berühmten Telefonbuch der immer wieder bemühten Feuerwehrmänner.

Einer, der Stabilität bringen soll, wie der VfB nun erklärt hat. Doch ein Trainer allein wird diesen Klub nicht stabilisieren können. Dafür sind vor allem jene zuständig, die ihre internen Machtkämpfe nun gewonnen haben. Wehrle und auch Vogt stehen jetzt massiv unter Druck.

Und Labbadia? Obwohl alles an dieser Entscheidung altbacken und rückwärtsgewandt wirkt, hat er eine Chance verdient. Er wird in Deutschland fast schon chronisch unterschätzt. Anders als andere Trainer seiner Generation hat sich der gebürtige Darmstädter in der vergangenen Dekade als jemand bewiesen, der sich weiterentwickeln und anpassen kann.

Den VfL Wolfsburg rettete er nicht nur vor dem Abstieg, sondern er führte ihn sogar im Jahr darauf nach Europa. Mit gut anzusehendem Fußball. Labbadia wird das Rad in Stuttgart nicht neu erfinden, aber wenn er Freiheiten und Rückendeckung bekommt, kann er kurzfristig durchaus erfolgreich sein.

Aber einerseits scheint Rückendeckung nicht das Ding des VfB zu sein und andererseits gilt Labbadia in Stuttgart eher als Symptom alter Probleme. So erfolgreich er zeitweise auch war: Mittel- oder langfristig kam es mit ihm häufig zu Zerwürfnissen. Eine nachhaltige Lösung war er nie.

Es ist bemerkenswert, wie nah Stuttgart dran war an einer stabilen Zukunft. Und wie schnell man wieder in alte Muster verfallen ist. Aktuell ist der VfB kein Fußballklub, sondern eine Daily Soap. Und die Aufbruchstimmung wurde zur Abrissstimmung.

Bundesliga: Die aktuelle Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München1549:133634
2.Freiburg1525:17830
3.RB Leipzig1530:21928
4.Eintracht Frankfurt1532:24827
5.Union Berlin1524:20427
6.Borussia Dortmund1525:21425
7.Wolfsburg1524:20423
8.Borussia M'gladbach1528:24422
9.Werder Bremen1525:27-221
10.Mainz 051519:24-519
11.Hoffenheim1522:22018
12.Bayer Leverkusen1525:26-118
13.Köln1521:29-817
14.Augsburg1518:26-815
15.Hertha BSC1519:22-314
16.Stuttgart1518:27-914
17.Bochum1514:36-2213
18.Schalke 041513:32-199
Artikel und Videos zum Thema