Selbststudium war nicht am Samstagabend bei Nico Schlotterbeck. Der Innenverteidiger von Borussia Dortmund hockte auch nicht zu Hause vor dem Fernseher und sah sich die 2:3-Testspielpleite der deutschen Nationalmannschaft an. Schlotterbeck saß in Reihe zwei der ausverkauften Kölner Lanxess Arena und guckte sich mit 19.000 anderen das größte MMA-Ereignis an, das es bislang in Deutschland gab.
Kampfsport also war angesagt bei Schlotterbeck und somit auch eine Gelegenheit, etwas den Kopf frei zu bekommen während der fußballfreien Zeit. Für den 23-Jährigen ist aktuell nur Training angesagt. Er ist einer von fünf Profis, die BVB-Trainer Edin Terzic in der Länderspielpause zur Verfügung stehen.
Schlotterbeck kennt diese Situation schon aus dem Vormonat und vermutlich wäre es ihm mehr als recht, wenn sie sich in vier Monaten nicht ein drittes Mal wiederholt. Dann stehen nämlich die nächsten Länderspiele an. Es wäre ein noch deutlicherer Fingerzeig als ohnehin schon, würde Julian Nagelsmann den Abwehrspieler auch dann nicht nominieren.
Nachdem der Bundestrainer im Oktober seinen ersten Kader zusammengestellt hatte und mit dem DFB-Team auf USA-Reise ging, hat er mit unmissverständlichen Worten auch über das Fehlen von Schlotterbeck gesprochen. "Bei Nico ist es so, dass er natürlich sehr talentiert ist, mit großem Hunger zu gewinnen, aber ein bisschen zu viele Fehler gemacht hat."
BVB: Nico Schlotterbeck ist Borussia Dortmund als Spieler
Nagelsmann meinte jedoch, er habe Schlotterbeck sowie dem ebenfalls nicht nominierten und aktuell verletzten Emre Can die Trainingsinhalte, die in den Staaten erarbeitet wurden, zur Verfügung gestellt. "Heißt, die können sich im Selbststudium vorbereiten", sagte Nagelsmann lapidar.
Mit Blick auf Schlotterbeck und seine bisherigen Vorstellungen in dieser Saison verläuft das Selbststudium solide, aber nicht herausragend. Schlotterbeck ist Borussia Dortmund als Spieler: Es ist die Inkonstanz und Wankelmütigkeit, teils innerhalb derselben Partie, die die Zeit des ehemaligen Freiburgers beim BVB kennzeichnen.
Schlotterbeck spielt zu oft wie der Verein, zu dem er im Sommer 2022 wechselte - fehleranfällig und unkonzentriert, dann wieder überzeugend und selbstbewusst. Bei seinen Auftritten in der Nationalelf war dagegen mehr Schatten als Licht.
BVB: Nico Schlotterbeck spielt keine schlechte Saison
Drei Elfmeter verursachte Schlotterbeck alleine in seinen ersten fünf Länderspielen. Dazu seine Patzer in den Duellen mit Japan: Beim WM-Auftakt bot er Siegtorschütze Takuma Asano nur Geleitschutz, beim 1:4 im September zeigte Schlotterbeck als Linksverteidiger eine grausame Leistung. Es ist also nicht so, dass man Nagelsmanns Begründung für Schlotterbecks Abwesenheit im DFB-Kader nicht folgen könnte.
Es ist auch nicht so, als erhielte der elfmalige Nationalspieler nicht ausreichend Spielpraxis. Im Gegenteil: Seit seinem Transfer nach Dortmund hat Schlotterbeck mehr Pflichtspiele für den BVB gemacht (55) als seine Konkurrenten Mats Hummels (53) und Niklas Süle (54). 50 davon bestritt er von Beginn an, auch das sind mehr als Hummels (45) und Süle (41).
Im Grunde spielt Schlotterbeck auch keineswegs eine schlechte Saison. Gerade in den Champions-League-Spielen überzeugte er. Zusammen mit Hummels sorgte er dafür, dass die Borussia zwischenzeitlich einigermaßen defensiv stabil stand.
BVB: Zu oft Genie und Wahnsinn bei Nico Schlotterbeck
Seine Leistungsdaten in der Liga lassen sich auch sehen: Kein Feldspieler spielt mehr lange Bälle als er (121), bei keinem kommen so viele davon auch an (81). Mit 145 spielt Schlotterbeck die fünftmeisten Pässe ins letzte Drittel, insgesamt landet er mit seiner Passquote von 89,9 Prozent auf dem 20. Platz. Er gewann bislang 60 Prozent seiner Zweikämpfe, was hinter Felix Nmecha den zweitbesten Dortmunder Wert bedeutet. Er ist mit 33,4 km/h der schnellste der BVB-Innenverteidiger, zudem spulte nur Julian Brandt mehr Kilometer ab als Schlotterbeck.
Das große Aber: Diese eigentlich positiven Eindrücke haben durch die zuletzt drei sieglosen Bundesligapartien, in denen es neun Gegentore hagelte, schweren Schaden genommen. Beim 0:4 gegen den FC Bayern hing Schlotterbeck bei drei Gegentoren tief mit drin, bei der desaströsen Vorstellung in Stuttgart erwischte er wie das gesamte Team einen rabenschwarzen Tag.
Genie und Wahnsinn liegen bei Schlotterbeck noch zu oft nah beieinander, was sicherlich auch seiner bisweilen riskanten Spielweise geschuldet ist. Da verwundert es nicht, wenn sich spektakuläre Rettungsaktionen und mutiges Vorwärtsverteidigen mit verheerenden Ballverlusten und zu leicht verlorenen Zweikämpfen abwechseln.
BVB: Nico Schlotterbeck benötigt eine Weiterentwicklung
Diesem schmalen Grat ist sich Schlotterbeck durchaus bewusst. Noch zu Freiburger Zeiten sagte er einmal: "Ich bin ein Spieler, der manchmal sehr ins Risiko geht, und dann kommen immer noch ein paar Momente dazu, in denen ich Konzentrationsprobleme habe."
Seinen Status in Dortmund hat er sich mittlerweile erarbeitet, hinter Gregor Kobel und Donyell Malen kommt Schlotterbeck beim BVB auch in dieser Spielzeit zu den meisten Einsatzminuten. Um seinem Anspruch gerecht zu werden, bedarf es nun aber einer Weiterentwicklung: Mehr Konstanz, effektivere Risikoabschätzung, weniger individuelle Aussetzer.
Nur dann hat Schlotterbeck Chancen, noch auf den EM-Zug aufzuspringen und der weiterhin irrlichternden DFB-Defensive sogar auch über den Status des Ergänzungsspielers hinaus zu helfen. Sein Trainer stärkte ihm zuletzt den Rücken: "Natürlich denken wir auch, dass Nico es verdient hat mit seiner Leistung", sagte Terzic über Schlotterbecks abermalige Nicht-Nominierung.
"Wir sind noch weit genug weg von dem großen Event im Sommer. Für alle Spieler, die jetzt nicht mitfahren dürfen, ist die Tür niemals zu", hatte Nagelsmann im Oktober gesagt. Schlotterbeck muss sein Selbststudium muss nun erst einmal fortführen. Vielleicht verhelfen ihm die nächsten Inhalte, die er von Nagelsmann nach den Partien gegen die Türkei und Österreich möglicherweise erhält, ja zu einem größeren Leistungsaufschwung.
BVB: Nico Schlotterbeck und seine Leistungsdaten seit dem Wechsel nach Dortmund
Wettbewerb | Spiele | Tore | Vorlagen |
Bundesliga | 38 | 5 | 5 |
DFB-Pokal | 5 | - | - |
Champions League | 12 | - | 1 |