Man sollte nicht davon ausgehen, dass Julian Schuster auch diesmal gebettelt hat. Über das ihm nun übertragene Amt, Nachfolger von Christian Streich als Chefcoach des SC Freiburg zu werden, wurde intern viele und lange Male besprochen und von der scheidenden Trainer-Legende mehr als gebilligt.
Vor etwas mehr als 19 Jahren war das noch anders. Schuster war 19 und stieg ein paar Monate zuvor mit dem FV Löchgau von der Kreis- in die Bezirksliga auf. Er hatte eine abgeschlossene Ausbildung zum Bankkaufmann in der Tasche und war über einen Kontakt seines Vaters Praktikant in der Marketing-Abteilung des VfB Stuttgart.
Schuster wollte aber unbedingt für den VfB auflaufen - zunächst natürlich in der zweiten Mannschaft, die damals in der drittklassigen Regionalliga unterwegs war. "Wir haben im Betriebssport gekickt, und Rainer Adrion, der damalige U23-Trainer, hat bei uns im Umkreis gewohnt", erinnerte sich Schuster vor fünf Jahren im kicker zurück. "In der Kreisliga A hatte ich zirka 40 Tore als Mittelfeldspieler geschossen, obwohl ich ein halbes Jahr verletzt war. Adrion hat einen Kumpel (Marco Pischorn, Anm.d.Red.) und mich zum Probetraining eingeladen. Danach wollte er im Winter der Saison 2004/05 erst nur ihn nehmen und meinte, ich solle die Saison in Löchgau zu Ende spielen."
Das war Schuster aber zu wenig: "Ich habe ihn angefleht und sagte, ich werde es ihm beweisen. Irgendwann hat er sich erweichen lassen. Da war ganz schön Theater und Gegenwind für Adrion. Der VfB war der renommierte Klub mit den meisten Jugendtiteln, und auf einmal kommen zwei Jungs aus der Bezirksliga."
Schuster: "Der längste verlängerte Arm eines Trainers, den ich je gesehen habe"
54 Pflichtspiele (drei Tore, eine Vorlage) absolvierte Schuster schließlich für den VfB II, nebenbei holte er das Abitur auf der Wirtschaftsoberschule nach. Dreimal durfte er für die Profis ran. Nach drei Jahren beim größten Klub seiner Heimat, Schuster wurde in Bietigheim-Bissingen im Norden der Landeshauptstadt Baden-Württembergs geboren, ging er nach Freiburg.
Dort durchlebte Schuster eine prägende Zeit mit vielen Höhen und Tiefen, für ihn persönlich wie für den Verein. 2009 und 2016 stieg er mit dem Sport-Club in die Bundesliga auf, 2015 war es in die andere Richtung gegangen. Und dies, obwohl Freiburg am 33. Spieltag noch zu Hause gegen den FC Bayern siegte. Eine anschließende 1:2-Pleite in Hannover sorgte dann doch noch für den nicht mehr für möglich gehaltenen Abstieg.
Als sich Schusters und Streichs Wege erstmals trafen, funkte es auf Anhieb. Streich übernahm die Erste zur Rückrunde 2011/12, als der SCF abgeschlagener Letzter war. Der neue Trainer machte Schuster sofort zum Kapitän und damit zum "längsten verlängerten Arm eines Trainers, den ich je gesehen habe", wie Ex-Stürmer Nils Petersen dieser Tage der dpa sagte.
Julian Schuster unter Christian Streich eineinhalb Jahre nicht in der Startelf
Schuster avancierte im Mittelfeld zu einem echten Leistungsträger, der nach der Qualifikation für die Europa League im Jahr 2013 auch Offerten von Real Betis und Werder Bremen erhielt. Er blieb Freiburg jedoch treu - bis zum heutigen Tag.
Dabei hätte es zwischenzeitlich durchaus Anlass gegeben, sich anderweitig umzuschauen. Als Freiburg unter Streich in der 2. Liga kickte, war Kapitän Schuster komplett außen vor. Lediglich achtmal wechselte ihn Streich ein, eineinhalb Jahre lang stand er nicht in der Anfangsformation.
Es war die Zeit, die Schuster als "wahnsinnig prägend" reflektierte und in der er zu schreiben begann. "Im Training, bei den Spielen und den Videoanalysen habe ich gedacht, was muss ich tun, um wieder ranzukommen? Was braucht man auf meiner Position? Was sagt der Trainer über andere? Ich habe einen Perspektivwechsel vorgenommen. Das hat mir sehr geholfen, auch jetzt, Dinge anders zu betrachten. Damals habe ich angefangen, mir Notizen zu machen", sagte er im kicker.
Julian Schuster über Christian Streich: "Momente, wo es richtig gekracht hat"
Dies war nicht das einzige Mal, dass Streich die Beziehung der beiden strapazierte. Nachdem Schuster während der Saison 2017/18 bekannt gab, seine Karriere zu beenden, verweigerte ihm der Trainer den letzten Auftritt vor heimischem Publikum. Und dies, obwohl er Schuster in den fünf Partien zuvor stets spielen ließ. Bei Schusters finalem Spiel, einem 2:0-Sieg gegen Augsburg, saßen zahlreiche seiner Familienmitglieder auf den Rängen - doch Streich brachte ihn nicht. Die eigene Hasenfüßigkeit stand ihm im Weg: Schließlich hätte der SC noch drei späte Gegentore kassieren und dadurch auf den Relegationsplatz abrutschen können.
"Von Beginn an konnten wir ehrlich und kritisch miteinander umgehen. Wir hatten Momente, wo es richtig gekracht hat. Andere waren gespannt, was am nächsten Morgen passiert. Da war aber nichts, weil wir beide nicht nachtragend sind. Wir konnten am nächsten Tag auch mal über die Auseinandersetzungen schmunzeln", sagte Schuster über Streich.
14 Jahre nach dem Bezirksligaaufstieg mit Löchgau hörte Schuster mit 33 auf. Nur zwei Tage nach dem geschafften Klassenerhalt legte er mit dem Trainerlehrgang zur A-Lizenz los - als sogenannter Freiburger Verbindungstrainer. Diese Stelle wollte der Sport-Club schon länger schaffen, Schuster füllte sie erstmals aus.
Julian Schuster: "Wenn er das Wort ergriffen hat, war Ruhe in der Kabine"
Dort half er in den vergangenen fast sechs Jahren mit, U19- und U23-Spieler den schweren Übergang vom Junioren- in den Herrenbereich zu vereinfachen. Bei beiden Schlotterbeck-Brüder Keven und Nico sowie den heutigen Stammkeeper Noah Atubolu nahm Schuster beispielsweise unter seine Fittiche.
Eine Pause einzulegen und die vielen Erlebnisse der eigenen Karriere in Ruhe sacken zu lassen, darauf verzichtete Schuster. Dies bezeichnete er im Nachhinein als "schade, zu wenig Zeit gehabt zu haben, das Vergangene zu reflektieren und einzuordnen", kündigte aber an: "Irgendwann werde ich eine Auszeit nachholen."
Die muss er nun weiter verschieben, denn Pause und Ruhe wird es für ihn vor seinem offiziellen Amtsantritt als Streich-Nachfolger am 1. Juli nicht geben. Dass Schuster zuvor noch nie als allein verantwortlicher Cheftrainer eine Mannschaft anleitete und die Bundesliga in dieser Funktion somit komplettes Neuland für ihn ist, könnte nicht typischer für den bemerkenswerten Freiburger Weg sein.
Dem doppelten Novizen Schuster den Zuschlag zu erteilen, ist eine beachtliche Entscheidung. Für Wegbegleiter aber auch eine folgerichtige. Petersen: "Für mich war sonnenklar, dass Schusti eines Tages Trainer wird und mich würde es sehr wundern, wenn diese tolle Persönlichkeit keinen Erfolg hätte. Seine Ansprachen an Spieltagen hatten immer etwas unglaublich Klares, Motivierendes und stets Sinnvolles. Wenn er das Wort ergriffen hat, war Ruhe in der Kabine."
Julian Schuster: Seine Karriere als Spieler im Überblick
Zeitraum | Verein | Spiele | Tore | Vorlagen |
2005-2008 | VfB Stuttgart II | 54 | 3 | 1 |
2007-2008 | VfB Stuttgart | 3 | - | - |
2008-2016 | SC Freiburg II | 8 | 2 | - |
2008-2018 | SC Freiburg | 242 | 21 | 32 |