Thomas Müller vom FC Bayern im Interview: "Heynckes' Vorgeschichte war ein Bonus"

Jochen Rabe
12. März 201809:57
Thomas Müller ist begeistert von der Zusammenarbeit mit Jupp Heynckes.getty
Werbung

Thomas Müller ist in Abwesenheit des verletzten Manuel Neuer Kapitän beim FC Bayern München. Im Interview spricht der Gillette Markenbotschafter darüber, wie sich das Amt auf seine Spielweise auswirkt und warum er nicht daran glaubt, dass die Bayern trotz ihres großen Vorsprungs in der Bundesliga die Spannung verlieren werden.

Darüber hinaus zieht der Weltmeister ein Zwischenfazit für den Videobeweis und erklärt, was das Besondere an der Arbeit von Jupp Heynckes ist und weshalb er sich nicht damit befasst, wer in der nächsten Saison Bayern-Trainer wird.

SPOX: Herr Müller, Sie sind zum dritten Mal das Gesicht der Gillette Uni-Liga. Was macht für Sie den Reiz des Amateursports und insbesondere des Unisports aus?

Thomas Müller: Der Fußball ist ein extremer Spaßfaktor und bringt Leute zusammen. Ich stelle mir das sehr lustig vor. Man sieht sich regelmäßig in der Uni, macht Pläne und pusht sich gegenseitig. Wenn sechs Leute in einer Mannschaft sind, bei denen zwei nicht top in Form sind, stachelt man sich auch mal an. Da heißt es dann: "Komm, macht mal ein bisschen, in zwei Wochen müsst ihr zwei Kilo weniger haben." Das finde ich witzig. Mein Bruder kickt im Amateurfußball. Wenn er nach Weihnachten Gewichtskontrolle hat, gibt es erstmal eine dicke Strafe. (lacht) Ich bin mit dieser Mentalität aufgewachsen, dass Fußball aus Spaß gespielt wird. Man spricht in Deutschland immer über Fußball und wenn man dann in so einem Wettbewerb spielen kann, ist das eine super Sache und die Mädels und Jungs haben auch richtig Spaß.

SPOX: Gibt es Aspekte, bei denen Sie gerne mit den Amateurspielern tauschen würden?

Müller: Natürlich. Der einzige Druck ist der, den man sich selbst macht. Man wird nicht nach jedem Spiel in ein Bewertungssystem einkategorisiert. Und Fußball ist im Leben ein richtiges Highlight. Unter der Woche geht man zur Arbeit, am Sonntag ist Punktspiel und danach sitzt man noch gemütlich zusammen. Diesen Rhythmus finde ich sehr sympathisch.

SPOX-Redakteur Jochen Rabe und Omnisport-Redakteur Gernot Klement trafen Thomas Müller zum Interview.gillette uni-liga

Thomas Müller über den Videobeweis

SPOX: Sehen Sie durch Entwicklungen wie der Einführung des Videoassistenten eine Gefahr, dass sich der Profi- und der Amateurfußball noch weiter voneinander entfernen könnten?

Müller: Die Unterschiede werden größer, das ist ganz klar. Den Videobeweis gibt es nur in der Bundesliga, in den unteren Ligen ist es einfach nicht möglich. Aber ich sehe das nicht so dramatisch. In dem speziellen Fall geht es einfach darum, Situationen besser bewerten zu können.

SPOX: Wie fällt denn Ihr Zwischenfazit für den Videobeweis aus?

Müller: Ich sehe ihn grundsätzlich positiv. Es werden weiterhin Meinungsverschiedenheiten auftreten und das ist für mich das Entscheidende. Stellen wir uns mal vor, jede Entscheidung wäre unstrittig, über was sollen wir dann schimpfen? Die Debatten sind immer noch vorhanden, davon lebt der Fußball meines Erachtens auch ein bisschen, aber dennoch ist der Videobeweis ein gutes Instrument für die Schiedsrichter. Vor allem in der Frage Abseits oder nicht gab es schon viele sehr gute Entscheidungsänderungen.

SPOX: Kann er auch zum Problem für die Schiedsrichter werden, da die Debatte dadurch noch hitziger geführt wird?

Müller: Das merkt man definitiv. Manche sind einfach pauschal gegen den Videobeweis, weil sie Traditionalisten sind. Es ist immer ein schmaler Grat und der Mensch beschwert sich gerne. Ich bin jedoch auf jeden Fall ein Befürworter.

FC Bayern: Die Hierarchie nach dem Karriereende von Philipp Lahm

SPOX: Vor der aktuellen Saison haben mit Philipp Lahm und Xabi Alonso zwei Spieler ihre Karriere beendet, die für die Hierarchie in der Mannschaft des FC Bayern sehr wichtig waren. Hat sich ihr Fehlen in den ersten Wochen auf die Statik des Teams ausgewirkt?

Müller: Wir hatten auf jeden Fall keinen so guten Saisonstart und auch die ganze Vorbereitung war nicht super. Ob das nun an den beiden Spielern lag, weiß ich nicht. Das geht eigentlich immer ziemlich schnell, dass man aus dem Geschehen raus ist. Wenn jemand zwei, drei Monate verletzt ist, muss auch jemand anderes in die Bresche springen. Normalerweise ist nur derjenige im Fokus, der auf dem Fußballplatz steht und spielt. Im zwischenmenschlichen Bereich hat es sich für mich aber schon bemerkbar gemacht. Philipp war eine Person, mit der ich sehr viel Zeit verbracht habe. Seit Beginn meiner Karriere habe ich mit ihm zusammengespielt und dann war er nicht mehr da. Ich konnte mich monatelang darauf vorbereiten, deswegen war es kein Schockmoment. Aber es war die ersten zwei, drei Trainingseinheiten schon komisch, das kann ich nicht abstreiten.

SPOX: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach eine klare Hierarchie für eine Mannschaft?

Müller: Jeder Spieler hat eine andere Interpretation einer Führungsrolle, sowohl auf als auch neben dem Platz. Am wichtigsten ist aber, dass der Trainer die Mannschaft führt und eine klare Linie vorgibt. Natürlich braucht jedes Team Spieler auf dem Platz, die diese Linie auch umsetzen. Wir haben sehr viele erfahrene Spieler. Da ist es nicht so entscheidend, wer die Binde trägt. Viele Spieler sind in den wichtigen Fragen involviert und bringen ihre Meinung ein. Das erleichtert es Manu und mir enorm.

SPOX: Weil Manuel Neuer bereits fast die ganze Saison verletzt ausfällt, sind Sie derzeit der erste Kapitän beim FC Bayern. Haben Sie sich durch das Amt verändert?

Müller: Nein, das glaube ich nicht. Es macht eher einen Unterschied, ob du ein junger Spieler bist, der sich nur auf sein Spiel fokussiert, oder ob du auch den Blick für das große Ganze hast. Das hat sich bei mir langfristig dahin entwickelt. In der Ära Lahm-Schweinsteiger bin ich über Jahre hinweg in diese Position hineingewachsen. Es ist auf dem Platz schon etwas anderes, wenn man sich mehr für die ganze Mannschaft verantwortlich fühlt.

SPOX: Wie äußert sich das?

Müller: Man geht speziell als Offensivspieler schneller in den Sicherheitsmodus. Wenn die Mannschaft mit einer 2:1-Führung in der 80. Minute einen Angriff fährt, sichere ich lieber ab, anstatt mit in den Strafraum zu gehen. In dieser Situation wäre ich mit 21 sicher noch in den Sechzehner gezogen und hätte vielleicht ein Tor gemacht. Dadurch komme ich mittlerweile in der Einzelbewertung manchmal nicht so gut weg. Aber es fühlt sich in der Rolle, in der jetzt bin und in der ich mich sehe, besser an. Am wichtigsten ist der Erfolg und dass die Gruppe funktioniert. Dazu will ich meinen Teil beitragen. Das ist jedoch unabhängig von der Binde so.

SPOX: Sie haben zuletzt betont, wie wichtig es für Ihre starke Form ist, dass Sie wieder klarer Stammspieler sind.

Müller: Naja, was heißt klarer Stammspieler? Das ist nicht automatisch der Fall, Stammplatzgarantien gibt es beim FC Bayern nicht. Niemand spielt unabhängig davon, was vorher war. Jeder muss seinen Platz mit Leistung bestätigen. Das gilt für mich wie für jeden anderen auch. Natürlich hat der Trainer mir Vertrauen entgegengebracht, seitdem er wieder da ist. Das tut gut und ich habe das auch ganz gut zurückgezahlt. Aber man ist immer nur so gut wie sein letztes Spiel. Im Fußball geht es sehr schnell. Gerade bei uns ist der Leistungsdruck sehr hoch. Wir haben sehr viele gute Spieler, die alle mit den Hufen scharren. Das macht es dem Trainer einerseits schwer, andererseits erleichtert es ihm auch vieles, weil er immer Qualität auf dem Platz hat.

SPOX: Im Winter haben Sie mit Sandro Wagner noch einen weiteren Qualitätsspieler dazubekommen, der aufgrund seiner Position auch Auswirkungen auf Sie hat. Wie erleben Sie ihn bislang?

Müller: Er hat sich sehr schnell bei uns eingelebt. Viele von uns kannten ihn schon aus der Nationalmannschaft oder von früher. Mats und ich haben schon in der Jugend mit ihm zusammengespielt. Er ist sehr positiv und arbeitet enorm viel. Für mich persönlich ist er auch wichtig. Natürlich kann man sagen, mir geht Spielzeit verloren, weil ich nicht mehr der Backup von Lewy bin. Andererseits ist das auch nicht meine Paradeposition. Ich komme dadurch nicht mehr in die Situation, dass meine Leistungen auf einer Position bewertet werden, auf der ich nicht meine Stärken ausspielen kann. Entsprechend bin ich bis jetzt sehr zufrieden. Wenn Sandro gespielt hat, hat er seine Leistung gebracht. Für Lewy ist es auch gut, dass er seine Ruhepausen bekommt. Und in den letzten Monaten läuft es bei uns sowieso wie geschmiert. Da kann man nicht viel kritisieren.

Thomas Müller über die Besonderheit von Jupp Heynckes

SPOX: Jupp Heynckes spielt bei der jüngsten Erfolgsserie eine wichtige Rolle. Was macht ihn so besonders?

Müller: Besonders macht ihn auf jeden Fall seine Intensität, wie er mit uns spricht, was er uns abverlangt. Er hat ein super Gefühl für Anspannung und Entspannung. Er gibt uns Freiheiten, fordert jedoch gleichzeitig auf dem Platz absolute Disziplin und Leistungsbereitschaft ein. Das macht er mit einer Vehemenz, die beeindruckend ist. In jeder Ansprache vor den Bundesligaspielen verlangt er uns etwas ab. Aufgrund des großen Vorsprungs in der Liga könnte er ja auch einfach sagen: "Jetzt schreibe ich die elf Spieler an die Tafel und dann gehen wir raus." Aber so ist es nicht. Er zieht es durch, das muss man ihm hoch anrechnen und die Mannschaft kommt damit super klar.

SPOX-Redakteur Jochen Rabe und Omnisport-Redakteur Gernot Klement trafen Thomas Müller zum Interview.gillette uni-liga

SPOX: Ist ein Grund für den Erfolg, dass er mit Teilen der Mannschaft schon Großes erreicht hat und deswegen ein Vertrauensvorschuss da war?

Müller: Das war am Anfang auf jeden Fall ein Vorteil. Er kam als Trainer im Oktober in einer Situation, in der alles ein bisschen angespannt war. Aber er kannte einige Spieler, den Verein, das Trainingsgelände und er hat zusammen mit seinem Trainerteam sofort funktioniert. Heynckes' Vorgeschichte war ein extremer Bonus.

SPOX: Wie wichtig ist es für Sie als Spieler, ab einem gewissen Punkt zu wissen, wer in der nächsten Saison Trainer sein wird?

Müller: Man wird ständig damit konfrontiert, klar. Allerdings sind wir so in unserer aktuellen Situation gefangen, dass diese Gedanken nicht aufkommen. Wenn man dann mal über den Tellerrand hinausschaut, steht ja nach der Saison auch noch eine WM an. Die neue Vereinssaison ist noch ganz weit weg. Deswegen spielt das im täglichen Geschäft für mich keine Rolle.

Die Bayern-Trainer seit Thomas Müllers Debüt

NameBeginn der AmtszeitEnde der Amtszeit
Jürgen Klinsmann01.07.200827.04.2009
Jupp Heynckes28.04.200930.06.2009
Louis van Gaal01.07.200909.04.2011
Andries Jonker10.04.201130.06.2011
Jupp Heynckes01.07.201130.06.2013
Pep Guardiola01.07.201330.06.2016
Carlo Ancelotti01.07.201628.09.2017
Willy Sagnol29.09.201705.10.2017
Jupp Heynckes06.10.2017?

SPOX: Durch Ihren deutlichen Hinspielsieg im Achtelfinale der Champions League gegen Besiktas ist das erste Pflichtspiel, in dem es wirklich um etwas geht, erst wieder in einigen Wochen. Wie schaffen Sie es dennoch, die Spannung hochzuhalten?

Müller: Einerseits ist der Konkurrenzkampf sehr förderlich. Jeder will sich zeigen, jeder muss um seinen Platz kämpfen und will sich präsentieren. Andererseits ist der Trainer wie gesagt sehr bissig. Er ist mit dem Fuß auf dem Gas und das lässt er uns auch spüren. Er ist immer auf der Hut. Wenn sich irgendwo ein Schlendrian anbahnt, erstickt er das im Keim. Deswegen läuft es bisher auch so gut.

FC Bayern vor dem Champions-League-Rückspiel gegen Besiktas

SPOX: Mit welchen Erwartungen gehen Sie trotz des hohen Sieges in München ins Rückspiel gegen Besiktas?

Müller: Wir erwarten auf jeden Fall eine beeindruckende Kulisse. Aber wir wollen zeigen, dass wir auch dort bestehen können. Wir wollen von Anfang an ein gutes Spiel machen, damit gar nicht erst die berüchtigte Stimmung aufkommt und deren Fans daran glauben, dass ein Wunder möglich ist. Das ist unser Ziel. Deswegen freuen wir uns auf das Spiel, auch wenn der Vorsprung aus dem Hinspiel natürlich groß ist.

SPOX: Welches waren in der Vergangenheit die Stadien, die Sie am meisten beeindruckt haben?

Müller: Leider war ich in Glasgow gegen Celtic nicht dabei. Von der Stimmung dort haben alle geschwärmt. Das Bernabeu in Madrid ist auch verrückt. Mitten in der Stadt steht auf einmal ein riesiges Stadion mit einem Fassungsvermögen von 80.000. Und logischerweise habe ich sehr gute Erinnerungen an Wembley. (lacht)