Als Schiedsrichter Christian Dingert aus Lebecksmühle das Bundesligaspiel zwischen dem SV Werder und dem FC Bayern nach vierminütiger Nachspielzeit beendet hatte, fiel der ganze Druck von Niko Kovac ab.
Gleich neben der Trainerbank ballte der Münchner Übungsleiter beide Fäuste. Eine Geste, die viel über die Erleichterung eines unter gewaltigem Erfolgsdruck stehenden Mannes aussagte, der in der Analyse nicht mal den leisesten Anflug eines Zweifels gestattete. "Wir haben technisch und taktisch dominiert", behauptete der 47-Jährige im fast trotzigen Tonfall. "Das war ein außergewöhnlich gutes Spiel."
Allein die Chancenverwertung habe ihm nicht gefallen.
Kovac: Lieber Golf als Bayern-Jahreshauptversammlung
Natürlich wusste der in Berlin geborene Kroate, was am Abend vorher bei der Mitgliederversammlung in München passiert war: dass der Verein im nächsten Sommer (und vielleicht schon im Winter) kräftig investieren will und dass der Trainer nach Willen der Oberhäupter Uli Hoeneß und KarlHeinz Rummenigge dann immer noch Niko Kovac heißen soll. Er habe die Veranstaltung aber nicht am Live-Ticker verfolgt, "sondern ich habe ein bisschen Golf geschaut". War wahrscheinlich entspannender.
Schon zu Frankfurter Zeiten konnte Kovac sehr geschickt seine wahre Gemütslage verstecken, in Bremen berichtete er erneut, ihm sei die interne Rückendeckung am wichtigsten. "Ich habe nicht das Gefühl, dass ich keine Unterstützung bekomme." Gleichwohl bleibt er darauf angewiesen, dass ihm die Bayern-Stars dauerhaft so folgen wie zuletzt in der Champions League gegen Benfica Lissabon (5:1) und nun in Bremen, wo der eigentlich gar nicht für die Anfangsformation vorgesehene und kurzfristig für Arjen Robben ins Team gerückte Serge Gnabry als Doppeltorschütze (20. und 50.) zum Matchwinner avancierte.
Matchwinner Gnabry hält Jubel zurück
Dass seine Mitspieler deutlich ausgelassener jubelten als er selbst, begründete der 23-Jährige mit seiner Werder-Vergangenheit: "Ich bin natürlich überglücklich über die zwei Tore und dass ich der Mannschaft helfen konnte. Ich habe aber wenig gejubelt aus Respekt, ich hatte eine super Zeit hier in Bremen."
Werder hatte seine beste Phase an diesem Dezember-Samstag vor der Pause, als Yuya Osako nach Flanke von Max Kruse das vorübergehende 1:1 köpfte (33.). Wie sich Verteidiger Jerome Boateng wegduckte und Torwart Manuel Neuer wie ein Hampelmann nach vorne sprang, hatte etwas Slapstick-artiges, doch erstaunlicherweise stellte Kovac seinen Nationalspieler Niklas Süle als Alleinschuldigen hin. "Er muss da dranbleiben, dann passiert nichts."
Kimmich erneut auf der Sechs
Grundsätzliche Debatten waren ob solcher Aussetzer diesmal überflüssig, weil die Bayern ansonsten eine wehrhafte Haltung an den Tag legten, die dem Gegner nur wenige Chancen gestattete. "Wir haben fünf Minuten, vielleicht zehn, nach dem Führungstreffer zu passiv verteidigt. Ansonsten haben alle gegen den Ball gearbeitet", lobte Kovac, der sich wie gegen Lissabon auf eine Doppel-Sechs mit den Nationalspielern Joshua Kimmich und Leon Goretzka verließ, um eine bessere Stabilität zu erzeugen. Doch noch wichtiger ist wohl, dass die verstärkten Unterredungen auch ein Umdenken in den Köpfen angeregt haben. "Man muss auch mal den Ball Richtung Eckfahne schlagen. Jeder weiß, dass das nicht unbedingt mein Spiel ist. Aber in unserer augenblicklichen Situation gehört es dazu, auch mal auf schönes Spiel zu verzichten", erklärte Thomas Müller.
Thomas Müller vermag wieder zu scherzen
"Man hat gesehen, wie wir um diesen Sieg gekämpft haben. Uns war schon nach dem Benfica-Spiel klar: Es bringt uns nichts, wenn wir nur ein Ausrufezeichen setzen und danach nicht wieder in die Erfolgsspur zurückfinden." Der 29-Jährige wirkte ausgesprochen gut gelaunt in der Mixed Zone unter der Ostkurve, aber so frank und frei, den Inhalt der internen Gespräche zu verraten, war das bayrische Unikum dann doch nicht. "Sonst könnten wir ja auch eine Pressekonferenz dazu einberufen oder eine Talkshow veranstalten, bei der wir auch Fragen aus dem Publikum zulassen."
Dass Müller aber überhaupt wieder solche Witzchen macht, spricht für eine gewisse Besserung des Betriebsklimas. Nur Kapitän Neuer wirkte unzufrieden, ließ auf dem Weg in die Kabine sogar die Macher vom Klubfernsehen stehen.
Ansonsten proklamieren die Protagonisten beim Rekordmeister den gemeinsamen Schulterschluss. Dass dieser mit einer Portion Pragmatismus versehen ist, bezeugt zumindest eine gewisse Erdung. Sportdirektor Hasan Salihamidzic glaubt an einen dauerhaften Lerneffekt, wenn er die beiden letzten Auftritte bewerten soll: "Es war eine gute Woche für uns. Wir hoffen, dass wir damit wieder einen Trend einleiten können. Man hat gesehen, dass die Mannschaft mit dem Trainer diese Woche gut harmoniert hat. Wir haben viel miteinander geredet, uns ausgesprochen - von jeder Seite kam eine Aufbruchsstimmung."
Rückkehr von Coman und Thiago rundet Tag ab
Und mit dem vor der Pause für den angeschlagenen Franck Ribery eingewechselten Kingsley Coman und den ebenfalls wieder einsatzfähigen Thiago bekomme der Kader für den Monat Dezember wieder Optionen, "die auch dem Trainer helfen". Kovac gab als nächstes Ziel aus, "alle Spiele bis zur Winterpause zu gewinnen, dafür müssen wir fleißig arbeiten, dann können wir bis Weihnachten hamstern." Hörte sich fast wie eine ganz leise Drohung an. Nach dem Motto: Jeder, der den FC Bayern zu früh abschreibt, bekommt von diesem Trainer noch zu hören.