Es ist beim FC Bayern bereits länger Usus, dass bei Abendspielen eine pathetische Szenerie geschaffen wird, sobald Stadionsprecher Stephan Lehmann die Mannschaftsaufstellung im Rund verkündet: Dunkelheit, die von roten Lichtblitzen untermalte Nennung des Spielernamens inklusive Rückennummer, Dunkelheit. So auch geschehen am Mittwoch, als der deutsche Rekordmeister im Achtelfinale des DFB-Pokals auf die TSG 1899 Hoffenheim (4:3) traf.
Da wurden die üblichen Verdächtigen ausgerufen, Manuel Neuer mit der Nummer 1, die Nummer 9, Robert Lewandowski, Thomas Müller mit der 25. Weniger alltäglich war hingegen, dass auch Corentin Tolisso wieder einmal Teil der erlesenen Startelf-Runde sein durfte. "Unsere Nummer 24 - Coco ... TOLISSO", schallte es durch die Reihen. Über vier Monate musste der Franzose darauf warten, in der heimischen Allianz Arena von Beginn an in einem Pflichtspiel auf dem Platz zu stehen.
Corentin Tolisso mit schwerem Stand unter Kovac und Flick
Dass Tolisso, der schon zu Beginn der Saison unter Trainer Niko Kovac nur bedingt eingesetzt worden war, auch seit Amtsantritt von Hansi Flick bislang kaum eine Rolle spielte, hat mehrere Gründe. Zum einen fand der 25-Jährige nach überstandenem Kreuzbandriss samt fast einem Jahr Zwangspause nur langsam wieder in die Spur. Andererseits sah Tolisso sich mit einer enormen Konkurrenz im zentralen Mittelfeld konfrontiert, eine Muskelverhärtung verhinderte zudem weitere potenzielle Einsätze vor Weihnachten.
So erschien die Begegnung mit den Kraichgauern auf den ersten Blick als willkommene Chance für Tolisso, sich nachhaltig zu empfehlen. Sichtlich gewillt, die Möglichkeit für sich zu nutzen, agierte der Weltmeister über weite Strecken extrem engagiert. Tolisso bot sich immer wieder an, ließ sich fallen, zog die viel zitierten Fäden. 87 und damit die meisten Pässe aller Akteure gingen auf sein Konto, 78 davon fanden einen Mitspieler. Zudem wartete er mit zehn Balleroberungen auf, drei klärende Aktionen (Top-Wert aufseiten der Hausherren) gingen auf Tolissos Konto, in der Zweikampfführung stand ebenfalls eine positive Bilanz zu Buche (60 Prozent).
Trotz ordentlicher Leistung: Tolissos Situation bleibt knifflig
Zahlen, die Tolisso eine ordentliche Leistung attestieren, seine knifflige Situation aber nicht kaschieren. Vor allem, weil seine Nebenbuhler, namentlich Thiago oder Joshua Kimmich, aktuell im Zentrum hervorragend als Duo funktionieren, handelte es sich bei näherer Betrachtung für Tolisso eher um eine Halbchance. Flick hat keinen Grund, großartige Änderungen vorzunehmen, sollte sich keiner der beiden verletzen. Selbst Leon Goretzka, der zwar zuletzt als Zehner bestach, aber bekanntermaßen im Stande ist, auch die Achter-Position zu bekleiden, hat aktuell die Nase vorn.
"Wissen Sie, manchmal muss man sich in solchen Zeiten ein wenig zurücknehmen und dann die richtige Einstellung zeigen, wenn man die Möglichkeit bekommt", erklärte Tolisso im November vergangenen Jahres bezüglich seines Reservistendaseins in einem Interview mit Le Parisien. Beim FCB herrsche "auf allen Positionen" großer Wettbewerb. Außerdem verriet er, dass die Knieverletzung aus dem Sommer 2018 weiterhin einen gewissen Einfluss auf seine Entwicklung nimmt.
Corentin Tolisso: Die Knieverletzung immer im Hinterkopf
"Ich frage mich selbst viele Dinge: Wird mein Knie wieder, wie es war? Werde ich wieder so gut wie vor der Verletzung?", sagte er der französischen Zeitung und schob nach, dass er die Motivation habe, "immer stärker zurückkommen" zu wollen, aber weiterhin "Zweifel existieren." Fragen, die sich in Tolissos Auftritten in der laufenden Saison häufig widerspiegelten, wirkte der ehemalige Rekordeinkauf der Bayern nachvollziehbarerweise bei weitem nicht so dynamisch und unbekümmert wie noch in seiner ersten Spielzeit an der Isar 2017/18. Gerade, weil Tolisso seine Qualitäten in der Vergangenheit unter Beweis gestellt hatte, wird seine Lage auch medial häufig aufgegriffen.
"Das sind Fragen, die muss man auch den Trainer fragen", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic jüngst im Anschluss an das Auswärtsspiel in Mainz, als er auf die Reservistenrolle Tolissos angesprochen wurde. "Ich sehe ihn nur gut trainieren, sich reinhauen. Wer letztendlich spielt, entscheidet der Trainer." Während Flick zumeist die Entscheidung trifft, nicht auf den Regisseur zu bauen, darf Tolisso sich immerhin bei einem anderen Coach über die nötige Rückendeckung freuen.
Corentin Tolisso in der Nationalmannschaft gesetzt
In der französischen Nationalmannschaft gestaltet sich seine Situation nämlich im Vergleich zum FC Bayern grundverschieden. Unter Didier Deschamps ist Tolisso trotz der fehlenden Spielzeit im Klub gesetzt und kam in den vergangenen sechs Länderspielen jeweils über die volle Distanz zum Zuge. Als "kompletten Mittelfeldspieler" adelte der Weltmeister-Trainer seinen Schützling nach dessen Rückkehr 2019. Eine Auffassung, die sich dem Betrachter zumindest teilweise erschließt und von Tolisso auch am Mittwochabend durchaus bestätigt wurde.
Dennoch blieb auch nach dem Duell mit Hoffenheim die Befürchtung, dass komplett und ordentlich in naher Zukunft nicht ausreicht, um grundlegende Änderungen herbeizurufen. Ob am kommenden Sonntag, wenn gegen RB Leipzig das nächste Abendspiel für die Münchner in der Allianz Arena ansteht, erneut die Nummer 24 samt Foto über die Leinwände flimmert, ist mindestens fraglich - obwohl Tolisso seine Halbchance genutzt hat.