Als Mitglieder der Bayern-Ultragruppierung "Schickeria" am 29. Februar 2020 beim Stand von 6:0 für den deutschen Rekordmeister zwei Plakate entrollten, auf denen TSG-Mäzen Hopp als "Hurensohn" beschimpft wurde, führte dies zu Bildern, die es davor in der Bundesliga noch nicht gegeben hatte.
Ein aufgebrachter Bayern-Sportvorstand Hasan Salihamidzic rannte wütend und wild gestikulierend in die Fan-Kurve der Münchner, gleiches tat Trainer Hansi Flick. Schiedsrichter Christian Dingert unterbrach die Partie, führte den eigentlich für Fälle von Rassismus und Diskriminierung vorgesehenen Dreistufenplan aus, die Spieler verließen den Platz und gingen in die Katakomben.
Später standen Hopp und FCB-Boss Karl-Heinz Rummenigge Arm in Arm auf dem Rasen im Regen von Sinsheim, was von der Sport Bild als "Geste des Jahres" ausgezeichnet wurde. Die beiden Mannschaften schoben sich 13 Minuten lang den Ball hin und her, bis das Spiel abgepfiffen wurde.
Anschließend sprach Rummenigge von einem "schwarzen Tag", an dem sich das "hässliche Gesicht des Fußballs" durch die Anhänger des FC Bayern gezeigt habe, weil diese "dem ganz feinen Ehrenmann" Hopp abermals Beleidigungen und Schmähungen entgegengeschleudert hatten. DFB-Präsident Fritz Keller erklärte die Ereignisse des 29. Februar im ZDF zu einem "Tiefpunkt" für den deutschen Fußball.
FC Bayern informierte Hoffenheim und Hopp über Ultra-Pläne
Das ZDF hat sich mit den Autoren Jochen Breyer und Jürn Kruse in der am Samstag ausgestrahlten Dokumentation "Der Prozess. Wie Dietmar Hopp zur Hassfigur der Ultras wurde" (hier geht's zur Mediathek) der Frage gewidmet, wie spontan jene Empörungswelle und die Reaktionen der Verantwortlichen damals wirklich gewesen sind. Im Laufe der Dokumentation wird der Verdacht nahegelegt, dass ein Großteil einer Inszenierung glich.
Zu diesem Schluss kommt zumindest einer der Gesprächspartner, Jan-Henrik Gruszecki, ehemaliger BVB-Ultra und mittlerweile Berater von Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke: "Ich glaube, das war ein Schauspiel, eine Inszenierung", sagt Gruszecki. Warum er diese Meinung vertritt, wird ebenfalls im Laufe des Films deutlich.
Denn Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß, der neben Anwalt Christoph Schickhardt für die Hopp-Seite spricht, verrät, dass alle Parteien bereits zwei Tage zuvor von der Aktion der Bayern-Fans Bescheid wussten. Auf einer Feier im Münchner Löwenbräukeller anlässlich des 120-jährigen Klubjubiläums habe er "etwas läuten" gehört und den Ultras gesagt, "dass ich das überhaupt nicht akzeptieren kann".
Anschließend informierte der FCB Gegner Hoffenheim und damit auch Hopp über die geplante Aktion. Hoeneß spricht vom "direkten Kontakt" zwischen den Klubs in dieser Sache. Zudem ist nach Angaben des ZDF auch der DFB informiert gewesen, der seine Schiedsrichter gewarnt habe. Auch Aussagen von Sky-Kommentator Kai Dittmann, der das Geschehen überaus empört live am Mikrofon begleitet hatte, deuten daraufhin, dass man vor dem Spiel bereits Vorkehrungen für etwaige Ausfälle der Fans getroffen hatte.
So seien Dittmann beim üblichen Check-up bei den Klubs vor der Partie in aller Ausführlichkeit die Wohltaten von Hopp als Spender und Förderer aufgelistet worden. Eine versuchte Einflussnahme? "Ja, definitiv", sagt Dittmann dem ZDF.
DFB-Vizepräsident Koch wollte "die Ultra-Szene zerschlagen"
Jener Tag in Sinsheim war der Höhepunkt in einem seit 2008 schwelenden Konflikt zwischen Ultras und Hopp, der für die Fans seit dem Bundesligaaufstieg der Kraichgauer 2008 das Sinnbild der Kommerzialisierung im Fußball ist. Der Vorwurf: Hopp habe sich mit Hoffenheim einen Platz in der Bundesliga gekauft.
Im Gespräch mit dem ZDF sagte Hoeneß über die Schmähungen gegen Hopp: "Ihr macht euch das zu einfach. Ihr versucht immer, beide Seiten zu verstehen. Aber hier gibt es nichts zu verstehen. Weil der Dietmar Hopp hat gar nichts gemacht und er wird attackiert für Dinge, die total okay sind. Und ihr müsst meiner Meinung nach klarmachen, wer die Schuldigen sind und wer das Opfer ist. Und hier gibts nur ein Opfer und eine Gruppe Schuldiger. Und sonst nichts."
Der Konflikt wurde im Laufe der Jahre leiser, erhielt mit der Diskussion um die vom DFB unter dem damaligen Präsidenten Reinhard Grindel versprochene Abschaffung der Kollektivstrafen für Fans aber eine neue Dimension. Nachdem BVB-Fans Hopp im Dezember 2019 erneut geschmäht hatten, legte der DFB fest, dass Dortmund-Fans drei Jahre lang nicht zu Auswärtsspielen in Hoffenheim fahren dürfen.
Eine Strafe, offenbar ganz im Sinne von DFB-Vizepräsident Rainer Koch, der anders als Grindel für die "Rule of Law" gewesen sei und nach Angaben des ebenfalls in der Dokumentation zu Wort kommenden Grindel sogar vorgeschlagen habe, verdeckte Ermittler von Sicherheitsfirmen in Fanblöcke einzuschleusen und so "die Ultra-Szene zu zerschlagen". Koch leugnet dies, Grindel spricht aber davon, dass das Verhältnis zu seinem damaligen Stellvertreter durch die Frage nach dem Umgang mit den Ultras "fast zerstört" worden sei.
ZDF erhält keine Drehgenehmigung für TSG-Stadion
Neben Koch, Grindel, Hoeneß, Hopp-Anwalt Schickhardt, der Hopp im Film "einen Mann des Volkes, den letzten richtigen Fußballfan" nennt, und BVB-Berater Gruszecki kommen auch Vertreter der Münchner Schickeria zu Wort, während Hopp selbst nicht mit dem ZDF spricht. Auch eine Drehgenehmigung für das Stadion in Sinsheim erhielt der Sender nicht.