Thomas Müller (32) ist beim FC Bayern München aktuell wohl wichtig wie noch nie. Das hat mehrere Gründe.
Es ist gar nicht allzu lange her, als der FC Bayern München unter einem sogenannten Luxusproblem litt: Trainer Julian Nagelsmann verfügte über mehr Offensivspieler mit akuten Einsatzambitionen als Plätze auf dem Platz.
Leroy Sane befand sich seit den sommerlichen Pfiffen in Topform, Kingsley Coman seit seinem Comeback nach überstandener Herzoperation, Thomas Müller seit dem Abschied von Niko Kovac und Robert Lewandowski seit seiner Geburt. Serge Gnabry kam unterdessen immer besser in die Saison, Jamal Musiala drängte genau darauf und dann kehrte auch noch Eric Maxim Choupo-Moting von seiner Muskelverletzung zurück.
Was nun? Nagelsmann musste gar nichts weiter machen, Corona löste das Luxusproblem für ihn. Vor dem letztlich eher irrelevanten Champions-League-Auswärtsspiel bei Dynamo Kiew am Dienstag (18.45 Uhr im LIVETICKER) stehen Nagelsmann von diesen sieben Kandidaten nur mehr drei bis vier zur Verfügung. Während der angeschlagene Coman fraglich ist, fehlen die mutmaßlich ungeimpften Gnabry, Musiala und Choupo-Moting wegen ihrer Quarantänen sicher. Und so wie sich die Corona-Lage in Deutschland aktuell darstellt, könnte sich das in den kommenden Wochen durchaus wiederholen.
Wirklich planen kann Nagelsmann mit diesem Trio bis auf weiteres (oder Änderung ihres Impfstatus) nicht mehr. Umso mehr kommt es nun auf die vier verbliebenen Offensivspieler an. Für Müller ändert sich dadurch nichts, genau wie Lewandowski spielt er unter Nagelsmann sowieso immer. Der 32-jährige Zehner kam in der laufenden Saison in jedem Spiel zum Einsatz, in der Startelf fehlte er lediglich einmal aus Gründen der Belastungssteuerung.
Dass Müller so wichtig wie nie sei, hieß es im Laufe seiner rund 13 Jahre bei den Profis des FC Bayern bekanntlich schon oft. So zutreffend wie aktuell war diese Ansicht aber womöglich tatsächlich noch nie und das hat gleich mehrere Gründe: Müller überzeugt nicht nur sportlich, er regelt auch die Öffentlichkeitsarbeit und ist als Kommunikator innerhalb der Mannschaft besonders gefragt.
Thomas Müller bezeichnet sich als "Impf-Freund"
Als Joshua Kimmich Ende Oktober seine fehlende Corona-Impfung bekundete, bezog Müller als erster Spieler öffentlich klar Stellung. Er selbst sei ein "Impf-Freund", betonte er, und hoffe, "dass sich die Spieler, die jetzt noch nicht geimpft sind, das noch anders überlegen". Man wolle schließlich "aus dieser Corona-Phase rauskommen. Von meinem Wissensstand her ist die Impfung dafür die beste Möglichkeit."
Abgesehen von Müller äußerten sich zu diesem Thema aus der Mannschaft bisher lediglich Kapitän Manuel Neuer und bei der Pressekonferenz am Montag Leroy Sane, wenn auch weniger deutlich. Müllers ohnehin hohe Wichtigkeit für die Öffentlichkeitsarbeit des FC Bayern nahm zuletzt nochmal zu, weil diesbezüglich ebenfalls engagierte Kollegen wegbrachen. David Alaba verließ den Klub im Sommer, Kimmich nahm sich seit dem Aufkommen der Impf-Thematik zurück.
Neben Neuer ist Müller in unangenehmen Situationen derzeit der einzige verlässliche Ansprechpartner. Wirkt sein zweifelsohne großes Mitteilungsbedürfnis gelegentlich übertrieben, tut es dem Klub aktuell gut.
Thomas Müller stellt sich in unangenehmen Situationen
Vier Tage nach der Kimmich-Enthüllung erschütterte den FC Bayern das 0:5-Debakel im DFB-Pokal bei Borussia Mönchengladbach. Anschließend war es wieder Müller, der sich stellte. Diesmal sogar als einziger Spieler. Er versuchte, Gründe zu erklären, offenbarte aber auch offen seine Ratlosigkeit. "So ein kollektives Versagen einer Bayern-Mannschaft in einem K.o.-Spiel habe ich selber noch nicht erlebt", sagte er. "Wir haben nicht den Punkt gefunden, wo dieser FC-Bayern-Wut-Motor angeht."
Müller fand den Einschaltknopf dieses Wut-Motors nach dem Schock aber ziemlich schnell wieder. Beim drei Tage darauf folgenden Bundesligaspiel bei Union Berlin führte er seine Mannschaft mit vier Scorerpunkten zu einem 5:2-Sieg. Statt sich zu feiern, sagte er: "Jetzt stehen wir hier so locker flockig, aus dem Pokal sind wir trotzdem raus. Wir haben nicht nur ein Spiel verloren, sondern einen Wettbewerb."
Auch nach der überraschenden 1:2-Niederlage beim FC Augsburg am Freitag war es Müller, der sich neben Kapitän Neuer äußerte. Zwar kritisierte er Schiedsrichter Daniel Siebert für dessen Vorgehen vor dem zwischenzeitlichen 0:1, die Gründe für die Niederlage suchte er aber bei der eigenen Mannschaft.
Thomas Müllers Rekordjagd beim FC Bayern
Müller selbst absolvierte in Augsburg unterdessen sein 600. Pflichtspiel für den FC Bayern. Im ewigen Ranking liegt er hinter Sepp Maier (661) und dem aktuellen Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn (632) auf Platz drei. Veredelt hat Müller sein Jubiläum mit einer tollen Hacken-Vorarbeit vor Lewandowskis 1:2.
Im 19. Pflichtspiel der Saison war es bereits sein 19. Scorerpunkt. Effektiver war Müller im Laufe seiner Karriere noch nie. Beachtlich sind vor allem seine elf Assists in der Bundesliga. Damit jagt er seinen in den vergangenen beiden Saisons selbst aufgestellten Rekord von 21.
Von allzu großem Interesse sind solche sportlichen Petitessen beim FC Bayern aufgrund der Entwicklungen abseits des Platzes aktuell aber nicht. Stattdessen geht es vorrangig um die erneute Quarantäne der mutmaßlich Ungeimpften und die daraus resultierenden Folgen: Angebliche Gehaltsstreichungen, mögliche rechtliche Schritte der Betroffenen, Unverständnis der geimpften Teamkollegen. Gar eine Spaltung der Mannschaft?
Wenn die Impf-Thematik eine Gesellschaft auseinanderreißen kann, kann sie auch eine Fußballmannschaft auseinanderreißen. Gerade in einer kritischen Situation wie dieser sind kommunikationsstarke Führungspersönlichkeiten wie Müller mannschaftsintern besonders gefragt.
Thomas Müller: Leistungsdaten in dieser Saison
Kategorie | Bundesliga | Champions League | DFB-Pokal | Supercup | Gesamt |
Spiele | 12 | 4 | 2 | 1 | 19 |
Tore | 4 | 1 | - | 1 | 6 |
Assists | 11 | 2 | - | - | 13 |