Obwohl der FC Bayern auf dem Papier auch einige Experten eingeladen hatte, die Katar eigentlich aus vielerlei Blickwinkeln kritisch betrachten müssten, war das Fazit von Oliver Kahn recht positiv. Der Vorstandsvorsitzende blickte zurück auf die gut zwei Stunden, in denen die Argumente ausgetauscht worden sind und stellte fest, dass ihn diese Runde in seiner Feststellung bestätigt habe, dass ja eigentlich alles auf einem guten Weg sei. Und das an einem Tag, an dem im deutschen Bundestag deutlich kritischere Worte gewählt wurden.
"Mir ist diese Art der Transparenz in Zukunft sehr wichtig. Ich glaube, dass der Sport sehr viel bewegen kann", sagte der 53-Jährige: "Der Fußball, der uns hier heute zusammengebracht hat, kann immer nur ein Mosaikstein sein, aber ein sehr wichtiger. Seitdem der Fußball in Katar angekommen ist, bewegt sich einiges."
Diese Aussage ist sinnbildlich für den Versuch, die Zusammenarbeit mit Katar und das Sponsoring mit Qatar Airways zu beschönigen. Sie ist auch sinnbildlich für den Tenor, der in der Diskussionsrunde vorherrschend war. Kahn belegte seine Aussagen nicht mit Fakten, Zahlen oder konkreten Berichten von Organisationen, sondern sprach sie so daher, als wären sie einfach da.
WM in Katar: Gefühlte Wahrheit gegen Fakten
Vor allem aber impliziert er damit, dass all die Arbeit, die vor Ort schon weit vor dem vermeintlichen Engagement des FC Bayern oder des Fußballs geleistet wurde, erst durch diese Aufmerksamkeit funktioniere. Man könnte das Argument von Kahn auch umdrehen: Seit der Fußball in Katar angekommen ist, sind viele Menschen unnötig gestorben. Es geht nicht darum, den Fußball gegen Organisationen auszuspielen oder andersherum. Es gibt sicher auch Positivbeispiele einer solchen Synergie. Gleichwohl ist ein positiver Einfluss des Sports auf die Entwicklungen in Katar einfach nicht nachweisbar. Es bleibt eine gefühlte Wahrheit.
Im August 2021 veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, in welchem dem Tod zahlreicher Gastarbeiter in Katar nachgegangen wurde. Zwischen 2010 und 2019 starben demnach 15.021 Ausländer aller Altersgruppen. Die Zahlen variieren. Max Tunon (Internationale Arbeitsorganisation) sprach von 6.500 Toten. Im deutschen Bundestag bekräftigte Amnesty International zuletzt aber seine Vorwürfe. "Massive Menschenrechtsverletzungen" würden "in unmittelbarem Zusammenhang mit der WM" stehen. Rund 70 Prozent der Todesfälle würden nicht untersucht werden, Familien und Angehörige werden oft mit Fragen und Unklarheit zurückgelassen. Das erklärt auch unterschiedliche Zahlen.
In der Diskussionsrunde des FC Bayern hätte man beinahe den Eindruck gewinnen können, dass das alles gar nicht so schlimm sei. Es wurde argumentiert, als hätte die WM keinen direkten Bezug zu den Toten. Schließlich brauche Entwicklung Zeit und diese Zeit müsse man jedem Land zugestehen. Die WM, da waren sich fast alle einig, sei eine großartige Gelegenheit, diesen Prozess weiter anzustoßen.
Es ist richtig, dass diese Argumentation differenziert betrachtet werden muss. Es gibt Entwicklungen in den letzten Jahren, es gibt Fortschritte. Gleichzeitig berichten Organisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch zuletzt wieder häufiger darüber, dass ein Rückschritt drohe. Frauenrechte, LGBTQ+-Rechte, Menschenrechte insgesamt - die Human Rights Watch kritisiert nach wie vor, dass es kaum Fortschritte gebe. Frauen und LGBTQ+-Personen wären nach wie vor stark eingeschränkt oder gar in Gefahr.
Katar-Debatte: Ein fast gemütlicher Abend für Bayern
Hätten Michael Ott und Robin Feinauer nicht an der Diskussion teilgenommen, wäre das Fazit noch klarer gewesen: alles halb so wild. Es wäre ein gemütlicher Abend für alle ohne die ganz großen Kontroversen gewesen.
Die beiden Fans und Mitglieder warfen regelmäßig Kritikpunkte wie Menschenrechtsverletzungen, Terrorismusfinanzierung oder Korruption im Sport ein und begründeten ihre Standpunkte in den überwiegenden Fällen klug. So verwies Ott stets darauf, dass er seine Expertise nicht aus den Medien allein beziehe, sondern aus einem regelmäßigen Austausch mit Expertinnen und Experten aus Organisationen, der Politik oder eben Betroffenen.
Er argumentierte mit Zahlen, Zitaten und Fakten, widerlegte einige gefühlte Wahrheiten gekonnt. Beispielsweise als er die durchgesetzten Reformen mit aktuellen Geschehnissen in Katar wie inhaftierten kritischen Journalisten hinterfragte oder darauf verwies, dass Expertinnen und Experten den Mindestlohn als "Witz" bezeichnen, der die Arbeitenden nur noch mehr unter Druck setze.
FC Bayern grenzt Themen bewusst aus
Frauen oder Gastarbeiter kamen in der Runde des FC Bayern nicht zu Wort. Sie waren nicht eingeladen. Als der Club Nr. 12, der Dachverband der aktiven Fanszene des Rekordmeisters, Veranstaltungen zu Katar organisierte und jene zu Wort kommen ließ, die unter den Bedingungen vor Ort am meisten zu leiden haben, blieben Verantwortliche des FCB trotz Einladung aus fadenscheinigen Gründen abwesend. Es wäre schließlich kein Heimspiel gewesen.
Den sachlichen und fundierten Argumenten der beiden Fans stellten sich die Katar-Befürworter der Runde mit Whataboutism oder anderweitigen Ablenkungsmanövern entgegen. Hainer beispielsweise wich aus, indem er auf VW verwies, die Anteile an Katar verkauft haben.
Der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel stellte die nicht zielführende Frage, wie wohl mit Mexiko umgegangen werden würde, wenn sie eine WM veranstalten würden und kam zu dem Fazit, dass man da nicht so kritisch wäre. Wem soll diese Argumentation helfen? Kurz darauf griff er die beiden Fans an, indem er ihnen vorwarf, die falschen Expertinnen und Experten konsultiert zu haben. Man müsse schon auch bereit sein, seinen eigenen Standpunkt zu hinterfragen.
Katar bekommt am runden Tisch eine Bühne
Es ist beinahe ironisch, dass Gabriel damit den Spieß umdreht. Denn mit der plausiblen Argumentation gegen Katar wollte sich niemand inhaltlich auseinandersetzen. Es schien eher so, als wären Gabriel und Co. aus Eigeninteresse nicht in der Lage, ihre Meinung zu hinterfragen.
Als Abdullah bin Mohammed Al-Thani anfing, die Vorwürfe als "eine Verschwörung" zu bezeichnen, wurde der eigentliche Charakter der Veranstaltung deutlich. Die WM-Vergabe sei weder korrupt gewesen, noch sei geklärt, was mit den Toten wirklich passiert sei. Auch das Thema Frauenrechte sei in Katar "kein Problem". Der Botschafter Katars nannte vermeintliche Zahlen und Fakten, um seine These zu stützen, allerdings bezog er sich auf keinerlei nachprüfbare Quellen. Recherche? Unmöglich.
Sie blieben dennoch unwidersprochen stehen. Auch weil der Mediator es den beiden Fans nicht erlaubte, direkt Stellung zu beziehen. Stattdessen nahm er die nicht belegbaren Argumente des Botschafters selbst auf, um einen eigenen positiven Standpunkt gegenüber Katar zu beziehen. Plötzlich wurden die Argumente Teil der Diskussion, als wären sie Fakt. Es war eine beinahe tragische Wendung, dass dem Narrativ des Botschafters unter dem Deckmantel der Meinungsoffenheit eine derart große Bühne geboten wurde.
FC Bayern macht sich angreifbar
Der FC Bayern macht sich mit diesem runden Tisch angreifbar. Das ist ein Schritt, der durchaus anzuerkennen ist. Denn wirklich notwendig wäre er aus der Sicht des Klubs nicht gewesen. Die Eskalation rund um die letzte Jahreshauptversammlung konnte schnell wieder eingefangen werden. Das berühmte Aussitzen und Warten, bis der Brand wieder gelöscht ist, hat fast immer funktioniert.
Deshalb ist es positiv anzumerken, dass diesmal bewusst ein anderer Weg eingeschlagen wurde, einer in Richtung der Fans. Zugleich wurde aber alles dafür getan, um die eigene Position zu stärken. Es wurden überwiegend Gäste eingeladen, die Katar entweder überhaupt nicht oder gerade so kritisch sehen, dass es für den FC Bayern noch akzeptabel ist. Damit wurden viele Themen automatisch ausgeblendet und es wurde vor allem den beiden Fans erschwert, alle kritischen Themenfelder ausreichend zu bespielen.
Am runden Tisch wurde darüber hinaus eine falsche Balance an Fakten zugelassen, die suggeriert, dass die Kritik von Ott und Feinauer eine extreme Position sei. Dabei geht es ihnen nicht um radikale Schritte. Es geht ihnen um das Sponsoring und die einseitige Werbebotschaft, die präsentiert wird. Beziehungen zu Katar, solange sie unabhängig sind, standen nie zur Debatte.
FC Bayern erreicht sein (Zwischen-)Ziel
Dialog, da sind sich alle Teilnehmer am Tisch einig gewesen, wird auch in der Zukunft entscheidend sein. Wenn der Dialog letztendlich aber nur ein Werkzeug des Klubs ist, um die Geschäfte rechtfertigen zu können, ist es kein Dialog, sondern Marketing.
Kahns Andeutung, dass ja eigentlich alles auf einem ganz guten Weg sei und er sich bestätigt sehe, untermauert das. Bei allen Teilnehmern bedankte er sich für ihre Expertise. Ott und Feinauer bekamen Dank dafür, dass sie trotz unterschiedlicher Meinung respektvoll aufgetreten wären.
Besser kann man eine Veranstaltung nicht umschreiben, die in letzter Konsequenz die Position des FC Bayern gestärkt hat - an einem Tag, an dem Katars Position im deutschen Bundestag erheblich geschwächt wurde. Den Münchnern kann man dazu nur gratulieren - wenn man es mit Menschenrechten nicht so eng sieht.