Das doppelte Babbel-Risiko

Von Haruka Gruber
Markus Babbel (M.l.) ist als Trainer und Manager der Hoffnungsträger von 1899 Hioffenheim
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: 1899 Hoffenheim.

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Wer dem Verein nicht besonders mag, könnte Überheblichkeit herauslesen. Für Geschäftsführer Frank Briel hingegen ist dies nur ein Beleg der "Aufbruchsstimmung". 1899 Hoffenheim nahm Anfang August den neuen Mannschaftsbus in Empfang - und das Nummernschild sagt viel aus über die Ambitionen: "HD - EL 1899".

Das EL steht für die Europa League. Jenes Ziel, das sich Mäzen Dietmar Hopp und Trainer/Manager Markus Babbel für diese Saison vornehmen.

Das ist neu

Angefangen hatte es im Februar als Provisorium, weil nach den Trennungen von Holger Stanislawski und Ernst Tanner gleich zwei Vakanzen entstanden waren. Seit dem Sommer aber ist es eine Institution: Markus Babbel ist zugleich Trainer und Manager. Und in seiner am englischen Modell angelehnten Doppelfunktion geht er in der Vorbereitung wesentlich forscher zu Werke als noch in der Rückrunde der Vorsaison.

Er sucht bewusst die Öffentlichkeit, um nicht nur für den Außenstehenden, sondern auch klubintern die Botschaft zu verstärken: Wir sind wieder Wer! "Wichtig war mir nur meine eigene Wahrnehmung von Hoffenheim - und die war mir entschieden zu grau", sagt er im SPOX-Interview. Die Zielsetzung "Europa League" gehört genauso zum erstarkten Selbstverständnis wie Babbels wortstarker Konter auf Jogi Löws Entscheidung, Tim Wiese auszusortieren.

Ausgerechnet Wiese, der bei 1899 noch mehr sein soll als die neue Nummer eins und der Kapitän. Wiese soll nicht weniger als das neue Hoffenheim verkörpern: spektakulär, begehrenswert, spannend. "Ich stehe auf Verrückte", sagt Babbel und erwartet sich durch Wiese einen Wandel der gesamten Vereinskultur.

Daher holte Babbel nicht nur Wiese. Der so begabte wie wankelmütige Eren Derdiyok sowie Stephan Schröck, der sich vom Raucher und Faulenzer zu einem der besten Spieler der zweiten Liga wandelte, gehören ebenfalls zu den Spielern mit kantigem Profil. Babbel: "Diese positiv Verrückten haben immer einen persönlichen Anspruch und bringen von sich aus eine unglaublich hohe Eigenmotivation mit."

Die Taktik

So sehr Babbel das Wirken von Stanislawski und Tanner ins Gegenteil verkehren will - an der taktischen Grundordnung soll sich nicht viel ändern. Das 4-2-3-1 wird fortgeführt - wobei angesichts der erstaunlichen Kadertiefe und der Vielseitigkeit der meisten Spieler alle Abwandlungen denkbar sind. Vom 4-4-2 in der Raute und flach bis zum 4-3-3 oder selbst dem 4-2-4, welches Stanislawski trotz verheißungsvollem Beginn verworfen hatte.

Vor allem die Zusammenstellung der Mittelfeld-Zentrale wird interessant zu beobachten sein. Sejad Salihovic ist der beste Techniker mit Torgefahr und unerreichten Standardqualitäten, der selbst lieber als Zehner aufläuft. Sebastian Rudy, der modernste Sechser mit internationaler Güte, dem nur die nötige Konstanz und positive Arroganz abgeht. Tobias Weis, der aggressive und mitreißende Wühler mit unterschätzten Offensivfähigkeiten. Daniel Williams, der beeindruckende Athlet. Oder Chris, der Erfahrene und weitsichtige Stratege. Selbst Isaac Vorsah könnte bei Bedarf als kopfballstarker Abräumer auf die Sechs zurückkehren.

Von der Zusammenstellung des Duos (oder gegebenfalls Trios) hängt die gesamte Ausrichtung der Mannschaft ab. Die Favoriten auf einen Stammplatz sind wie in der Vorsaison Salihovic und Rudy, beide mit Bedacht in den Mannschaftsrat berufen.

Der Spieler im Fokus

Kevin Volland. Unter den Neuzugängen sind die Rollen folgendermaßen verteilt: Tim Wiese ist Kapitän, Stammkeeper und Mr. Hoffenheim. Derdiyok soll Ibisevic ersetzen und den Sprung zum internationalen Topmann schaffen. Joselu und Takashi Usami sind Experimente, die neugierig machen. Der Spannendeste ist aber Kevin Volland. Mit 18 fähig, acht Scorer-Punkte in acht Zweitliga-Spielen in Folge zu erzielen. Mit 19 der beste und kompletteste Stürmer der gesamten Zweiten Liga (13 Tore und 11 Assists in der Vorsaison). Und mit 20?

Nachdem Hoffenheim ihn bei 1860 München gütig das Vorjahr fertig spielen gelassen hatte, wurde er im Sommer nach Hoffenheim gerufen, um weiter zu reifen. Und sofort in der Startelf zu stehen. Nach den Eindrücken der Vorbereitung gebührt ihm ein Stammplatz, entweder als zweiter Stürmer neben Derdiyok oder im 4-2-3-1 als hängende Spitze, von wo er all seine Dynamik, Technik und Torgefahr womöglich am besten einbringen könnte. Volland ist derart gut, dass er in welcher Grundordnung auch immer die zentrale Rolle besetzen wird - und Roberto Firmino und Takashi Usami auf die Flügel oder auf die Bank verdrängt.

Das Interview

SPOX: Sie sind einer der vielseitigsten Mittelfeldspieler der Bundesliga - entsprechend werden Sie wahlweise als Sechser, Zehner oder Linksaußen aufgestellt. Ist unter Babbel die Zeit für eine feste Position gekommen?

Salihovic: In den letzten Spielen der Vorsaison wurde ich als Zehner eingesetzt. Ich musste mich zwar erst einmal daran gewöhnen - aber auf der Position macht es mir am meisten Spaß. Mal schauen, wie sich der Trainer entscheidet. Wichtig ist ohnehin nur, wo ich den Jungs am meisten helfen kann. Ich stelle meine Vorlieben gerne zurück.

Hier geht's zum kompletten Interview mit Sejad Salihovic

Die Prognose

Fast jeder Neuzugang ist diskutabel wegen des Leumunds (Wiese), des früheren Gebarens (Schröck), der fehlenden Bundesliga-Erfahrung (Volland, Usami, Joselu, Filip Malbasic) oder der Verletzungsgeschichte (Delpierre, Chris). Aber: Es ist ein Plan erkennbar.

Gylfi Sigurdsson, der einzige Weggang von Belang, wurde sehr ordentlich alimentiert (10 Millionen Euro), weswegen die zahlreichen und namhaften Verpflichtungen nicht automatisch eine Etaterhöhung mit sich brachten. Dennoch gelang es, die Mannschaft in der Breite und in der Spitze zu verbessern. Heißt: Ob der Konkurrenz wird es kein leichtes Unterfangen, dennoch ist die Europa League in Reichweite.

Entscheidend wird Babbels Wirken sein. Alle sportlichen Fragen in dem mittlerweile zentralistisch strukturierten Verein werden von ihm beantwortet, selbst für die Anbindung der Nachwuchsabteilung zeichnet er nun verantwortlich. Im Erfolgsfall wird Hopp feiern, einen derart patenten Mann gefunden zu haben. Im Misserfolgsfall jedoch wird sich all die Wut von Hopp auf eben diesen Babbel konzentrieren. Wie schnell die Stimmung umschlagen kann, erlebte Babbel nach dem DFB-Pokal-Debakel in Berlin.

"Wenn diese Konstellation irgendwann nicht mehr tragfähig sein sollte und die Leistung der Mannschaft darunter leidet, machen wir einen klaren Schnitt: Dann beenden wird das mit dem Manager und ich arbeite ausschließlich als Trainer", sagt Babbel.

Angesichts der drastischen und kaum zu vorhersehenden Personalfluktuation in Hoffenheim ist allerdings auch ihm ein Risiko bewusst: Dass er gleich beide Jobs verliert.

Der Kader von 1899 Hoffenheim 2012/13