Klaus Augenthaler stand mit dem FC Bayern München fünf Mal im Landesmeistercup-Halbfinale. Kaum einer erlebte mit den Münchnern so viele internationale Sternstunden und so viele bittere Niederlagen. Im Interview spricht die Bayern-Legende über Backpfeifen für Hugo Sanchez, sein berühmtes Eigentor in Belgrad, geheime Mannschaftssitzungen in seinem Party-Keller und die verloren gegangene Schafkopf-Kultur im Team des FC Bayern.
SPOX: Herr Augenthaler, als Spieler standen Sie zwischen 1981 und 1991 mit dem FC Bayern fünf Mal im Landesmeister-Cup-Halbfinale. Welche Erinnerungen blieben besonders haften?
Klaus Augenthaler: Es waren wirklich fünf Halbfinals? Real Madrid 1987 und Roter Stern Belgrad 1991 sind mir noch in bester beziehungsweise schlechtester Erinnerung.
SPOX: 1981 gegen Liverpool (0:0/1:1), 1982 gegen ZSKA Sofia (3:4/4:0) und 1990 gegen den AC Milan (0:1/2:1 n.V.) waren Sie auch dabei. Aber bleiben wir doch bei Real Madrid - wieso ist das Spiel noch parat?
Augenthaler: Weil ich da vom Platz geflogen bin!
SPOX: Stimmt. Nach dem 4:1 im Hinspiel wartete im Bernabeu ein heißer Tanz auf Sie.
Augenthaler: Ich weiß noch, dass man trotz eines 4:1 im Hinspiel nicht hundertprozentig davon ausgehen konnte, dass man weiter kommt. Spiele gegen Real waren das Größte, noch mehr als damals gegen Inter oder Milan zu spielen. Und auswärts war immer Feuer unter dem Dach.
SPOX: Ihnen und Jean-Marie Pfaff sind damals im Bernabeu allerhand Gegenstände um die Ohren geflogen, unter anderem eine 30 cm lange Eisenstange...
Augenthaler: Das war damals aber normal, solche Szenen kannten wir auch aus Mailand. Die Fans waren damals massiv in ihrem Stolz getroffen, wenn ihr Team gegen den FC Bayern verlor. Wahrscheinlich, weil sie dachten, sie hätten von den Namen her eigentlich die bessere Mannschaft.
SPOX: Erzählen Sie uns vom Spiel in Madrid.
Augenthaler: Wir lagen schnell 0:1 hinten, dann habe ich schon nach 30 Minuten Rot gesehen. Wenn wir dann auch noch das 0:2 kassiert hätten, wäre das Ausscheiden nicht mehr weit gewesen. Gott sei Dank haben die Jungs das 0:1 halten können.
SPOX: Wie kam es zu dem Platzverweis?
Augenthaler: Hugo Sanchez hat mich provoziert und ich habe mich hinreißen lassen. Ich habe ihn an der Mittellinie gefoult und beim Aufstehen rammte er mir beide Beine gegen die Brust. Ich bin ihm dann nachgelaufen und habe ihm von hinten eine kleine Watschn auf den Hinterkopf gegeben. Ich habe extra geschaut, wo der Schiedsrichter steht. Der hat's auch nicht gesehen - dafür aber der Linienrichter. Auf den habe ich nicht aufgepasst.
SPOX: Wie haben Sie den Rest des Spiels verfolgt?
Augenthaler: Den habe ich gar nicht mehr mitbekommen! Ich musste ja in die Kabine und damals gab es dort noch keinen Fernseher. Hin und wieder schaute mal ein UEFA-Mitarbeiter rein, ob ich auch brav bin. Und dann hört man nur die Kulisse - wrooom, wie ein Jumbo-Jet beim Start. Da klingt jede Torchance wie ein Tor für den Gegner. Es kam mir unendlich lange vor.
SPOX: Und dann kamen die Kollegen rein.
Augenthaler: Ein unbeschreiblicher Moment. Ich glaube, ich war in dem Moment glücklicher als nach dem WM-Titel drei Jahre später. Wenn wir ausgeschieden wären, hätte ich mir wegen der Roten Karte schreckliche Vorwürfe gemacht.
SPOX: Parallele zu Franck Ribery, auch wenn dieser noch auf eine milde Strafe hofft: Sie verpassten damals das Finale.
Augenthaler: Ja, aber das war nicht so schlimm. Ich hatte zuvor schon einige Muskelfaserrisse, war ständig fit gespritzt und dann machte mir auch noch mein Rücken einen Strich durch die Rechnung. Das Finale in Wien gegen Porto verbrachte ich nach einer Bandscheibenoperation zuhause vor dem Fernseher - im Stehen.
SPOX: Sie standen, das ganze Spiel über?
Augenthaler: Ja, ich durfte mich immer nur kurz hinsetzen. Und dann frisch operiert zwei Stunden stehen - das tat mehr weh als das Hackentor von Madjer und die Niederlage.
Teil 2: Augenthaler über sein bitteres Karriere-Ende
SPOX: Gehen wir ein bisschen weiter zurück zu Ihrem ersten Halbfinale. 1981 war man nach einem 0:0 an der Anfield Road gegen Liverpool eigentlich schon aufs Finale eingestellt.
Augenthaler: Ich weiß noch, dass man nach dem Hinspiel mehr oder weniger schon das Hotel in Paris gebucht hat. Wir hätten schon das Hinspiel gewinnen können: Ich bin von hinten marschiert, spielte mich durch und wäre alleine aufs Tor zu gelaufen, aber dann kam Paul Breitner von halbrechts und nahm mir den Ball ab. Und der Paul stand natürlich im Abseits. Und dann spielen wir im Rückspiel 1:1. Sehr bitter.
SPOX: Trotz fünf Halbfinal-Teilnahmen hat es für Sie leider nie für einen Landesmeistertitel gereicht. Trauern Sie dem nach?
Augenthaler: Ich denke schon ab und zu daran. 1982 im Finale gegen Aston Villa war der Titel zum Greifen nahe, ich habe dort das Spiel meines Lebens gemacht. Und die kommen zweimal vors Tor und gewinnen 1:0.
SPOX: Bittere Momente.
Augenthaler: Naja, die Enttäuschung hielt sich nachher in Grenzen, weil wir wirklich alles gegeben hatten. Ich erinnere mich noch, dass ich mit Bernd Dürnberger zur Dopingkontrolle musste und wir da ewig in einem Wohnwagen rum saßen. Als wir endlich fertig waren und ins Hotel zurück kamen, waren dann alle anderen 'gedopt'. Alkoholisch. Wir haben das dann an der Bar verarbeitet.
SPOX: Ihr letztes Halbfinale war besonders bitter: Bei Roter Stern Belgrad lag der FCB im Rückspiel 2:1 vorne und steuerte auf die Verlängerung zu...
Augenthaler: (lacht) ...und dann kam es, wie es kommen musste! Es war meine letzte Saison, wir haben nach dem 1:2 im Hinspiel noch mal alles mobilisiert und dann scheiden wir so aus. Wir waren so nahe dran! Ich weiß noch, dass Roland Wohlfarth in der 85. Minute alleine aufs Tor zulief, aber nur den Pfosten traf. Das wäre das 3:1 gewesen.
SPOX: Und dann kam die 90. Minute.
Augenthaler: Ich versuche einen Befreiungsschlag, der Ball fliegt in hohem Bogen aufs Tor zu - und Raimond Aumann haut sich den Ball selbst rein.
SPOX: Unfassbar.
Augenthaler: Wir haben später noch öfter über die Szene gesprochen. Raimond sagt immer, er wurde von einem Gegenspieler irritiert, der von der Seite kam. Er hatte wohl Angst, dass der Jugoslawe ihn rammt.
SPOX: Sie hatten die Mannschaft vor dem Rückspiel noch mal extra im legendären Keller Ihres Wohnhauses eingeschworen.
Augenthaler: Stimmt, da haben wir beschlossen, dass Stefan Reuter Libero spielt und ich dafür im Mittelfeld gegen Robert Prosinecki. Ich wollte noch mal alles mobilisieren. Dummerweise hat Jupp Heynckes später von der Sitzung erfahren und sich drüber aufgeregt - obwohl ich das erst auf Anregung von Uli Hoeneß gemacht habe.
SPOX: Wie - der Manager riet Ihnen zu dieser geheimen Mannschaftssitzung?
Augenthaler: Ja. Der Jupp hat sich trotzdem hintergangen gefühlt und mich zur Rede gestellt - da habe ich gesagt: 'Das war's für mich.' Jupp Heynckes hätte aber eigentlich wissen müssen, dass ich das alles nur für das Wohl der Mannschaft tat und dabei nie den Trainer oder dessen Taktik angegriffen habe.
SPOX: Wie muss man sich so eine Sitzung im Keller der Augenthalers vorstellen?
Augenthaler: Ich hatte dort eine Bar und einen großen Tisch. Da haben sich die Jungs niedergelassen und ich habe die Probleme angesprochen. Da herrschte immer breite Zustimmung. Insgesamt gab es das vielleicht vier, fünf Mal. Aber nach diesen Sitzungen haben wir immer besser gespielt.
SPOX: Wenn man sich die Mannschaft heute ansieht - welche Bayern-Elf, in der Sie gespielt haben, kommt der heutigen am nächsten?
Augenthaler: Man spricht bei Bayern heute immer von Ribery und Robben - das war vergleichbar mit dem FC Breitnigge damals. Wir hatten mit Breitner den überragenden Strategen und mit Rummenigge den überragenden Stürmer im Team. Aber das funktionierte auch nur so gut, weil wir eine homogene Mannschaft hatten und einen super Zusammenhalt. Auch Ribery und Robben funktionieren nur so gut, weil der Rest der Mannschaft intakt ist und einen hervorragenden Charakter hat.
SPOX: Der große Unterschied zu damals: Im Halbfinale von Belgrad standen zehn Deutsche auf dem Platz.
Augenthaler: (lacht) Stimmt, das waren mindestens zwei Schafkopf-Runden! Die gehen heute nicht mehr zusammen.
Augenthaler über seinen aktuellen Job: "Gibt nichts, was gegen Haching spricht"