Wie dreht man ein 0:4 in einen Erfolg um, wurde Arsene Wenger am Samstagnachmittag ganz nonchalant gefragt. "Vielleicht stelle ich ja sechs Stürmer auf", witzelte der Arsenal-Trainer mit viel Grübchen um die Mundwinkel: "Man weiß nie."
"Never say never" ist ohnehin ein passender Arbeitstitel zur Saison des FC Arsenal. Unter dem Mikroskop kommt die Spielzeit der Gunners nämlich reichlich bipolar daher.
"Sie sind entweder brillant oder wissen überhaupt nicht, was sie da machen", hatte Milans Kevin-Prince Boateng Arsenal vor dem Achtelfinal-Hinspiel schon treffend charakterisiert. Arsenal verlor anschließend 0:4 und belegte damit eindrucksvoll den zweiten Teil der Aussage.
Ein einziges Auf und Ab
Im Gesamtbild gleicht die Spielzeit der Gunners jedenfalls einer Achterbahnfahrt. Einem Katastrophenstart inklusive 2:8-Abreibung bei ManUtd und Platz 17 nach fünf Spieltagen folgte eine halbwegs ansehnliche Siegesserie im Herbst inklusive Gruppensieg in der Champions League, ehe man sich im Januar mit drei Niederlagen in Folge wieder außer Tritt brachte.
Oder, in Ergebnissen ausgedrückt: 5:3 bei Chelsea, 2:1 in Liverpool; aber eben auch 3:4 in Blackburn oder 1:2 in Fulham.
Dass man nach vier Siegen in Folge nun wieder auf Platz vier steht, ist für die darbenden Gunners-Anhänger ein schwacher Trost. Einige unken, man habe diesen Umstand ja nur dem noch schlimmer durch die Saison mäandernden FC Chelsea und der Unfähigkeit des FC Liverpool, enge Spiele zu gewinnen, zu verdanken - und außerdem sei die Saison ja noch nicht zu Ende.
"Wollen das Unmögliche möglich machen"
"Platz vier ist für uns das Minimum, weil dieser Klub einfach jedes Jahr in die Champions League gehört", meinte Wojciech Szczesny nach dem Sieg in Liverpool am Samstag. Wenn man nicht mehr um Titel spielt, müsse man eben eine neue Motivation finden, so der Pole. "Wir müssen die Saison einfach so gut, wie es geht, zu Ende bringen."
Klingt nicht gerade nach ausuferndem Kampfgeist, auch wenn Wenger vor dem Rückspiel gegen Milan noch mal in die Kiste greift. "Wir haben nichts zu verlieren. Niemand rechnet mehr mit uns", sagte der Coach auf die anvisierte Aufholjagd angesprochen.
"Wir wollen das Unmögliche möglich machen, das ist unser Ziel. Auf den ersten Blick sieht es aussichtslos aus, aber wenn man einen guten Start hinlegt und mit Glauben an sich selbst spielt, dann kann man es schaffen."
Personallage kritisch
Betrachtet man sich die Personallage der Gunners, könnte man schon wieder pessimistischer werden. Mikel Arteta musste gegen Liverpool mit einer Gehirnerschütterung vom Platz getragen werden, der für ihn eingewechselte Abou Diaby verabschiedete sich alsbald wieder mit einem Muskelfaserriss.
Yossi Benayoun und Kieran Gibbs plagen sich nach dem Liverpool-Spiel beide mit muskulären Problemen herum, Per Mertesacker, Andre Santos, Aaron Ramsey und Jack Wilshere fallen ohnehin längerfristig aus. "Wir sehen ein bisschen dezimiert aus", sagte Wenger angesäuert.
In den Cup-Wettbewerben hat sich Arsenal bislang ohnehin nicht mit Ruhm bekleckert: Im Carling Cup schied man schon im November mit einer 0:1-Heimniederlage gegen ManCity aus, das 0:2 im FA Cup beim FC Sunderland war dagegen fast schon peinlich. Und in der Champions League macht man sich am Dienstag nun auf, irgendwie ein 0:4 gegen den AC Milan wettzumachen.
Milan-Coach spielt Worst Case durch
Ein Szenario, das Milan-Trainer Massimiliano Allegri zumindest gedanklich schon durchgespielt hat. "Natürlich ist es möglich. Wenn sie in der ersten Minute ein Tor erzielen und bis knapp nach der Halbzeit ein zweites, dann haben sie noch 40 Minuten Zeit für zwei Tore", sagte er der "Sun".
Allegri verwies auf das letzte Heimspiel der Gunners gegen Tottenham, in dem Arsenal mit fünf Toren innerhalb von 28 Minuten für Aufsehen sorgte - die Spurs hatten im Vorjahr immerhin Milan aus der Königsklasse geworfen. "Wenn wir Fehler machen oder nicht konzentriert genug sind, dann können sie uns Probleme machen", so Allegri.
Etwas Ähnliches war Milan schon in der Saison 2003/2004 passiert, als man Deportivo La Coruna nach einem 4:1-Heimsieg im Rückspiel 0:4 unterlag. Das einzige Team, das im Europacup jemals nach einem Vier-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel noch weiter kam, ist indes Real Madrid: 1985/86 kam man nach einem 1:5 bei Borussia Mönchengladbach mit einem 4:0 noch weiter.
Van Persie unbedingt halten
Und Robin van Persie ist in dieser Saison ohnehin alles zuzutrauen. 31 Tore hat der Niederländer in 36 Pflichtspielen angehäuft und seine Effizienz ist angesichts der wenigen Chancen, die van Persie für seine Treffer braucht, fast schon einzigartig.
Entgegen der Arsenal-Philosophie, Reisende am Ende nicht unbedingt aufhalten zu wollen und stattdessen immer lieber auf den eigenen Nachwuchs zu setzen, hat Arsene Wenger van Persies Verbleib mittlerweile fast schon zur Bedingung seiner eigenen Zukunft im Emirates gemacht.
"Wir werden alles tun, um ihn zu halten", wiederholt der Franzose beinahe wöchentlich. "Ich bin sehr stolz, dass er reifer geworden ist. Ich sah den Jungen, der er damals war, als er hier ankam, und sehe nun den Spieler, der er ist - den Leader unserer Mannschaft."
Wenger adelt van Persie
"In jedem Spiel kommt irgendwas Besonderes von ihm. Und das, obwohl er unter dem immensen Druck steht, immer treffen zu müssen - das ist eine exzellente Entwicklung, die Robin genommen hat. Als Spieler und als Mensch. Er gehört zu den Besten der Welt", schloss Wenger seine Lobeshymne auf van Persie am Wochenende.Die Frage ist nur, ob einer der Besten der Welt zu einem Team passt, das immer öfter hinter den Erwartungen zurück bleibt. Arsenal hat gegen Milan zumindest noch 90 Minuten, um in punkto Champions League das Gegenteil zu beweisen.
Voraussichtliche Aufstellungen:
FC Arsenal (4-2-3-1): Szczesny - Sagna, Vermaelen, Koscielny, Gibbs (Jenkinson) - Song, Rosicky - Walcott, Gervinho (Arteta), Oxlade-Chamberlain - van Persie
AC Milan (4-3-1-2): Abbiati - Abate, Mexes, Thiago Silva, Mesbah (Antonini) - Emanuelson, van Bommel, Nocerino - Robinho - Ibrahimovic, El Shaarawy
Alle Champions-League-Ergebnisse im Überblick