"Ich habe keine Worte... Ich habe einfach keine Worte dafür... Drama!", schimpft ein enttäuschter David Mendez, der sichtlich um Fassung ringt. "Das ist eine Katastrophe für ganz Österreich", meint Martin Hinteregger mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung." Trainer Roger Schmidt wählt die sachlichsten und gleichzeitig demütigenden Worte: "Wir haben es nicht geschafft, den Gegner auszuspielen."
Demütigend deshalb, weil der Gegner kein Hochkaräter mit Champions-League-Format war, sondern eine Truppe aufmüpfiger Halbprofis: F91 Düdelingen. Die Luxemburger hatten RB Salzburg soeben überraschend in der zweiten CL-Qualifikationsrunde rausgeworfen, ein 3:4 im Rückspiel reichte dank der Auswärtstorregel fürs Weiterkommen.
Der ambitionierte und finanziell schlagkräftige Brause-Klub war zum fünften Mal in sechs Jahren an der CL-Quali gescheitert. Diesmal besonders krachend, besonders peinlich.
Gut zwei Jahre ist es nun her, dass Schmidt einen der bittersten Momente seiner noch jungen Karriere verkraften musste. Nun steht er mit Bayer Leverkusen vor seinem persönlichen Debüt in der Champions League.
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Vogelwild und erfolgreich
Bei Bayer musste sich Schmidt bisher nur selten rechtfertigen. Stattdessen wird er mit Lob beinahe überhäuft, weil sein Spielstil jedes Wochenende mindestens eine spektakuläre Partie zu garantieren scheint. Leverkusens Überfallfußball begeistert die Liga und genießt nach dem erfolgreichen Saisonbeginn einen kleinen Hype.
Dabei ist Schmidt längst nicht der erste, der auf kollektives Gegenpressing und laufintensives Spiel gegen den Ball setzt. Was Leverkusens Stil besonders macht, ist die außergewöhnlich rasante Balljagd, wie die Bayer-Elf mit hohem Tempo gegen den ballführenden Spieler presst, dabei kompakt verschiebt und so irrsinnig schnell Druck ausübt.
Es wirkt bisweilen unkoordiniert, teils sogar vogelwild. Doch bisher war Schmidts Fußball erfolgsversprechend und spektakulär zugleich. Damit begeistert er gleichsam eigene wie auch neutrale Anhänger - und auch seine Spieler: "Wenn wir 5:4 gewinnen, soll es mir recht sein", sagte Bernd Leno vor dem Spiel gegen den AS Monaco.
Bremen legte Leverkusens Schwächen offen
Doch der Auftakt auf europäischer Bühne wird für Schmidt und Bayer gleich in mehrfacher Hinsicht zu einem echten Härtetest. Ist sein System auch tauglich, um die Hochkaräter Europas zu bezwingen? Der AS Monaco wird ohne Falcao und Co. in derzeitiger Form nur ein harmloser Vorgeschmack auf das, was die Königsklasse bereithält.
Dazu werden sich die Teams mit zunehmender Dauer auch besser auf Schmidts Fußball einstellen und seine Lücken aufdecken können. Werder Bremen hat das - unter Berücksichtigung von reichlich Glück in Halbzeit eins - vorbildlich vorgemacht. Durch schnelles Überbrücken des Mittelfelds nach Ballgewinn und clevere Seitenwechsel gegen manchmal zu hastig ballorientiert verschiebende Leverkusener fielen zwei der drei Tore gegen Bayer.
"Wir hatten einen guten Spielplan. Die Tore sind alle so gefallen, wie wir es vorher besprochen haben", verriet Werder-Verteidiger Sebastian Prödl hinterher. Und Bremen ist nicht der erste Klub, der Leverkusens Anfälligkeit offenlegte: Kopenhagen und die Hertha trafen je zweimal gegen Bayer.
In der Bundesliga haben nur drei Teams mehr Tore kassiert als der aktuelle Tabellenführer. Es ist also noch ein Luftschloss, wenn Schmidt erklärt, Bayers Stil "bedeutet nicht nur, offensiv zu agieren, sondern auch sehr gut zu verteidigen."
Hochkochende Emotionen und Zwang zur Rotation
Ein weiterer Risikofaktor des rasanten Spektakels wurde ebenfalls gegen Bremen deutlich: Schmidts Spieler rennen wie im Rausch, sie sind heiß, wirken euphorisiert, voller Adrenalin. Die Nebenwirkung: Emotionen kochen besonders stark hoch. Mit Emir Spahic, Gonzalo Castro und Hakan Calhanoglu sahen gleich drei Spieler Gelb wegen Meckerns beziehungsweise Ballwegschlagens - rekordverdächtig.
Gegen Bremen rächten sich diese Ausrutscher nicht. Doch solche Kleinigkeiten können teuer werden, wenn Bayer mal in einen gefährlichen Konter läuft und sich ein unnötig verwarnter Spieler zweimal überlegt, ob er das wertvolle taktische Foul wählt und damit seine Mannschaft dezimiert.
Weitaus schwerer dürfte jedoch ein anderer Aspekt wiegen: Bayer hat in den kommenden 18 Tagen sechs Pflichtspiele vor der Brust. Eine Herkules-Aufgabe für Schmidt, dessen laufintensives Spiel besonders kräftezehrend ist. "Wir spielen ein bisschen vogelwild gegen den Ball. Da muss man durch und auf die Zähne beißen", erklärte Stefan Kießling kürzlich.
"Wir werden voll draufgehen"
Dennoch hat Schmidt in den letzten vier Spielen seine Startelf nur zweimal auf je einer Position verändert - einmal davon verletzungsbedingt. In den kommenden zwei Wochen wird er zwangsläufig häufiger rotieren müssen, will er keine Ermüdungserscheinungen oder Verletzungen riskieren.
Allerdings hat Schmidts Kader nicht die Leistungsdichte oder Champions-League-Erfahrung von Bayern oder Dortmund. Wenn Schmidt rotiert, ist ein qualitativer Abfall kaum vermeidbar. Doch das wird er lieber in Kauf nehmen, als seine Philosophie über den Haufen zu werfen.
Denn eine Änderung seiner Spielweise kommt für den 47-Jährigen nicht infrage. "Wir werden nichts ändern", erklärte Bernd Leno. Und Calhanoglu versprach: "Wir werden voll draufgehen." Schmidt selbst blieb - wie immer - sachlich: "Wenn wir mit Entschlossenheit unser Spiel durchziehen, werden wir als Sieger den Platz verlassen."
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