Revolutionen im Fußball, seien sie auch noch so klein, brauchen normalerweise ihre Zeit. Trainer lehren ihren Mannschaften Systemwechsel über einen Zeitraum von Wochen oder gar Monaten, ohne Sommer- oder zumindest Winterpause sind oft keine grundlegenden Änderungen möglich. Bei Juventus laufen die Dinge aber offenbar anders.
"Mittwochmorgen bin ich aufgestanden und dachte mir: 'Jetzt ändere ich etwas'", erzählte ein glücklicher Massimiliano Allegri nach einer siegreichen Vorstellung seiner Mannschaft an einem Sonntag Ende Januar. "Ich habe diese Entscheidung getroffen, weil ich mich danach gefühlt habe. Dann habe ich in den vergangenen Tagen, bei den wenigen Übungen, die wir unternehmen konnten, positive Eindrücke wahrgenommen."
Ein klassisches Luxusproblem
Was war passiert? Am 22. Januar bot Allegri im Ligaspiel gegen Lazio Rom die Lösung eines Problems an, mit dem sich die Alte Dame seit Saisonbeginn herumplagte. Eines Luxusproblems, zugegebenermaßen. Bis zu jenem Heimspiel gelang es dem Trainer nicht, seine fünf besten Offensivwaffen in eine Aufstellung zu integrieren. In den Augen Allegris war es bis dahin nicht möglich, Higuain, Dybala, Mandzukic, Cuadrado sowie Pjanic effizient auf dem Platz koexistieren zu lassen.
Die Krux lag vor allem bei Mandzukic. Mit Higuain und Dybala besitzen die Bianconeri bereits zwei herausragende Stürmer, die im favorisierten 3-5-2 als Doppelspitze stets gesetzt waren. Auch im alternativ angewandten 4-3-1-2 war nie Platz für den Kroaten, ist die Position hinter den Stürmern doch für einen klassischen Spielmacher wie Pjanic reserviert. Zwar kam Mandzukic aufgrund einer Verletzung Dybalas trotzdem auf viel Einsatzzeit, nach dessen Rückkehr im Dezember stand Juventus jedoch wieder vor dem gleichen Problem. Die Umstellung auf ein 4-2-3-1 bot schließlich etwas überraschend die ersehnte Lösung.
Ungewohnt und doch kein Neuland
Gegen Lazio lief erstmals die Big Five gemeinsam auf - und überzeugte direkt. Allegris Lösung für Mandzukic? Er packte den Angreifer einfach auf die linke Außenbahn, wo er 90 Minuten durchspielte. Auf den ersten Blick verwundert diese Entscheidung. Mandzukic ist zwar kein klassischer Neuner, der im Strafraum einfach nur auf seine Chancen lauert. Von einem Flügelflitzer kann jedoch ebenfalls nicht die Rede sein. Der Kroate hat für seine 1,90 Meter zwar eine beachtliche Geschwindigkeit, dennoch gehen ihm eigentlich fast alle Eigenschaften ab, die einen Linksaußen ausmachen.
Die Position auf der Außenbahn ist für Mandzukic gleichwohl kein Neuland. 2010 wurde er nach seinem Wechsel zum VfL Wolfsburg von Steve McClaren in erster Linie auf den Flügeln eingesetzt. Nach drei Niederlagen zum Saisonauftakt und mageren Leistungen fiel Mandzukic jedoch in der Rangordnung zurück und kam bei den abstiegsbedrohten Wölfen im restlichen Saisonverlauf kaum noch zum Zug. Auch unter Interimstrainer Pierre Littbarski änderte sich seine Situation nicht. Doch dann kam Felix Magath.
Der Feuerwehrmann vertraute im Endspurt auf den Kroaten und bot ihn mit Grafite als Doppelspitze auf. Der Angreifer zahlte ihm das Vertrauen mit sieben Toren in sechs Spielen zurück. Wolfsburg hielt die Klasse - dank Mandzukic' Leistungen als Mittelstürmer. "Mario hatte eine vorbildliche Einstellung und war der beste Stürmer im Kader. Ich habe nicht verstanden, warum er vorher nicht gespielt hat", erzählte Magath später.
Die Ein-Mann-Pressingmaschine
Die Sache schien also klar zu sein. Die Versetzung auf die linke Außenbahn war ein Missverständnis, seine Position ist die im Sturmzentrum. Bis zum Januar 2017 spielte Mandzukic bis auf eine Ausnahme nur noch als Spitze, sei es beim FC Bayern, bei Atletico Madrid oder bei Juventus. Spätestens zur Triple-Saison 2012/13 wurden seine Qualitäten europaweit bekannt. Neben seiner ungeheuren Kopfballstärke machte sich Mandzukic als erster Verteidiger seines Teams einen Namen.
Als Ein-Mann-Pressingmaschine jagte er den gegnerischen Abwehrreihen in aller Regelmäigkeit Schweißperlen auf die Stirn. Sein leicht verzögertes und doch ungemein aggressives Anlaufen machte den Verteidigern das Leben schwer. Zumal Mandzukic nie müde zu werden schien. Kein Weg war ihm zu weit, er war ständig in Bewegung und agierte als ewiger Unruheherd zwischen den Linien. Dazu war er bei Ballgewinn als Anspielstation sofort zur Stelle.
Seine aufopferungsvolle und leidenschaftliche Spielweise wurde regelmäßig und nicht zu Unrecht als seine größte Stärke angesehen. Mandzukic, der Fußball-Stadien schon als "moderne Gladiatoren-Arenen" bezeichnete, erarbeitete sich so auch den Respekt seiner Mitspieler. "Eigentlich hat es fast jede Woche im Training zwischen uns geknallt. Aber danach war wieder alles vergessen. So muss es sein. Das hat mir an ihm so gut gefallen", schwärmte einst Hasan Salihamidzic, sein ehemaliger Kollege bei den Wölfen.
Ein Stürmer auf dem linken Flügel?
Warum entschied sich Allegri dazu, Mandzukic das Vertrauen auf der linken Außenbahn zu schenken? Die Antwort ist denkbar einfach: Mandzukic spielt einfach keinen klassischen Linksaußen.
Dies soll nicht bedeuten, dass der Kroate alle Freiheiten besitzt, immer in die Mitte zieht und seine Position ständig mit anderen Mitspielern tauscht. Mandzukic ist durchaus an die linke Außenbahn gebunden - zumindest bis zum letzten Angriffsdrittel. Stößt Juventus bis zum gegnerischen Strafraum vor, so penetriert der Kroate gerne den Sechzehner und bietet neben Higuain eine weitere brandgefährliche Option für Hereingaben. Außerdem bietet er dem Argentinier so die Möglichkeit sich fallen zu lassen, da die Innenverteidiger von ihm gebunden werden.
Flanken schlägt Mandzukic kaum. Gerade mal 19 sind es in dieser Saison. Zum Vergleich: Juan Cuadrado, gewissermaßen sein Pendant auf der anderen Seite, schlug bereits 59. Dafür verschafft der Kroate Alex Sandro umso mehr Platz für Hereingaben. Der Linksverteidiger verzeichnete in dieser Spielzeit bereits 105 Flanken.
Die Serie-A-Statistiken von Mario Mandzukic und Juan Cuadrado im Vergleich
Pressing ist wie Fahrradfahren
Im Umschaltspiel kann Mandzukic seine Stärken auch auf links zur Geltung bringen. Während sich Higuain gerne die Bälle abholt, behauptet und seine Mitspieler aufrücken lässt, bleibt er weiter vorne und sucht Wege in die Tiefe. Aufgrund seiner Geschwindigkeit kann er es im Laufduell dann mit allen Innen- und Außenverteidigern aufnehmen. Auch der einfache lange Ball ist immer eine Option. Mandzukic gewinnt in dieser Liga-Saison fast 70 Prozent aller Luftzweikämpfe und kann so hohe Pässe per Kopf auf den startenden Higuain oder in den Rückraum zu Dybala legen.
Die Stärke im Pressing oder im Tackling hat er freilich ebenfalls nicht verlernt. Der Angreifer arbeitet sehr gut nach hinten mit, entlastet die linke Abwehrseite enorm und pusht so auch seine Mitspieler. "Wenn ich so viel renne, wie ich kann, sehen auch sie mich und können mehr geben. Darin kann ich ein Leader für die Mannschaft sein", verriet Mandzukic, der mit einer Erfolgsquote von rund 73 Prozent bei Tacklings überzeugt.
Die Mannschaft kommt zuerst
Das Toreschießen übernehmen zwar in erster Linie Higuain und Dybala, doch der Kroate gehört ohnehin zu den wenigen Stürmern, die nicht nur in Toren gemessen werden. Mandzukic kann mit der Umstellung jedenfalls sehr gut leben. "Die neue Taktik, die Allegri für uns entworfen hat, gefällt mir und ich glaube, dass sie uns uns allen nützt, da wir viele Offensivspieler haben," erklärte der Ex-Bayer: "Ich glaube, dass es ein gutes System ist, um die hohe Qualität, die wir im Angriff besitzen, auszunutzen." Und die Bilanz gibt ihm recht. Seit der Systemumstellung ist Juventus ungeschlagen und gewann bis auf zwei Ausnahmen alle Partien.
Mandzukic kann zwar nicht mehr auf seiner Lieblingsposition im Zentrum agieren. Das ist ihm jedoch herzlich egal. Denn wie in seiner gesamten Karriere stellt er sich vollends in den Dienst der Mannschaft: "Falls dies unserem Team in der Behandlung des Balles und im Umschaltspiel weiterhilft, dann mache ich das uneingeschränkt und mit allem, was in meiner Kraft steht."
Mario Mandzukic im Steckbrief