Ilkay Gündogan im Interview: "Tuchel ist der Widerspruch zu Kloppo"

Von Thomas Broich und Jerome Polenz
Ilkay Gündogan spielte beim BVB unter Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.
© getty
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Sie haben in den vergangenen beiden Jahren 91,4 Prozent Ihrer Pässe zum Mitspieler gebracht. Passen Sie deswegen so gut zu Manchester City?

Gündogan: Thomas Tuchel hat uns damals in Dortmund schon gelehrt, dass es nicht wichtig ist, wie hoch deine Passgenauigkeit ist, sondern wie viele Gegner du mit deinen Pässen auf den Sechser- und Achterpositionen überspielst. Man kann natürlich durch viele einfache Pässe die Prozentzahl erhöhen. Es ist aber wichtig, dass du in der Lage bist, mit Pässen gegnerische Abwehrreihen auszuhebeln.

Auf welcher Position spielen Sie am liebsten? Es fällt schwer, Sie in eine Schublade zu stecken.

Gündogan: Ich sehe mich zwischen der Sechs und der Acht, habe aber gerne auch noch eine Absicherung hinter mir, um auch Offensivakzente setzen zu können.

Auf der Sechs hätten Sie noch mehr Spieler vor sich, die Sie überspielen könnten.

Gündogan: Es gibt oft Partien, in denen ich auf der Sechs spiele. Da fühle ich mich einerseits extrem wohl, habe viele Ballkontakte. Ich genieße es, den Ball laufen zu lassen und viele Pässe zu spielen - auch mal den tödlichen. Andererseits komme ich auf der Sechs aber nicht so häufig in torgefährliche Situationen. Beim Champions-League-Gruppenspiel gegen Hoffenheim wollte ich zum Beispiel auch mal einen Doppelpass spielen und antreten. Unser Trainer musste mich dann daran erinnern, dass ich alleiniger Sechser bin.

Sie spielen meistens den vorletzten oder vorvorletzten Pass vor einem Tor. Findet das Einleiten von Toren in der Öffentlichkeit zu wenig Beachtung?

Gündogan: Das ist ja zwangsläufig so. Nicht jeder hat die Möglichkeit, Spiele über die kompletten 90 Minuten zu sehen. Gerade, wenn man nicht Fan von Manchester City ist, schaut man sich eher die Highlights an und sieht in den kurzen Sequenzen nicht mehr wirklich, wie unsere Tore entstehen. Ich versuche, mein Spiel trotzdem so einfach wie möglich zu halten, Pässe und Ballannahmen zu perfektionieren und nicht irgendwelche Überdinge machen zu wollen. Ich trainiere keine Tricks wie Übersteiger oder Finten, weil das nicht zu meinem Spiel gehört. Ich versuche die Dinge, die auf meiner Position sinnvoll sind, tagtäglich im Training zu wiederholen. Zum Beispiel, in engen Räumen Lösungen zu finden, um den Spielfluss aufrechtzuerhalten. Das empfinde ich als extrem wichtig. So haben es früher Xavi und Andres Iniesta bei Barca in Perfektion gemacht.

Welche Positionen finden im Fußball zu wenig Beachtung?

Gündogan: Bei uns sind die Außen- und Innenverteidigerpositionen die Schlüsselpositionen. Nicht nur defensiv, sondern auch offensiv. Das Aufbauspiel geht ja hinten los. Und wenn unser Aufbauspiel nicht so klappt, wie wir das wollen, dann leidet darunter auch unsere Offensive. Den Außenverteidigern kommt defensiv zudem eine viel größere Bedeutung zu, als man glaubt, weil sie immer wieder nach innen rücken, um abzusichern. Denn: Der Gegner kontert meistens über die Außenstürmer. Wenn man denen erst gar nicht die Zeit für die Ballannahme und eine Drehung gibt, hat man 90 Prozent der Konter schon unter Kontrolle. Deswegen macht es Sinn, dass man die Außenverteidiger etwas nach innen zieht. Das ist etwas, das ich vorher auch nicht wusste und erst in Manchester gelernt habe.

Von welchem Mitspieler bei ManCity haben Sie speziell dazugelernt? Vielleicht David Silva, Ihrem Partner auf der Doppel-Acht?

Gündogan: Man lernt mehr über den Fußball an sich, wenn man Spielern wie David zuschaut. David ist in den kleinen Drehungen, bei der Entscheidungsfindung und im Passspiel extrem stark. Wenn du einen Mittelfeldspieler wie David gegen dich hast, der solche Pässe spielt, dann will ich kein Außenverteidiger sein. Es ist egal, ob du ins Eins-gegen-eins gegen David gehen oder den Passweg verteidigen musst - beides ist enorm schwierig. Trotzdem sollte man bei aller Wertschätzung immer aufpassen: Man sollte nicht alles nachmachen wollen, wenn es nicht zum eigenen Spiel passt.

Welcher aktuelle oder ehemalige Mitspieler blieb ansonsten nachhaltig in Erinnerung?

Gündogan: Es gab mal einen Mitspieler, den ich unglaublich fand im Training. Ein Spieler, bei dem ich mir dachte: 'Was macht der eigentlich?' Dieser Spieler war Mario Götze. Da dachte ich mir: 'Der soll erst 18 oder 19 sein?' Ich war selber 20 oder 21 Jahre alt. Als ich angefangen habe, beim BVB mitzutrainieren, hat der Junge im Training Dinge gemacht, bei denen ich mir dachte: 'Wow, wenn der nicht mal ganz nach oben kommt, dann weiß ich auch nicht.' Das war überwältigend für mich.

Welche Dinge waren das genau?

Gündogan: Du hast den Ball einfach nicht bekommen. Ich habe oft versucht, gegen ihn zu verteidigen. Egal ob der Ball in der Luft oder am Fuß war, du hast es nicht geschafft, ihn vom Ball zu trennen. Mario hat gefühlt immer die richtigen Entscheidungen getroffen, ob im Dribbling oder beim Pass.

Gibt es noch andere Spieler, die Sie im Laufe Ihrer Karriere inspiriert haben?

Gündogan: Früher habe ich Kaka sehr, sehr gerne zugeschaut. Mit seiner Dynamik hat er mit dem Ball am Fuß enormes Tempo aufgenommen und so einige Gegenspieler aussteigen lassen. Es war eine Augenweide, ihm zuzuschauen. Dann gab es natürlich noch Xavi und Iniesta, die klein, wendig und nicht vom Ball zu trennen waren, die richtigen Entscheidungen getroffen und geile Pässe gespielt haben.

Was macht Iniesta so besonders?

Gündogan: Er lässt das Spiel einfach aussehen. Es ist aber nicht so einfach, wie es aussieht. Im Gegenteil: Es ist sehr schwierig. Ich glaube, man weiß das nicht wertzuschätzen, wenn man ihm im Fernsehen zusieht. Gerade bei Barca hat er seinen Stiefel immer locker runtergespielt, fehlerfrei und mit brutalen Pässen. Man hatte das Gefühl, er würde schweben. Was diese Einfachheit angeht, gibt es keinen besseren Spieler als Iniesta.

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