Schwer zu entschlüsseln

Stefan Rommel
24. Juni 201212:24
Egal wer auf dem Feld steht - die DFB-Elf hatte bislang immer Grund zum JubelnGetty
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Joachim Löw weiß spätestens jetzt: Seine Mannschaft wird für die Gegner immer weniger greifbar. Dem Bundestrainer stehen angenehme Tage bevor, weil sich sein Risiko erneut ausbezahlt hat.

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Joachim Löw ist ein Wiederholungstäter. Die Spiele einer K.o.-Runde sind ein ziemlich delikates Experimentierfeld, möchte man meinen. Man vertraut seiner Basis, lässt mögliche Unwägbarkeiten besser außen vor und versucht das, worum es im Fußball immer geht: Den Faktor Zufall so zu minimieren, dass man die größtmögliche Chance auf Erfolg hat.

Das funktioniert am besten mit dem Vertrauen in das Althergebrachte. "Stärke deine Stärken" lautet ein Merksatz der Unternehmensführung. Joachim Löw hat beim Viertelfinalspiel seiner Mannschaft gegen Griechenland freiwillig auf alle seine bisherigen Torschützen verzichtet, auf Mario Gomez (drei Tore), Lukas Podolski (ein Tor) und Lars Bender (ein Tor).

Er hat die bisher bewährte Angriffsformation auseinandergerissen, von den vier offensiv orientierten Spielern blieb nur Mesut Özil verschont. Gomez, Podolski und Thomas Müller rückten auf die Bank. Für viele Beobachter ging der Bundestrainer damit das hohe Risiko ein, mit zwei nahezu unerfahrenen Spielern auf den Flügeln in ein Viertelfinalspiel zu gehen.

So ganz war die Skepsis nicht zu verstehen, schließlich ließ er erst im Februar im Testspiel gegen Frankreich eine Mannschaft auflaufen, die der vom Samstag nahezu ähnlich war. Die damals verletzten Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm fehlten - ansonsten liefen eben jene Feldspieler auf, die auch gegen die Griechen starteten. Mit Özil, Reus, Schürrle und Klose in der Offensive, die zumindest eine Halbzeit lang im Angriffsspiel auch überzeugen konnten.

Löw kennt keine Stammspieler

Löw war sich seiner Sache sicher. Er habe die Wechsel nicht deshalb vollzogen, um seine Stammspieler zu schonen; unterschwellig also auch den Gegner Griechenland auf die leichte Schulter genommen. Den Begriff Stammspieler hasst Löw ohnehin. Und er ist angesichts der Ausgeglichenheit und Tiefe des deutschen Kaders bei dieser Europameisterschaft auch kaum mehr zulässig.

Es gibt Spieler in der Mannschaft, die bei Löw gesetzt sind. Besonders im Defensivkonstrukt wird Löw jetzt kaum noch Änderungen vornehmen, hier bleibt er konservativ. Die Formation hat sich mittlerweile einigermaßen gefunden, auch wenn einzelne Spieler noch nicht bei einhundert Prozent ihres Leistungsvermögens sind. Größere Umstellungen sind in der Abwehr und im defensiven Mittelfeld aber nicht mehr zu erwarten.

So bodenständig er mit seiner Defensive verfährt, so flexibel löst Löw die Anforderungen in der Offensive. Das dafür nötige Personal schlummerte auf der Bank und vor dem Spiel hatte es eine stattliche Zahl an Berichten darüber gegeben, wie verschwendet die Ergänzungsspieler bisher gewesen seien. In den drei Gruppenspielen hatte Löw dem jeweiligen Ergebnis und Spielverlauf angemessen gewechselt und an seiner Startelf nur einen einzigen erzwungenen Wechsel vollzogen.

Also rückte das trostlose Dasein der Kumpels Marco Reus, Andre Schürrle und Mario Götze in den Fokus. Götze hatte unter der Woche sogar zart an seiner Selbst gezweifelt. Eine etwas eigenwillige Sichtweise eines 20-Jährigen bei dessen ersten großen Turnier, zu dem er nach einer monatelangen Verletzungspause alles andere als fit angereist war. Andererseits aber auch der Beweis dafür, wie selbstkritisch und ehrgeizig die deutschen Spieler an das Unternehmen herangehen.

Deutschland wird noch unangreifbarer

Am Freitag übermittelte Löw seine Überlegungen an seine Spieler. Nachdem er sie damit überrascht hatte, sollte eigentlich auch der Gegner so spät wie möglich die personelle Umgestaltung der Startelf mitbekommen. Dass dieser Plan bereits zur Mittagszeit durchkreuzt war, missfiel Löw sehr. "Das gefällt mir gar nicht", sagte der Bundestrainer unmittelbar nach dem Spiel.

Bereits vor dem Auftaktmatch gegen Portugal waren wichtige Personalentscheidungen früh an die Presse durchgesickert, jegliche Überraschungseffekte damit zerplatzt. "Ich habe das schon mit den Spielern thematisiert. Sie geben die Aufstellung nicht direkt heraus. Das sind andere Kanäle. Wir werden sie noch herausfinden." Löw hat die Berater der Spieler im Verdacht.

Dabei sind diese Winkelzüge doch gar nicht mehr notwendig. Spätestens jetzt wissen die Gegner um den erstklassig besetzten Kader. "Auch der Plan B der Deutschen ist erschreckend stark", schrieb die "Marca". Das Schöne für Löw ist nun, dass der oder die kommenden Gegner seine Mannschaft nur unheimlich schwer ausrechnen können. Sie wird noch ungreifbarer.

In der Offensive hat Löw fast alle Optionen und ist auch geneigt, diese zu nutzen. Ähnlich wie die Spanier, die bisher personell ebenso variabel agiert haben. Andere Mannschaften sind da deutlich berechenbarer, die Portugiesen etwa - nicht erst seit dem Einzug ins Halbfinale ein sehr zu beachtendes Team.

Im Training dürfte es mächtig zur Sache gehen

Die Pause bis zum Halbfinalspiel in Warschau ist für ein Turnier ungewöhnlich lang. Sechs Tage bleiben der deutschen Mannschaft. Das ist sogar noch ein Tag mehr als zwischen dem letzten Gruppenspiel und dem Viertelfinale. Genügend Zeit, um richtig zu regenerieren und an taktischen Feinheiten zu arbeiten.

Und für den Kommunikator und Motivator Löw die perfekte Konstellation. Jetzt muss er keine klärenden Gespräche führen, muss niemanden aufbauen. Das erledigt die Mannschaft nun von ganz allein. Überdurchschnittlich viele Spieler im Kader haben eine reelle Chance auf einen Einsatz von Beginn an. Die Spannung im Team könnte kaum größer sein, im Training dürfte es in den nächsten Tagen mächtig zur Sache gehen.

Die Partie gegen die kantigen Griechen war eine mit der größtmöglichen Fallhöhe für die deutsche Mannschaft. Einer der großen Turnierfavoriten gegen den Zufalls-Viertelfinalisten. Löw machte das Spiel für sich selbst noch eine Spur riskanter. Ein Scheitern wäre unweigerlich und sofort auf seine Personalentscheidungen zurückgefallen. So hat er einiges riskiert und sehr viel gewonnen. Denn auszurechnen ist diese deutsche Mannschaft jetzt kaum mehr.

Löw vertraut seinem System

Dafür hat er in den letzten beiden Jahren sehr viel getan. Löw hat seit der Weltmeisterschaft zwölf neue Spieler getestet. Acht von ihnen gehören dem EM-Kader an, einige andere sind wenigstens im engeren Kreis zu führen wie die Schalker Lewis Holtby und Julian Draxler oder der Dortmunder Sven Bender, der erst kurz vor dem Turnier gestrichen wurde. Einzig Sascha Riether spielt derzeit gar keine Rolle mehr.

Als Trost für die anderen Teams bleibt die Tatsache, dass die jüngste Mannschaft des Turniers bisher wenigstens ihrer grundlegenden Spielausrichtung treu bleibt. Löw vertraut seinem System mit drei offensiven Mittelfeldspielern und nur einem Angreifer, obwohl er in einigen Testspielen auch andere, exotische Varianten ausprobiert hat. Nicht ausgeschlossen, dass diese noch zum Einsatz kommen.

Das 4-2-3-1-System wurde vor ziemlich genau vier Jahren geboren. Gegen Portugal wollte Löw damals die Flügel stärken und den Gegner überraschen. Er riskierte auch gegen den Unwillen einiger etablierter Spieler eine Menge, immerhin war das davor praktizierte 4-4-2 so etwas wie das deutsche System. Seine Mannschaft zeigte das bis dato beste Spiel unter seiner Regie, gewann am Ende 3:2. Es war das Viertelfinale der Europameisterschaft 2008.

Deutschland - Griechenland: Daten zum Spiel