Mesut Özil tickt ein bisschen anders als der gemeine Nationalspieler. In seinem Verständnis einer Fußballkarriere ist noch etwas Kindliches enthalten. Fußball versteht Özil nicht primär als Geschäft, vielmehr ist es für ihn tatsächlich der gelebte Traum.
Özil hat ein großes Bisschen von dem behalten, was jedem kleinen Kicker auf fantastische Art vorschwebt. Ihm bedeuten symbolische Dinge wie die Rückennummer womöglich mehr als die Zahl auf dem Gehaltszettel. "Legenden wie Zinedine Zidane, Diego Maradona oder Pele haben diese Zahl auf dem Rücken getragen, ich bin wirklich glücklich darüber", sagte Özil zuletzt zur Gegebenheit, dass er seit Lukas Podolskis Rücktritt aus der Nationalmannschaft nun auch im DFB-Team die Zehn auf dem Trikot trägt.
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Für ihn ist diese Nummerierung mehr als nur eine Zahl, die sich vermarkten lässt. Özil ist der Meinung, dass sie auch noch viel über seine Rolle in der Mannschaft aussagt. So wie ein Sechser früher klassischerweise noch die Sechs trug, der Mittelstürmer die Neun. So will Özil als Zehner nicht nur Spielmacher heißen, sondern das auch fühlen.
"Alle erwarten von mir das Besondere"
Jetzt ist das aber so eine Sache mit Mesut Özil und der Nationalmannschaft. Vielleicht zuerst die Fakten: Mit 27 Jahren kommt Özil bereits auf 82 Länderspiele für Deutschland. Durch die Partie gegen Tschechien am Samstag überholte er damit Karlheinz Förster, Wolfgang Overath sowie Bernd Schneider.
Damit ist er der erfahrenste Spieler im aktuellen Kader, gefolgt von Thomas Müller mit 80 Einsätzen. Auf stolze 51 Torbeteiligungen (21 Treffer, 30 Vorlagen) hat er es gebracht - Kritik müsste sich da erübrigen.
Aber nein. "Alle erwarten von mir das Besondere, das war schon immer so", sagte Özil zuletzt immer wieder: "Sobald ich kein Tor vorbereitet oder eines selbst geschossen habe, sind viele Menschen enttäuscht." In dieser Hinsicht gehe in der Öffentlichkeit "zu sehr verloren, wie viel ich gelaufen bin, wie viele Pässe ich geschlagen habe".
Andere Rolle als im Ausland
Es scheint tatsächlich oftmals so, als habe sich Özil international ein ganz anderes Standing bei Fans und Experten erarbeitet als das hierzulande der Fall ist. Bei Real und Arsenal war und ist die Position hinter der Spitze perfekt auf ihn zugeschnitten. Özil bewegt sich zwischen den Ketten und hat das Spiel meist vor sich. Häufig hat er die Möglichkeit, das Spiel schnell zu machen, seine Vorderleute steil zu schicken oder selbst in Lücken zu stoßen, um zum Abschluss zu kommen.
Ein solches Selbstverständnis seiner Aufgabe wurde ihm in der Nationalmannschaft aber lange Zeit nicht nahegelegt. In seinen ersten Jahren beim DFB setzte Löw Özil hauptsächlich auf dem Flügel ein. Selbst auf dem Weg zum WM-Triumph 2014 in Brasilien kam Özil kein einziges Mal als Spielgestalter zum Einsatz.
Doch der Lauf zur Grundlinie mit der Flanke als Auftrags-Vollendung, das ist nicht das Spiel des Technikers. Özil will viele Kontakte, Kurzpassspiel, kreative Momente.
Altes Laster: Der Drang nach außen
Es dauerte lange, bis er seine Rolle unter Joachim Löw fand. Der Bundestrainer erkannte, dass Özil auf dem Flügel verschenkt war und von dort nicht den Input liefern konnte, wie er es in der Mitte des Spielfeldes tut. Löw reagierte: In seinen 20 Länderspielen nach der WM musste Özil nur noch drei Mal auf dem Flügel ran - zumindest theoretisch.
Denn Özil tat sich noch während der EM schwer damit, seine Spielmacher-Rolle als Position im Zentrum wahrzunehmen. Immer wieder wich er im deutschen Spiel auf die Flügel aus. Er holte sich den Ball fast an der Außenlinie ab, um ins Spiel eingebunden zu sein - auch, weil Deutschland auf den Außenpositionen nicht genug Druck entwickelte. Özil wollte seine Mitspieler unterstützen und dabei das Spiel an sich reißen.
Doch seine zentralen Stärken konnte er von dort nicht dauerhaft einbringen. Er schlug vermehrt Flanken aus den Halbräumen oder dribbelte sich auf dem Flügel fest. Im Zentrum, dem eigentlich gefährlichen Raum, fehlte er.
Selbst bei der Europameisterschaft in Frankreich interpretierte er seine Position eher in den Halbräumen, Tendenz in Richtung Spielfeldbegrenzung. Die Heatmap vom Viertelfinale gegen Italien zeigt beispielhaft, dass es Özil links und rechts sehr weit nach außen zog - und dass er nur wenige Aktionen in der Spielfeldmitte hatte.
Heatmap: Mesut Özils Aktionsräume gegen Italien bei der EM
Neue Ausrichtung im DFB-Team - auch für Özil
"Damals", erklärte Löw und meint damit eigentlich die vergangenen beiden Jahre, "war unsere Spielweise anders angelegt. Wir hatten nicht die hohen Außenverteidiger. Das ergab eine ganz andere Spieleröffnung." Tatsächlich hat sich durch das hohe Aufrücken von Joshua Kimmich und Jonas Hector deutlich etwas verändert. Das deutsche Spiel ist viel flügellastiger geworden - Diagonalbälle hin oder her.
Dadurch, dass die offensiven Flanken bei eigenem Ballbesitz permanent besetzt sind und das Spiel so entzerrt wird, muss Özil gar nicht mehr so extrem nach außen schieben. Ballaktionen hat er wieder vermehrt in der Zentrale, im Schnitt sogar mehr als zuvor: Während Özil bei der EM auf 69 Pässe pro Spiel kam, waren es in den beiden WM-Quali-Spielen durchschnittlich schon 81. Löws neue System-Ausrichtung macht sich auch für Einzelne bemerkbar.
Alle Spiele und Termine: Der DFB-Fahrplan bis zur WM 2018 in Russland
Das bestätigt auch wieder der Blick auf die Heatmaps. Gegen Tschechien war beispielsweise deutlich erkennbar, dass Özil den rechten Flügel komplett Kimmich überließ. Seine eigenen Aktionen hatte er im Zentrum, hauptsächlich zwischen den beiden Strafraumkanten.
Heatmap: Mesut Özils Aktionsräume gegen Tschechien in der WM-Quali
Rückennummer ist die beste Definition
Özil gefiel am Samstag in seiner Rolle. Er wirkte zwischen den Reihen sehr dynamisch, spielte klare und gefährliche Pässe und das vor allem vertikaler als er es im DFB-Team lange von den Flügeln aus tat. Das 1:0 bereitete er vor, auch beim 3:0 ermöglichte er Hector durch einen genialen Ball erst dessen Torvorlage.
Die Zehn auf dem Rücken mag zwar nur ein Symbol sein, doch sie definiert Özils Position in der Nationalmannschaft besser denn je. Er selbst will es genau so.
"Es freut mich, dass es im Moment sehr gut läuft", sagte Özil anschließend und war auch nicht unglücklich darüber, dass er selbst nicht getroffen hatte: "Ich gebe ja lieber Assists, als selbst zu schießen." Womöglich kann er zukünftig beides noch häufiger tun.
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