Nicht schlechter als die anderen

SPOX
01. November 201619:58
Miro Klose bei der WM 2014: Soeben hat er sein 16. Tor bei einer Endrunde geschossengetty
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Miroslav Klose betrat die große Fußballbühne durch die Hintertür - und bescheiden, still und leise trat er nun auch ab. SPOX zeichnet die wichtigsten Etappen seines Weges vom Amateurkicker bei der sagenumwobenen SG Blaubach-Diedelkopf zum Weltstar und Weltmeister nach.

Polen, Kusel, Blaubach-Diedelkopf

"Ich habe in meinem Leben viele Leute erlebt, die mich schlecht behandelt haben, Jugendtrainer oder andere Verantwortliche, die mir Steine in den Weg gelegt haben und mir ins Gesicht gesagt haben: Aus dir wird nichts, fahr nach Hause."(Die Zeit)


Als Achtjähriger kommt Miroslav Klose, den Freunde und Verwandte nur Mirek rufen, nach Deutschland. Die Familie aus dem polnischen Opole lässt sich in Kusel in der Pfalz nieder. Klose lernt das Fußballspielen bei der SG Blaubach-Diedelkopf, nach der Mittleren Reife lernt er Zimmermann. Seine erste Saison als Senior (1997/98) absolviert er in der siebtklassigen Bezirksliga Westpfalz. 1998, da ist Klose schon 20 Jahre alt, wechselt er zum FC Homburg, wo er zwischen der 1. und 2. Mannschaft pendelt und mal dritt- und mal fünftklassig spielt.

Durchbruch in Kaiserslautern

"Ich war früher als Spieler nicht so weit, wie ich mittlerweile bin, aber ich konnte kicken. Und ich war nicht schlechter als die anderen. Aber ich wurde oft schlechter behandelt. Wenn ich mich heute für ein Spiel motivieren will, dann denke ich nur an diese Leute zurück." (Die Zeit)

Der FCK holt Klose 1999 zunächst für die Amateurmannschaft, doch schon im ersten Jahr kommt er zu zwei Kurzeinsätzen in der Bundesliga. Sein Debüt feiert er am 15. April 2000 beim Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt (1:0). Otto Rehhagel schickt Klose in der 75. Minute für den Schweden Jörgen Pettersson aufs Feld. Schon in der kommenden Spielzeit gehört er zum Stamm bei den Profis und kommt auf 29 Einsätze und neun Tore. Im Jahr darauf kämpft er bis zum Ende um die Torjägerkanone, bleibt mit 16 Treffern nur knapp hinter Marcio Amoroso und Martin Max zurück. Den sportlichen Niedergang des FCK kann aber auch Klose trotz guter Leistungen nicht aufhalten. Im Sommer 2004 wechselt er für die Rekordablöse von fünf Millionen Euro zum deutschen Meister nach Bremen.

Die Nation ruft

"Da habe ich mich zurückgelehnt und gedacht, es läuft schon allein. Im Urlaub habe ich mich lieber an den Strand gelegt, anstatt Trainingseinheiten zu machen. Danach bin ich fast anderthalb Jahre gar nicht auf die Beine gekommen und habe schlechte Spiele abgeliefert."(Rheinische Post)

Kurz nach seinem Durchbruch beim FCK schafft es Klose, auch ohne je in eine Juniorenauswahl des DFB berufen worden zu sein, in die A-Nationalmannschaft von Rudi Völler. Am 24. März 2001 debütiert er in Leverkusen und erzielt den 2:1-Siegtreffer gegen Albanien. Bei der WM in Japan und Südkorea gelingen ihm fünf Tore und er wird mit dem Silbernen Schuh als zweitbester Schütze des Turniers ausgezeichnet. Danach gerät seine Karriere im DFB-Trikot ins Stocken. Bei der EM 2004, Deutschland scheitert in der Vorrunde, kommt er nur zu zwei Kurzeinsätzen.

Fabelsaison in Bremen

"Man fährt nicht irgendwohin, und das Dach ist schon fertig, man muss erst mal was arbeiten. Und das ist beim Fußball nicht anders."(Die Zeit)

Bei Werder Bremen tritt Klose in die übergroßen Fußstapfen von Ailton und kann die Erwartungen zunächst nicht erfüllen. Im zweiten Jahr aber gelingt ihm der Durchbruch. Und wie! In 26 Spielen trifft er 25 Mal und legt 14 Treffer auf. Werder wird Zweiter hinter dem FC Bayern und Klose sowohl Torschützenkönig als auch Topscorer der Saison. Mit großem Vorsprung wird er 2006 Deutschlands Fußballer des Jahres.

Sommermärchen - Torschützenkönig

"Ich habe einen Beruf erlernt und weiß, wie hart es ist, als Zimmermann auf einer Baustelle zu arbeiten, um fünf aufzustehen und erst um acht nach Hause zu kommen. Heute habe ich den ganzen Tag Spaß. Es ist ein Traum, etwas ganz Besonderes, Fußballer zu werden."(Rheinische Post)

Mit zwei Toren im Eröffnungsspiel der WM in München gegen Costa Rica (4:2) legt Klose den Grundstein für ein grandioses Turnier. Am Ende wird die DFB-Auswahl Dritter, und Klose Torschützenkönig mit fünf Treffern. Dazu glänzt er als Vorbereiter für seinen kongenialen Sturmpartner Lukas Podolski.

Wechsel zum FC Bayern

"Und heute bekomme ich jeden Tag Briefe, in denen steht, ich solle unbedingt in Bremen bleiben. Dabei bin ich doch noch gar nicht weg."(Die Zeit)

Im Juni 2007 kündigt Klose im Anschluss an ein Länderspiel an, spätestens im Sommer 2008, nach Ablauf seines Vertrags in Bremen, zum FC Bayern zu wechseln. Tatsächlich will er aber sofort nach München und macht dies auch gegenüber Trainer Thomas Schaaf und Manager Klaus Allofs klar. Die Bayern in Person von Uli Hoeneß erhöhen ihr Angebot von zehn auf kolportierte zwölf Millionen Euro (plus etwaige Bonuszahlungen) - und der Deal ist praktisch über Nacht perfekt. In Bremen reagieren die Fans entsetzt. Bei seiner offiziellen Verabschiedung im Weserstadion wird Klose ausgepfiffen. Bei den Bayern holt er zwar endlich Titel (Double 2008 und 2010), doch richtig glücklich wird er nicht. Er spielt weniger und trifft deutlich seltener als in Bremen. Sein bis 2011 laufender Vertrag in München wird nicht verlängert. SPOXspox

Den Unkenrufen getrotzt

"Wer mich kennt, der weiß: Erstens kommt immer die Mannschaft, dann kommt nix, und dann komme irgendwann ich."

Bei der EM 2008 verliert Klose nach der Weltmeisterschaft 2002 sein zweites großes Finale mit der DFB-Auswahl. Im Vorfeld der WM 2010 in Südafrika gibt es große Diskussionen um den Stürmer. Klose hat lediglich drei Tore in der Bundesliga für die Bayern erzielt und seine Tauglichkeit für Joachim Löws Turnierkader wird öffentlich angezweifelt. Der Bundestrainer stellt sich aber demonstrativ vor den fast 32-jährigen Angreifer. Er sehe Klose körperlich und mental im Aufwärtstrend, betont Löw vor dem Auftaktspiel gegen Australien. Und: Klose "kann für uns noch sehr, sehr wichtig werden", sagt Löw, er müsse nur seine Handbremse lösen. Klose trifft gleich gegen Australien, fliegt dann im zweiten Gruppenspiel vom Platz. In der K.o.-Runde ist er aber wieder zur Stelle und erzielt im Achtelfinale gegen England (4:1) und im Viertelfinale gegen Argentinien (4:0) seine WM-Tore zwölf, 13 und 14.

Legende im Handumdrehen

"Er ist ein Champion, der den Unterschied macht. Ich ziehe meinen Hut vor solch einem Siegertypen."(Lazio-Trainer Simone Inzaghi)

Während man sich in der deutschen Heimat noch wundert, was ihn dazu bewogen haben könnte, ausgerechnet bei einem Durchschnittsklub wie Lazio anzuheuern, startet Klose in der Ewigen Stadt sofort durch: ein Tor und drei Vorlagen beim Pflichtspieldebüt in der Europa-League-Quali gegen Skopje, ein Tor im ersten Serie-A-Spiel gegen Milan. Am 16. November 2011 macht er sich bei den Tifosi unsterblich. Er entscheidet das Derby gegen die verhasste Roma mit seinem Treffer zum 2:1 in der Nachspielzeit. Am 35. Spieltag seiner zweiten Saison in Italien schießt er gegen Bologna fünf Tore, eine Leistung, die man 27 Jahre lang nicht mehr in der Serie A bestaunen durfte. Am Ende der gleichen Spielzeit gewinnen Lazio und sein deutscher Torjäger die Coppa Italia gegen die Roma. Am 15. Mai 2016 verabschiedet er sich am "Klose-Day" mit einem Tor gegen Florenz.

Die Krönung

"Ich war glücklich, einfach glücklich. Als der Schiedsrichter abgepfiffen hatte, wusste ich, dass uns diesen Pokal keiner mehr nehmen kann. Fußball kann auch grausam sein. Und ich habe erlebt, wie es sich anfühlt, wenn dir die Wurst noch vor der Nase weggeschnappt wird."(Die Welt)

Auch als "Italiener" zählt Klose weiter zu Löws Nationalmannschaft. Bei der EM 2012 teilt er sich mit Mario Gomez den Platz im Sturm. In der Qualifikation zur WM 2014 in Brasilien gelingt ihm gegen Österreich sein 68. Tor im Nationaltrikot, womit er mit Gerd Müller gleichzieht. Nr. 69 gelingt ihm im Testspiel gegen Armenien kurz vor Turnierbeginn. In Brasilien lässt Klose die nächsten Bestmarken purzeln: Beim 2:2 in der Vorrunde gegen Ghana egalisiert er Ronaldos WM-Torrekord von 15 Treffern. Nach dem 1:0 im Viertelfinale gegen Frankreich erreicht er als erster Spieler überhaupt zum vierten Mal ein WM-Halbfinale. Beim 7:1 gegen Gastgeber Brasilien macht er sich mit seinem 16. Endrundentreffer endgültig unsterblich. Wenige Tage darauf hält er in Rio de Janeiro den WM-Pokal in die Höhe - und krönt seine Karriere. Danach, nach 137. Auftritten im DFB-Trikot, ist das Kapitel Nationalmannschaft geschlossen.

Ende und ein Neuanfang

"Noch tragen mich meine Beine, noch habe ich keine Ermüdungserscheinungen, darum schleppe ich meinen Kadaver noch ein wenig durch."(Miro Klose im Juni 2012)

Am 1. November 2016 vermeldet der deutsche Fußballbund reichlich unspektakulär, dass der erfolgreichste Torschütze seiner Geschichte seine aktive Karriere beendet habe und nun als Trainee beim DFB erste Gehversuche als Trainer unternehme. Wörtlich heißt es da weiter: "Parallel zu den jeweiligen Inhalten, die für den Erwerb der einschlägigen Trainerlizenzen - insbesondere für A-Trainer und Fußball-Lehrer - vorgesehen sind und absolviert werden sollen, wird der ehemalige Weltklassestürmer ab sofort auch als fester Bestandteil die A-Nationalmannschaft und ausgewählte Maßnahmen im U-Bereich begleiten." Klose selbst bedankt sich artig bei Jogi Löw und Sportdirektor Hansi Flick. "In der Nationalmannschaft habe ich meine größten Erfolge gefeiert, diese Zeit war wunderschön und bleibt unvergessen. Daher kehre ich gerne zum DFB zurück. In den vergangenen Monaten ist in mir der Gedanke gereift, auf dem Platz bleiben zu wollen, dabei aber eine neue Perspektive einzunehmen, nämlich die eines Trainers.